Der Tag der Entscheidung Lothar Klein, 10.12.2018 14:16 Uhr
Hotel Maritim Pro Arte in der Berliner Friedrichstraße: Wenige Gehminuten von Bundesgesundheitsministerium (BMG) entfernt entscheidet sich morgen das Schicksal der Apotheken. Um 10.15 Uhr beginnt die Mitgliederversammlung der ABDA. Gleich zu Beginn wird Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sein Konzept zur Zukunft des Berufsstandes vorlegen. Rund zwei Stunden Zeit will sich Spahn nehmen für die Vertreter der Kammern und Verbände. Dann soll die Öffentlichkeit informiert werden.
In der ABDA-Einladung zur Mitgliederversammlung ist von Spahn keine Rede. Aber unter Tagesordnungspunkt 1 – aktuelle politische Lage – soll das lange gut gehütete Geheimnis gelüftet werden. Bis zur Mittagspause gegen 12.30 Uhr soll Klarheit darüber herrschen, wie Spahn die Zukunft der Apotheken organisieren will. Spahn wird keinen Gesetzestext mitbringen, nicht einmal Eckpunkte. Von einem Konzept ist die Rede. Aber aufs Tempo drücken will er trotzdem: Bis zum nächsten Sommer soll das Apothekengesetz stehen.
Am Nachmittag befasst sich die Mitgliederversammlung mit weiteren Themen. Auf Antrag der Kammer Hessen soll es eine Diskussion und einen Beschluss zum Thema Gleichpreisigkeit geben – falls das dann noch Sinn macht. Vorlagen dazu gibt es nicht. Anschließend steht das neue Datenpanel auf der Tagesordnung. Offenbar hat nicht nur ABDA-Präsident Friedmann Schmidt Probleme mit dem Ausfüllen. Die Beteiligung soll nicht so laufen wie erwartet, ist zu hören. Auch das 2hm-Gutachten soll in der Mitgliederversammlung eine Rolle spielen. Da am folgenden Tag der Wirtschaftsausschuss dazu tagt und Gutachterin Iris an der Heiden dazu Rede und Antwort stehen wird, will die ABDA offenbar erstmals eigene Positionen und Argumente dazu präsentieren und später veröffentlichen.
Bis zuletzt bleibt unklar, mit welchen Vorschlägen Spahn Kammern und Verbände konfrontieren wird. Aus dem Kreis der Gesundheitspolitiker ist nur zu hören, dass die ABDA beim Thema Rx-Versandverbot bereits „die weiße Fahne“ gehisst habe. Aber was kommt stattdessen, wie sieht der Plan B aus? Einige wollen wissen, dass Spahn die Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) aus dem Arzneimittelgesetz (AMG) ins Sozialgesetzbuch (SGB V) überführen will. In diesem Zusammenhang könnte ein Boni-Deckel auf die Zuzahlungen der Patienten verankert werden. Unklar ist, ob ein solcher Boni-Deckel nur die aus- und inländischen Versender gelten würde oder für alle Apotheken.
Und immer wieder taucht ein Strukturfonds in den Spekulationen auf. In Anlehnung an den Nacht- und Notdienstfonds (NNF) könnten so für die flächendeckende Versorgung notwendige Apotheken gestützt werden. Dem Vernehmen nach haben die Krankenkassen signalisiert, dass sie in begrenztem Rahmen bereit sind, dies finanziell zu unterstützen. Wie viel Geld Spahn in einen den Strukturtopf stecken will, ist offen. 180 Millionen Euro Verfügungsmasse hat sich Spahn durch die vorgeschlagene Kürzung für die Zyto-Apotheken geschaffen. Ob das reicht? Im Gespräch ist nämlich auch eine weitere Aufstockung der Rezepturgebühren.
In Spahns Plan B dürfte auch das Thema Digitalisierung eine Rolle spielen. E-Rezept und eMedikationsplan gehören in diesen Katalog. Bereits Amtsvorgänger Hermann Gröhe (CDU) hatte angekündigt, dass die Mitwirkung der Apotheker am eMedikationsplan honoriert werden soll. Das hat die ABDA seit langem gefordert. Vermutlich wird der DAV demnächst auch Versorgungsverträge mit den Kassen schließen können.
Kein Zufall ist sicherlich auch, dass die Monopolkommission am heutigen Montag ihren ersten „Policy Brief“ veröffentlicht hat und darin – wie bereits in ihrem Gutachten – die Apotheken aufs Korn nimmt: „Die Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln trägt den regional unterschiedlichen Anforderungen an die Apothekenversorgung nicht angemessen Rechnung. Apotheken sollte es erlaubt werden, auf die regulierten Preise Rabatte bis zur Höhe der Zuzahlung gesetzlich Versicherter zu gewähren. Zielgenaue zusätzliche Maßnahmen können, falls notwendig, die lokale Versorgung sichern. Der Versandhandel für verschreibungspflichtige Arzneimittel trägt zur Versorgungssicherung bei und sollte beibehalten werden“, lauten die drei Kernthesen. Spahn habe auf dem Deutschen Apothekertag im Oktober angekündigt, die aktuell drängenden Fragen der Arzneimitteldistribution in den politischen Fokus zu rücken. „Die Monopolkommission empfiehlt eine Reform des Vergütungssystems“, heißt es in der Einleitung. Vor dem Hintergrund, dass die Versorgung in dünn besiedelten Regionen heute bereits Probleme aufweise, zeige sich, dass das bestehende Vergütungssystem einer Überarbeitung bedürfe, um die lokalen Anforderungen besser abzubilden.
Im Ergebnis führten die einheitlichen Preise laut Monopolkommission dazu, dass die Anzahl an Apotheken in einer Region besonders stark an die Besiedlungsdichte geknüpft ist. Eine flächendeckende Versorgung erfordert es, dass in dünn besiedelten Regionen Deutschlands ebenfalls der Zugang zu Arzneimitteln ermöglicht wird. „Um im heutigen Vergütungssystem solchen regionalen Anforderungen nachzukommen und mögliche Versorgungslücken wirksam zu schließen, bleibt dem Gesetzgeber nur die Möglichkeit, die einheitlichen Vergütungssätze anzuheben“, so die Kommission.
Notwendig wäre dafür ein Vergütungsniveau, bei dem auch die am wenigsten profitable (Land-)Apotheke, die gerade noch benötigt werde, um die Versorgungsziele zu erreichen, auskömmlich finanziert sei. Im Rahmen der heutigen Einheitsvergütung pro Rezept käme eine höhere Vergütung jedoch überproportional den Apotheken in dicht besiedelten Regionen zugute. Da hier jedoch kein Bedarf bestehe, die Apothekenzahl weiter zu erhöhen, bestünde die Gefahr, gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 12 SGB V zu verstoßen.
Als Lösung schlägt die Monopolkommission die Einführung eines variablen Teils in der Vergütung vor, den die Apotheken im Wettbewerb miteinander festlegen können: „Um dies umzusetzen, könnte zunächst die nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs bisher nur für ausländische Versandapotheken geltende Möglichkeit, Rabatte auf den Preis beziehungsweise den Zuzahlungsbeitrag zu gewähren, allen inländischen Apotheken eröffnet werden. Dies würde eine Zunahme des Wettbewerbs zwischen Apotheken auslösen, die neben der Servicequalität dann auch über den Preis konkurrieren.“ Ob Spahn dieser Idee folgt, entscheidet sich morgen.