Daten-Hub: Abda vergibt Millionenauftrag Patrick Hollstein, 23.08.2023 10:22 Uhr
Die Abda will betriebswirtschaftliche Daten direkt aus der Warenwirtschaft der Apotheken ziehen – angeblich, um so fundierter gegenüber Politik und Kassen auftreten zu können. Doch obwohl der Daten-Hub ein Großprojekt im Haushalt ist, kennen offenbar nur wenige Kammer- und Verbandsvertreter die Details. Das gilt auch für den Entwicklungspartner: Ein potenzieller Millionenauftrag wurde gerade an die Firma Comline vergeben – die ausgerechnet zur Retaxfirma Davaso gehört. Hinter der Unternehmensgruppe wiederum steht der US-Konzern Iqvia, der selbst Daten kommerziell vermarktet.
Die Idee, Informationen aus den Apotheken zu erheben, war bei der Abda vor knapp zehn Jahren entstanden. Ursprünglich ging es darum, für die politische Diskussion munitioniert zu sein. Einmal im Jahr werden die Apotheken seit 2018 um Beantwortung verschiedener Fragen gebeten, die sechste Runde des Datenpanels startet am 1. September und schließt neben den Standardfragen zu den Charakteristika und Kennzahlen der Apotheke als Schwerpunktthema die Opioidsubstitution ein. Nutzer von CGM Lauer und Pharmatechnik können die Auswertung sogar direkt aus der Warenwirtschaft übermitteln.
Doch die Resonanz der Apothekerinnen und Apotheker blieb stets eher gering, und das, obwohl mittlerweile eine Aufwandsentschädigung von 200 Euro gezahlt wird. Obendrein sind die erhobenen Informationen von sehr beschränktem Nutzen – Daten zu Struktur, Umsatz und Kosten oder Services der Apotheke sowie betriebswirtschaftliche Kennzahlen lassen sich auch mit deutlich weniger Aufwand generieren – oder liegen anderenorts längst vor. Auch die Abda selbst verfügt über Töchter wie das Deutsche Arzneiprüfinstitut (Dapi) oder den Nacht- und Notdienstfonds (NNF) oder auch über die Kammern und Verbände selbst über umfangreiche Datenbestände aus den Apotheken.
Rohdaten aus der Warenwirtschaft
Künftig soll alles nun einfacher gehen. Nach Zustimmung der Inhaberin oder des Inhabers sollen „unbearbeitete Rohdaten regelmäßig und weitestgehend automatisch aus den Apothekensoftwaresystemen der öffentlichen Apotheken an den Daten-Hub übermittelt werden“, erklärt ein Abda-Sprecher auf Nachfrage. Bis zur ersten Jahreshälfte 2025 soll die zentrale Drehscheibe in Betrieb genommen werden. Auf eine Zahl, wie viele Apotheken dann mitmachen sollen, wollte er sich nicht festlegen: „Durch einen verhältnismäßig geringen Teilnahmeaufwand für die einzelnen Apotheker:innen soll der Daten-Hub eine hohe Teilnehmerzahl erreichen.“
Abda-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening hatte mehrfach versichert, dass man „nicht mit Daten handeln, sondern sie strategisch und konzeptionell nutzen“ wolle. Mit dem Daten-Hub solle auf der Basis „freiwilliger Datenspenden“ der Apotheker:innen mit einem geringeren Aufwand ein „großer, sicherer, guter Datenpool“ geschaffen werden, der für Verhandlungen genutzt werden könne.
Auch ihr Sprecher betont: „Daten sind essenziell für das detaillierte Verständnis des Apotheken- sowie Arzneimittelmarktes und somit unter anderem für eine erfolgreiche Interessenvertretung gegenüber der Politik, Verhandlungen mit den Krankenkassen und weiteren Institutionen. Durch den Daten-Hub soll die Datenverfügbarkeit und die Datenqualität in der Abda erhöht sowie unabhängiger vom Zukauf von Daten von Externen werden.“
Millionen im Haushalt
Umso erstaunlicher ist vor diesem Hintergrund der Etat, der für den Daten-Hub im Abda-Haushalt bereitgestellt wird: In diesem Jahr sind es knapp 600.000 Euro, für das kommende Jahr ist sogar ein Betrag von 1,1 Millionen Euro veranschlagt – zusätzlich zu den knapp 500.000 Euro, die auch das Datenpanel weiterhin pro Jahr kosten wird. Für 2025 und 2026 sind für das Projekt zunächst keine weiteren Kosten eingestellt, dafür sind aber allgemeine Entwicklungskosten für Software von 250.000 Euro und dann sogar knapp 1,8 Millionen Euro geplant.
Einen großen Batzen einstreichen könnte dabei ausgerechnet der Dienstleister Comline. Die Dortmunder IT-Firma gehört zu Davaso, der größten Retaxfirma in Deutschland, die vor zwei Jahren vom US-Konzern Iqvia übernommen wurde. Warum Comline und kein anderer Partner, etwa wie beim Datenpanel das Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung (Zi)? „Die Comline GmbH berät die ABDA in der Konzeptionsphase und hat sich für diese gegenüber anderen qualifizierten Anbietern mit Digitalisierungserfahrungen im deutschen Gesundheitswesen in einem Ausschreibeverfahren als qualitativ bestes Angebot durchgesetzt“, sagt dazu der Abda-Sprecher.
Der Budgetrahmen für die Konzeption und Umsetzung liege bei unter 2 Millionen Euro, wovon allerdings bisher nur ein Teil für die Konzeption freigegeben worden sei. „Die laufenden Betriebskosten nach Fertigstellung werden nach Abschluss der Konzeptionsphase verlässlich abschätzbar sein.“
Konzept vom Datenkonzern
Oder geht es doch um mehr als nur um Daten für die politische Kommunikation? Selbst wenn Comline nur die Technik liefert und keine Daten zu sehen bekommt – alleine die Tatsache, dass die Konzeption aus dem Hause Davaso kommt, ist schon bemerkenswert. Immerhin ist der Mutterkonzern Iqvia der weltweit größte Datensammler im Gesundheitswesen; sogar am Aufbau einer eigenen Heilberufekartei wird gearbeitet. Längst geht es nicht nur um Umsatz- und Absatzzahlen – seit Jahren liegt der Schwerpunkt von Iqvia auf der Unternehmensberatung. Und mit der Übernahme von Davaso hat sich der Konzern Zugang zu Krankenkassen, Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) und Gesundheitspolitik verschafft und sich Einfluss bei den Themen E-Rezept, Abrechnung und Verträgen gesichert. Wohl kein anderer Anbieter hat Zugang zu so vielen sensiblen Gesundheits- und Sozialdaten der Krankenkassen.
Holt sich die Abda hier – abgesehen von den offensichtlich unkalkulierbaren Kosten – auch noch die Konkurrenz ins eigene Haus? Ist der Daten-Hub am Ende weniger ein politisches, sondern eher ein wirtschaftliches Projekt?
„Der Daten-Hub soll auf der strukturierten Erhebung pharmazeutischer und wirtschaftlicher Daten über eine Schnittstelle in die Apothekensoftware basieren“, so der Abda-Sprecher. Es geht also um weit mehr als um die typische Rohertragsstatistik: Im Extremfall ließen sich zu jeder Indikation, sogar zu jeder PZN detaillierte Auswertungen fahren – die auch für gesundheitsökonomische Entscheidungen von höchster Relevanz und womöglich auch Brisanz sind.
Hinzu kommt, dass die Zahlen womöglich – auf anonymisierter Basis – auf die einzelne Apotheke bezogen sind. „Für die Erhebung und die Verarbeitung der Daten in der Abda wird ein umfängliches und strenges Datenschutz- und Datensicherheitskonzept entwickelt“, versichert der Sprecher. Personenbezogene Daten würden „nicht oder in nur sehr eingeschränkten Maß“ erhoben.
Wenig Infos bei Mitgliedsorganisationen
Nicht nur wegen der hohen Kosten wird das Projekt auch innerhalb der Standesvertretung kritisch gesehen. Die Vertreterinnen und Vertreter der Kammern haben nach eigenen Angaben ohnehin kaum Informationen über dieses im Bereich von Claudia Korf, Abda-Geschäftsführerin Ökonomie, angesiedelte Projekt. Doch auch aus den Reihen der Verbände kommen kritische Töne, zumindest was den angeblichen Nutzen für die politische Arbeit angeht: Der Daten-Hub sei die Antwort auf eine Frage, die nie gestellt worden sei: Wenn Politik und Kassen sich schon früher nicht von den Treuhand-Zahlen beeindrucken ließen – warum sollte dies im Sinne der Apothekerschaft jetzt ausgerechnet mit von Iqvia aufgearbeiteten Abda-Zahlen passieren?
Der Abda-Sprecher verweist auf die Beschlüsse von Vorstand und Mitgliederversammlung. Der Aufbau des Daten-Hubs sei ein umfangreiches Projekt, welches sich in mehrere Projektphasen gliedere – von der Konzeption über die Umsetzung bis zur nachfolgenden Weiterentwicklung. „Über den Stand des Projekts werden die Gremien der Abda kontinuierlich informiert und entscheiden nach jeder Projektphase über die Fortführung des Projekts.“
Wirklich stoppen ließe sich das Projekt schon jetzt wohl nicht mehr – oder nur unter erheblichen und immer weiter steigenden Abschreibungen. Aber in der kommenden Woche stehen Vorstandssitzungen erst beim Deutschen Apothekerverband (DAV) und dann bei der Abda an. Eine gute Gelegenheit, um noch einmal kritische Nachfragen zum neuen Mammutprojekt zu stellen.