Kommentar

Der geheime Streik

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Berlin -

Stell‘ dir vor, es ist Streik und alle verkaufen Aspirin. Mit einem „Aktionstag“ wollten die Apotheken in Schleswig-Holstein heute auf die Missstände aufmerksam machen. Doch offenbar beteiligen sich die allermeisten Apotheken nicht. Irgendwie hat der Berufsstand noch nicht die für ihn passende Protestform gefunden, kommentiert Alexander Müller.

Die Abda hat nun wiederholt angekündigt, sehr laut werden zu wollen. Der Eskalationsplan ist vorbereitet, große Aktionen gab es aber bislang nicht. Am Vormittag verkündete DAV-Chef Dr. Hans-Peter Hubmann, die Abda unterstütze den Aktionstag im Norden, „an dem die Apotheken am heutigen Dienstagvormittag streiken wollen“.

Ein doppeltes Missverständnis offenbar. Denn „streiken“ dürfen sowieso nur Angestellte in laufenden Tarifverhandlungen. Und den vom Apothekerverband Schleswig-Holstein (AVSH) ausgerufenen „Aktionstag“ wollten die meisten Inhaber:innen anscheinend doch nicht. Jedenfalls nicht heute.

Der Verband hatte in den Kommunalwahlen am kommenden Wochenende eine gute Gelegenheit gesehen. Rückendeckung gab es vorab von den Mitgliedern. „Deutlich mehr als die Hälfte“ der Inhaber:innen hätten sich an einer Umfrage beteiligt – und mehr als 93 Prozent davon seien für einen weiteren Aktionstag gewesen. Also rief der Verband auf, „ein deutliches Zeichen“ zu setzen und die Apotheken möglichst von 8 bis 14 Uhr zu schließen – ausgenommen notdiensthabende Apotheken.

Doch schon bei der Kammerversammlung in der vergangenen Woche zeichnete sich ab, dass eine Mehrheit diesem Aufruf nicht folgen würde. Zu kurzfristig, zu unkoordiniert, so oft gehörte Einwände. Einige ärgerten sich zudem, zuerst aus der Presse von der Aktion erfahren zu haben.

Und so scheint es über Einzelaktionen kaum hinauszugehen: In der Landeshauptstadt Kiel ist von dem Protesttag fast nichts zu spüren. Die Ansgar-Apotheke ist dabei, doch Inhaber Eckhard Kratzenberg zeigt sich enttäuscht: „Das hatte ich so nicht erwartet. Schade – so kann man natürlich nichts erreichen.“ Einzelstimmen aus anderen geöffneten Apotheken:

  • „Nein, wir streiken nicht.“
  • „Wozu das Ganze Theater?“
  • „Das war zu kurzfristig.“
  • „Ein Streik ist Unsinn. Gegen wen soll ich streiken? Und was will man denn verhandeln?“

Ein Apotheker aus dem Umland, der sich als normalerweise streikbereit beschreibt, sah sich durch die schlechte Vorbereitung und die schlechte Kommunikation abgeschreckt – wie angeblich viele Kolleg:innen auch. Und das „Bedienen von Notfällen“ findet er sinnlos. „Da kann man es auch gleich lassen. Aus Sicht des Patienten sind immer alles Notfälle.“

Die Apotheken stecken in einem Protestdilemma. Sehr langfristig vorbereitete Aktionen wirken gekünstelt und unglaubwürdig – Verdi kündigt Streiks auch nicht heute für den November an. Allzu spontan organisierte Massenschließungen sind aber offensichtlich auch nicht durchzusetzen. Die Teams fühlen sich oft nicht nur ihren Patient:innen verpflichtet, sondern stehen auch im lokalen Wettbewerb untereinander. Da will niemand „der Depp“ sein, der als einziger streikt und womöglich sogar Kund:innen vergrault – gerade in diesen Zeiten nicht. Also fehlt die Abstimmung und der Protesttag verstreicht unbestreikt.

Die „Kittelaktion“ der Freien Apothekerschaft wurde aus den Reihen der Apothekerverbände noch als sinnlose Einzelmaßnahme belächelt. Mit seinem stillen Protesttag in Schleswig-Holstein ist der Verband ins Risiko gegangen, kann aber auch keinen wirklichen Erfolg vorweisen. Jetzt ist muss die Abda zeigen, dass sie die Basis kollektiv dazu bringen kann, gemeinsam laut zu werden.

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