Der Verbraucher von heute ist mündig – die Zeit also reif, eine ganze Reihe von Wirkstoffen aus der Verschreibungspflicht zu entlassen. So sehen es zumindest die OTC-Hersteller. Den nach neuen Kompetenzen strebenden Berufsstand der Apotheker wissen sie an ihrer Seite. Und weil der aufgeklärte Patient die entsprechenden Medikamente auch noch selbst zahlen würde, könnten auch Politik und Kassen einstimmen. „Empowerment of the patient“, lautet die etwas euphemistische Devise. Die Unternehmen hoffen auf einen „Megatrend“.
Dass neue OTC-Switches eines der großen Themen für die Industrie sind, hatte unlängst der Vorsitzende des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller (BAH), Jörg Wieczorek, im Interview mit APOTHEKE ADHOC erklärt. „Ich glaube, dass es in den nächsten fünf bis zehn Jahren diesbezüglich gravierende Veränderungen in unserer Branche geben wird – von der die Apotheken profitieren werden.“
Bei der Jahrestagung des europäischen Dachverbands AEGSP in Barcelona stand das Thema ebenfalls ganz oben auf der Tagesordnung. Umfragen hätten ergeben, dass drei von vier US-Verbrauchern bereit wären, die medikamentöse Behandlung verstärkt in die eigene Hand zu nehmen, sagte Suneet Varma, der seit Anfang Mai bei Pfizer das weltweite OTC-Geschäft verantwortet.
Selbst bei chronischen Kategorien gebe es keine Berührungsängste: 82 Prozent der Befragten würden ein OTC-Statin kaufen – heute würden weniger als 50 Prozent der 71 Millionen Menschen mit erhöhten Blutfettwerten entsprechend behandelt, so Varma mit Verweis auf eine Umfrage aus dem Februar. „Das sind für uns als Hersteller riesige Chancen, die wir in enger Zusammenarbeit mit den Heilberufen angehen wollen.“
Aus seiner Sicht werden die Hersteller mit entsprechenden Initiativen offene Türen gerade bei den Apothekern einlaufen: „Man sieht doch, wie sich gerade große Ketten wie Walgreens oder CVS mit bislang ärztlichen Angeboten wie Impfungen als Gesundheitsdienstleister profilieren“, so Varma.
Frédérique Welgryn, beim französischen Hersteller HRA Pharma für den Bereich Frauengesundheit zuständig, schilderte die Probleme, die Unternehmen bei Switches hätten. Bei EllaOne (Ulipristal) habe sich der Prozess über fünf Jahre hingezogen – trotz guter Datenlage und einem offensichtlichen medizinischen Bedarf.
„Nach all der Mühe nur ein Jahr Marktexklusivität zu haben, ist nicht sehr hilfreich“, so Welgryn mit Verweis auf den dreijährigen Unterlagenschutz, den Unternehmen in den USA hätten. Auch sie ist sich sicher, dass neben einer guten Information der Patienten immer die Zusammenarbeit mit den Apothekern der Schlüssel zum Erfolg eines OTC-Switches ist.
Den Faden griff Darragh O'Loughlin, Präsident des EU-Apothekerverbandes PGEU, dankbar auf: Apotheker seien in Arzneimittelfragen für die Patienten der erste Ansprechpartner, das hätten Umfragen ergeben. Selbst in Ländern, in denen OTC-Medikamente auch im Mass Market verkauft werden dürften, sei ihr Rat gefragt. Das sei auch wichtig, denn Selbstmedikation sei keine Nichtmedikation, so O'Loughlin.
Er plädiert dafür, weitere Produkte aus der Rezeptpflicht zu entlasten. Die Apotheker seien bereit, die Kontrolle zu übernehmen und die Gesundheitssysteme zu entlasten. Bislang werde die Kompetenz der Pharmazeuten nur unzureichend genutzt.
Laut O'Loughlin gibt es nur sieben Wirkstoffe, die in allen EU-Ländern rezeptfrei sind. Ansonsten sind OTC-Switches Sache der Mitgliedstaaten. Hierzulande waren zuletzt neben der „Pille danach“ Racecadotril zur Behandlung von akutem Durchfall bei Jugendlichen ab zwölf Jahren sowie Mometason zur nasalen Anwendung zur symptomatischen Behandlung der saisonalen allergischen Rhinitis in derselben Altersgruppe in bestimmten Dosierungen aus der Rezeptpflicht entlassen worden.
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