Seit acht Jahren präsidiert Friedemann Schmidt die deutsche Apothekerschaft. Jetzt zieht er sich in seine Leipziger Apotheke zurück – leise und unprätentiös, so wie es seine Art ist. Als Präsident hat er die Abda nicht geführt, sondern moderiert – auch zu Ergebnissen, die nicht allen gefallen. Unbeantwortet bleiben muss die Frage, ob ein lauterer, polternder Vorsitzender für die Apotheker mehr hätte erreichen können. Eine Bilanz von zwei unterschiedlichen Halbzeiten von Friedemann Schmidts Abda-Präsidentschaft von Lothar Klein.
Zunächst die ökonomischen Fakten – Zahlen lügen nicht. Als Friedemann Schmidt zum Jahreswechsel 2012/13 die Zügel im Apothekerhaus übernahm, zählte man bundesweit noch über 20.500 Apotheken. Zum Ende seiner Amtszeit werden es 2000 weniger sein. Minus 10 Prozent ist ein Aderlass, die meisten davon sind jene „kleinen Buden“, von deren Übernahme er dem pharmazeutischen Nachwuchs selbst abgeraten hat.
Auf der positiven Seite von Schmidts ökonomischer Bilanz steht ein ordentlicher Honorarzuwachs – unter dem Strich 515 Millionen Euro pro Jahr: Der Nacht-und Notdienstfonds wurde geschaffen mit 120 Millionen Euro, das Rezepturhonorar wurde um 110 Millionen Euro erhöht, rund 60 Millionen Euro zahlen die Krankenkassen mehr für BtM-Rezepte. Die Corona-Krise hat den Apothekern das Botendiensthonorar von 2,50 Euro beschert – 75 Millionen im Jahr. Und 150 Millionen Euro erhalten die Apotheken ab Ende 2021 für neue Dienstleistungen. Das kann sich sehen lassen und spült pro Apotheke durchschnittlich gut 25.000 Euro in die Kassen. Insgesamt wurde damit letzte Sparrunde im Gesundheitswesen, mit der Philipp Rösler (FDP) den Apotheken 200 Millionen Euro abknöpfte, überkompensiert. Mehr noch: Das Betriebsergebnis vor Steuern einer durchschnittlichen Apotheke stieg während Schmidts Amtszeit von 105.000 Euro auf 148.000 Euro. Auch das ist vorzeigbar.
Und trotzdem – Friedemann Schmidt ist nicht alles gelungen, er hat nicht alle Versprechen gehalten, ist häufig Themen und Entwicklungen hinterhergelaufen, hat abgewartet, gezaudert und taktiert: Frischen Wind wollte der Abda-Präsident mit seiner Amtsübernahme in die mit dunklem Holz getäfelten Räume des Apothekerhauses in der Jägerstraße bringen, das Mendelssohn-Palais für Ausstellungen und Besucher öffnen. Daraus ist nichts geworden, das Haus wurde verkauft und im neuen Apothekerhaus hinter dem Berliner Hauptbahnhof herrscht genauso wenig Transparenz wie ehedem.
Runde Tische mit gegen die undurchdringlichen Kommunikationsmauern rebellierenden Apotheker prägten Schmidts erste Amtsmonate. Einbinden wollte Schmidt alternative Ideen und deren Protagonisten. Auch daraus ist nichts geworden. Seit Dr. Reiner Kern im April 2014 den Posten des Abda-Kommunikationschefs übernahm, legte er ein Schweigegelübte übers Apothekerhaus – der Abda-Präsident fügte sich.
Als ausgebildeter TV-Moderator wollte Schmidt der Stimme der Apothekerschaft auch über den Branchenradius hinaus Gehör verschaffen, zu allgemeinen gesellschaftspolitischen Diskussionen Stellung beziehen – auch im TV. Nach ein paar verunglückten Interviews in den ersten Monaten und einer verspotteten Video-Dankesbotschaft zur Errichtung des Nacht- und Notdienstes zog das Apothekerhaus die kommunikativen Schotten dicht. Stattdessen stürzte sich der Abda-Präsident ins interne Kommunikationsgeschäft und erarbeitet mit zahlreichen Teilnehmern im Rahmen mehrere Workshops ein Leitbild für den Apotheker von Morgen, stolz Perspektivpapier 2030 genannt. Dessen Inhalt sollte Schmidts Amtszeit überdauern.
In wichtigen Teilen ist es von der Realität bereits überholt: Längst diktiert die Digitalisierung nicht nur, aber auch die Entwicklung des Apothekenmarktes. Im Perspektivpapier ist dazu nichts zu lesen, nur soviel: „Zugleich gibt es eine Fortentwicklung von Wissenschaft und Technik, die zu einem dynamischen Wissenszuwachs führt und von der Digitalisierung und Vernetzung aller Lebensbereiche begleitet wird. Die Strukturen des Gesundheitssystems und damit auch die öffentlichen Apotheken müssen sich diesem Wandel anpassen. Nur so kann die Versorgung der Patienten dauerhaft auf hohem Niveau gesichert werden.“ Als Apps und Onlinedienste längst an die Abda-Pforten klopften, verweigerte Schmidt auf dem Podium des Apothekertages noch die Entwicklung eigener digitaler Abda-Angebote. Aktuell versucht der DAV mit seiner E-Rezept-Web-App, dem rasenden Digitalisierungstempo nachzueilen.
Vor allem aber ein Ereignis prägte Schmidts Amtszeit: Das Rx-Boni Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 19. Oktober 2016. Kurz vor der Wiederwahl zum Abda-Präsidenten schickten die EuGH-Richter die Abda-Führung um Schmidt auf die politische Verliererstraße. Siegesgewiss zog die Abda-Delegation in den Luxemburger Gerichtssaal. Fassungslos verließ sie ihn. Mit millionenteuren Karabiner-Kampagnen und mantramäßiger Beschwörung des Untergangs des deutschen Apothekenwesens versuchte Schmidt, das Unmögliche politisch durchzusetzen: Das Verbot des Versandhandels mit Rx-Arzneimittel. Zuerst legte sich die SPD quer und dann der neue Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU).
Als Führung gefragt war, verharrte Schmidt in der Moderatorenrolle. So gelang es dem Abda-Präsidenten nicht, die Vorsitzenden der Apothekerverbände und vor allem die Präsidenten der Apothekerkammer hinter sich zu scharen, als Schmidt mit Spahn in einem monatelangen Verhandlungsprozess einen 375 Millionen Euro schweren Plan B entwickelte. 34 Präsidenten und Vorsitzende zwangen das Duo Spahn/Schmidt zur Korrektur. Herausgekommen ist am Ende ein zerfleddertes Apothekenstärkungsgesetz (VOASG) mit einem Rx-Boni-Teilverbot für gesetzlich Versicherte, das im Windschatten der Corona-Krise Bundestag und Bundesrat passierte.
Was also bleibt von Friedemann Schmidts Amtszeit? Das Ansehen der Apotheker im Vergleich der Heilberufe ist besser denn je – wegen ihrer Rolle in der Corona-Pandemie. Darauf kann die vermutlich neue Abda-Präsidentin aufbauen. Auch wenn die Kritik am Apothekenstärkungsgesetz in den eigenen Reihen nicht abreißt, ist es Schmidt gelungen, das Apothekenhonorar auf eine neue Basis zu stellen. Nicht mehr allein die Flatrate von 8,51 Euro für die Abgabe von Rx-Arzneimitteln bestimmt das Apothekeneinkommen. Besondere Dienstleitungen werden extra honoriert, so wie es übrigens auch im von der Abda hart kritisierten 2hm-Gutachten gefordert wird. Ende 2021 werden weitere 150 Millionen Euro für neue pharmazeutische Dienstleistungen hinzukommen. Damit ist der Honorarweg vorgezeichnet. Die jahrelange DAV-Forderung nach Dynamisierung des Packungshonorars ist auf der Strecke geblieben.
Einiges hat Schmidt angestoßen und auf den Weg gebracht. Hinterlassen wird der scheidende Abda-Präsident zwei weitere Anliegen: Die Nazi-Vergangenheit der Apothekerschaft soll im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit durchleuchtet werden. Man darf gespannt sein, ob das Projekt zu Ende geführt wird. Jahrelang hat sich Schmidt gegen eine Reform der Abda gestemmt. Kürzlich hat er sie noch angeschoben und ein Gutachten bestellt. Er wird davon nicht mehr betroffen sein. Die Arbeit muss der/die nächste Abda-Präsident/in erledigen. Unklar ist auch, was aus dem Thema Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) noch wird. Gemeinsam mit den Kassenärzten wollte Schmidt AMTS ins Zentrum rücken. Herausgekommen ist Armin als regionales Modellprojekt in Sachsen – demnächst werden vermutlich KI-gestützte Computer die AMTS übernehmen. Und was ist eigentlich aus dem vielbeschworenem gemeinsamem Boot mit dem Arzneimittelgroßhandel als Rückgrat der Vertriebsschiene für Arzneimittel? Es dümpelt zerschlagen herum. Zerschlagen von Interessen der Player der Digitalisierung. Das Bündnis Abda/Phagro ist Geschichte.
Fazit: Friedmann Schmidt hat einiges angestoßen, wenig vollendet. Es wurde vom EuGH getrieben, hat schließlich die politischen Realitäten akzeptiert. Auf Apothekertagen hat Friedemann Schmidt rhetorisch geschliffene und philosophische Lageberichte abgeliefert und dafür den respektvollen Applaus der Delegierten erhalten. Er hat die Abda moderiert, aber nie in die Zukunft geführt.
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