„Das ist keine Reform, das ist blanker Irrsinn“ Katharina Brand, 01.12.2023 12:43 Uhr
In der letzten Erkältungssaison kam es zu erheblichen Lieferengpässen bei Kinderarzneimitteln. Dazu zählten Fiebersäfte und Antibiotika. Diese Engpässe beeinträchtigten Eltern, Kinder und die Apothekenteams. Die neue Saison beginnt, doch die Versorgungsprobleme bestehen weiterhin. Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Stefan Schwartze (SPD), hat sich zu diesem Thema in der Markt-Apotheke Vlotho informiert.
„Die Engpässe bestehen weiter“, konnten Kreisvertrauensapotheker Edward Mosch und Jens Kosmiky, Vorsitzender der Bezirksgruppe Herford im Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL), ihrem Besucher wenig Hoffnung machen. Apotheken hätten derzeit noch gefüllte Lager, könnten aber bei einer Erkältungswelle schnell an ihre Grenzen stoßen. Zudem gäbe es Versorgungsengpässe bei einer Vielzahl von Medikamenten, einschließlich Psychopharmaka, Herz-Kreislauf-Medikamenten, Diabetesmedikationen und Beruhigungsmitteln für Sterbende. Lieferschwierigkeiten beträfen nahezu alle Arzneimittelgruppen, so Mosch.
Unbürokratische Handlungsspielräume fehlen
Die Regelungen, die die Bundesregierung getroffen habe, seien nicht geeignet, die Engpässe nachhaltig zu bekämpfen, ergänzt Kosmiky. „Zugleich ist es der Bundespolitik nicht gelungen, den Apotheken ausreichende und unbürokratische Handlungsspielräume zu geben, die sie brauchen, um die Patienten im Falle von Lieferengpässen versorgen zu können“, kritisiert er weiter. „Wenn ich bei Abgabe eines nichtrabattierten Arzneimittels zehn Minuten dokumentieren muss, damit ich von den Krankenkassen nicht in Regress genommen werde, steht das in absolut keinem Verhältnis.“
„Das ist keine Reform, das ist blanker Irrsinn“
Die Zahl der Apotheken sinkt weiter: Mit etwa 500 Schließungen bundesweit in diesem Jahr und einem sich beschleunigenden Trend. Mosch befürchtet insbesondere eine Verschlechterung der Versorgung im ländlichen Raum. Diese Sorge gilt besonders für Nacht- und Notdienst sowie Rezepturen wie Fiebersäfte oder individuell produzierte Salben. „Die Patienten müssen dann immer weitere Wege auf sich nehmen“, erklärt der Kreisvertrauensapotheker. „Die nächstgelegene Apotheke mit eigener Herstellung dürfte dann bis zu einer Stunde Fahrtzeit entfernt liegen, wenn es nach Herrn Lauterbach geht. Die Ideen des Ministers für die Gesundheitsversorgung der Patienten sind höchst gefährlich.“ Und Kosmiky stellt klar: „Das ist keine Reform, das ist blanker Irrsinn.“
„Wir brauchen Geld im System, und zwar schnell!“
Auch ohne Reform dürfte die Zahl der Apotheken aufgrund unzureichender staatlicher Vergütungen sinken, so Kosmiky. Trotz steigender Kosten und Inflation gab es in 20 Jahren nur eine kleine Honorarerhöhung, zuletzt sogar eine Kürzung. Etwa jede zehnte Apotheke macht Verluste, ein Drittel ist wirtschaftlich gefährdet. Apotheker protestieren seit Monaten gegen ihre prekäre finanzielle Lage. Mosch ergänzt noch: „Das geht soweit, dass viele Kolleginnen und Kollegen nicht wissen, wie sie die anstehenden und prinzipiell absolut richtigen Lohnsteigerungen ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter überhaupt noch stemmen sollen. Lauterbach ignoriert unsere Angestellten komplett. Wären alle Apotheken ein einziges Großunternehmen mit 160.000 Mitarbeitern, würde die Politik schneller handeln. Wir brauchen Geld im System, und zwar schnell!“
Schwartze ist überzeugt: „Die Versorgung im ländlichen Raum muss gesichert und gestärkt werden. Wir brauchen die Apotheken vor Ort als niedrigschwellige Anlaufstelle für die Patientinnen und Patienten. Die Apothekenteams bieten einen unkomplizierten Zugang zu Präventionsangeboten und zu Gesundheitsinformationen. Sie stärken die Gesundheitskompetenz der Bürger. Dieses Potenzial müssen wir ausbauen – und dürfen es nicht aufs Spiel setzen.“