Gastkommentar

Das Drugstore-Gutachten Dr. Franz Stadler, 11.01.2018 07:50 Uhr

Berlin - 

„Ermittlung der Erforderlichkeit und des Ausmaßes von Änderungen der in der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) geregelten Preise“: So lautet der etwas sperrige Titel des kurz vor Weihnachten veröffentlichten Gutachtens, das im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums erstellt wurde. Doch nicht nur der Titel ist sperrig, auch der Inhalt kann nur als schwer verdaulich bezeichnet werden. Neben vielen handwerklichen Fehlern, die aufzuzählen den Rahmen sprengen würde, konsterniert besonders ein grundlegender Denkfehler. Ein Gastkommentar von Dr. Franz Stadler, einem erschütterten Apotheker.

Was ist die Aufgabe einer Apotheke? Sie ist Bestandteil unseres Gesundheitssystems und zuständig für die geregelte Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln. Ebenso ist sie eine niedrigschwellige Anlaufstelle für allerlei gesundheitliche Probleme der Menschen und ein unverzichtbarer Wegweiser. Damit sie diese Aufgabe möglichst gut erfüllen kann, hat der Gesetzgeber die Apotheken mit vielerlei Anforderungen für Betrieb und Ausstattung versehen. So werden beispielsweise hohe berufliche Qualifikationen der Inhaber (Studium mit Approbation), aber auch der Angestellten sowie eine genauestens geregelte Mindestausstattung und sogar eine Mindestraumgröße gefordert. Unter anderem deshalb sehen Apotheken heute so aus wie sie eben aussehen.

Die Macher des besagten Gutachtens haben nun errechnet, dass die Abgaben rezeptpflichtiger Fertigarzneimittel nur 39 Prozent der Packungseinheiten in den Apotheken ausmachen, während deren Umsatzanteil 80 Prozent entspricht. Selbst wenn man diese Zahlen nicht anzweifelt, so belegen sie doch nur, dass der Preisanstieg bei den rezeptpflichtigen Fertigarzneimitteln weiterhin ungebremst vonstatten geht – eine Tatsache, die niemand ernsthaft bestreiten würde.

Hinzu kommt vielleicht, dass in den vergangenen Jahren immer wieder Arzneimittel aus der Rezept- und Erstattungspflicht (aber nicht aus der Apothekenpflicht) entlassen wurden – eine Folge diverser Kostendämpfungsgesetze. Dennoch erfüllen die Vor-Ort-Apotheken nach wie vor ihren Versorgungs- und Beratungsauftrag. Sie haben vielleicht sogar an Bedeutung gewonnen, da sie in vielen Fällen der Selbstmedikation die einzige Kontroll- und Auskunftsstelle geworden sind.

Trotzdem folgern die Gutachter aus der unterstellten Tatsache, dass nur 39 Prozent der Packungen über die Krankenkassen abgerechnet werden, dass diese deshalb auch nur 39 Prozent der Kosten des Betriebs einer Apotheke zu begleichen hätten (statt wie bisher 75 Prozent). Die Apotheken sollten doch ihre Handverkaufspreise entsprechend erhöhen und so die Deckungslücke füllen. Mit diesen abenteuerlichen Schlussfolgerungen, die nicht nur unrealistisch sind, sondern auch jeden Versorgungs- und Beratungsauftrag vernachlässigen und die zudem vergessen, dass auch die Krankenkassen selbst Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind, werden jede Menge Einsparpotentiale errechnet und gerechtfertigt, die sich auf über 1,1 Milliarden Euro summieren, deren Folgen aber für die Apotheken katastrophal wären.

Denkt man diesen Weg zu Ende, müssten in Zukunft nur noch 39 Prozent der Apothekenangestellten pharmazeutisches Personal sein, der Inhaber müsste nur zu 39 Prozent ein Apotheker sein und alle gesetzlichen Anforderungen an Betrieb und Ausstattung einer Apotheke müssten nur zu 39 Prozent erfüllt werden.

Was würden wir erhalten? Einen amerikanischen Drugstore, der zum überwiegenden Teil aus aggressiv beworbenen Selbstmedikationsarzneimitteln in langen Regalreihen bestehen würde (natürlich ohne Beratung) und einer Luke im hinteren Teil des Ladens für die Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel. Die Verschreibungspflicht würde dank der Versandapotheken, die je nach Sitz mehr oder weniger unkontrollierbar wären, praktisch aufgehoben werden.

Dabei machte der Wertschöpfungsanteil aller Apotheken (vor Abzug ihrer Kosten) laut ABDA-Zahlen 2016 nach Arzneimittelpreisverordnung nur etwa 2,3 Prozent der Gesamtausgaben der GKV aus. Rechtfertigt dieses vorübergehende Einsparpotential, das wahrscheinlich bald durch die weiter steigenden Arzneimittelpreise aufgezehrt wäre, eine derartige Umgestaltung eines bewährten Systems?

Hier ist der Gesetzgeber, aber auch jeder Einzelne, gefordert, diesem Treiben Einhalt zu gebieten.

Eine grundsätzliche Frage stellt sich allerdings: Wer hat diesen Gutachtern den Auftrag erteilt und warum? Wer gibt 1200 Euro pro Seite für ein Gutachten aus, das mit der rein betriebswirtschaftlichen Brille einen relevanten Bereich unseres Lebens betrachtet und das völlig vergisst, dass Arzneimittelversorgung auch Vertrauenssache ist?

Die Antwort ist leider erschütternd…