Retaxverbot würde Milliarden sparen

„Dann müssen wir eben die Verträge kündigen“

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Frankfurt -

Während die Apothekenteams tagtäglich mit Lieferengpässen kämpfen, werden ihre Forderungen von der Politik geflissentlich überhört. Laut Holger Seyfarth, Vorsitzender des Hessischen Apothekerverbands (HAV), läuft es auf eine Konfrontation hinaus, die auch öffentlich ausgetragen werden muss. Gence Polat, Apotheker und Inhaber der Kalker-Apotheke und die Apotheke zur Post in Köln, will vermeiden, dass der Konflikt auf dem Rücken der Patientinnen und Patienten ausgetragen wird.

Thomas Bellartz, Holger Seyfarth und Gence Polat (von links)Foto: APOTHEKE ADHOC

„Wir stehen erst am Anfang einer großen Defektwelle“, so Seyfarth beim Livetalk zum Thema Lieferengpässe auf der APOTHEKENTOUR in Frankfurt. Mehr als 600 PZN seien aktuell in seiner Apotheke betroffen, im vergangenen Jahr seien es nur rund 400 gewesen. Die meisten Kundinnen und Kunden seien zwar mittlerweile nicht mehr überrascht, tendenziell sei die Stimmung aber eher schlecht: „Die Kunden sind das nicht gewohnt. Normalerweise ist der Apotheke das Medikament direkt da, davon sind wir heute weit entfernt.“

Auch in Polats Apotheken sind die Engpässe das bestimmende Thema. „Wir sind zu einer Art Selbsthilfegruppe geworden und haben schon Probleme, ganz normale Rezepte zu beliefern.“ In seinem Einzugsgebiet gebe es viele Kinderärzte, und hier sei die Versorgung eine Katastrophe.

Polats Team versucht immer, eine Lösungen für die Patientinnen und Patienten zu finden. Die erste Mitarbeiterin müsse morgens gleich die Defektliste abarbeiten. Zusätzlich gebe es Listen für Ärzte, damit diese nicht 30 Mal hintereinander Amoxi 1000 aufschreiben. „So haben wir zumindest in der hausärztlichen Versorgung ein bisschen Ruhe reinbekommen. Aber wie macht man das mit Kinderarzneimitteln?“

Auf die Politik warten will er nicht, sondern selbst Lösungsansätze finden, etwa indem Apotheken sich untereinander aushelfen. „Nichts nervt so sehr wie jedes Mal zu sagen, das Medikament habe ich nicht, versuchen Sie es woanders. Als Apotheke frustriert es uns, immer nur Nein sagen zu müssen. Eine Apotheke sollte schließlich helfen.“

Apotheken alleine gelassen

Laut Seyfarth sind unkonventionelle Methoden zwar gerechtfertigt, „es nutzt jedem, keiner kann sich beklagen“. In der Regel hätten die Praxen auch volles Verständnis, auch wenn es Einzelfälle gebe, in denen der Arzt nicht mitspiele. Problematisch sei aber, dass die Lösung der Probleme mittlerweile komplett auf die Apotheken verlagert worden sei, Stichwort Austausch, Import oder Rezepturherstellung. „Wir können das, aber wir haben Kapazitäten im Grunde gar nicht. Wir dürfen die Politik nicht aus ihrer Verantwortung entlassen, sondern müssen den Druck erhöhen.“

Punkt 1: Aus seiner Sicht muss der Mehraufwand auf jeden Fall vergütet werden. Dass die Politik einen Milliardenbetrag für die Apotheken springen lässt, kann er sich aber nicht vorstellen. „Das hat Auswirkungen auf die Beitragssätze und ist politisch nicht durchsetzbar.“

Man müsse daher anders an die Sache herangehen und für eine Entlastung der Apotheken sorgen, die sich dann auch finanziell auswirke. Neben der Verstetigung der Abgabeerleichterungen müsse auch der Bürokratieabbau endlich angegangen werden. „Und ich meine nicht nur die Präqualifizierung. Wir dokumentieren jeden Mist, aber verbessert das die Versorgung oder die Struktur?“

Laut Seyfarth ist das Gegenteil der Fall: Statt sich um die Patientinnen und Patienten kümmern zu können, kontrollierten jeden Abend in den Apotheken hochbezahlte Approbierte die Rezepte, um Retaxationen zu vermeiden. Es gebe Apotheken, die ihre Öffnungszeiten reduzierten, um Personal zu entlasten, das durch solche Aufgaben gebunden sei. „Man könnte sofort einen Milliardenbetrag einsparen, wenn diese blöden Retaxen abgeschafft würden, die auch sachlogisch völlig ungerechtfertigt sind.“

Rezeptkontrolle statt Beratung

Wenn man den Aufwand reduziere, erhöhe das auch die Freude an der Arbeit. „Unsere Pharmaziepraktikanten sagen uns offen, dass die die Apotheke toll finden, aber das nicht ihre Leben lang machen wollen. Das muss im Prinzip zum größten Teil alles weg.“ Dann gebe es auch wieder Raum, um pharmazeutische Dienstleistungen durchzuführen. „Auch wir würden es machen, wenn wir die Kapazitäten dafür hätten. Den Vorschlag, das dafür vorbehaltene Geld an die Apotheken auszuschütten, finde er absolut praktikabel: „Sonst werden die Kassen sagen, die Apotheken rufen das gar nicht ab, und das Geld zurückfordern.“

Die von der Abda geforderte Engpass-Prämie in Höhe von 21 Euro statt 50 Cent durchzusetzen, findet Polat dagegen „nahezu unmöglich“. Und er sieht das Risiko, dass sich „die Kassen genau diese Rezepte schnappen und sauber runter retaxieren“. Das passiere doch schon beim Botendienst regelmäßig, und da gehe es nur um 2,90 Euro.

Wie also können sich die Apotheken bei der Politik Gehör verschaffen? Einen bundesweiten Streik, wie er derzeit häufiger gefordert wird, fände Seyfarth gut. Er gibt aber zu bedenken, dass dies im Grunde ein Arbeitnehmerrecht ist. „Das muss also auch von der Adexa oder aus den Apothekenteams kommen.“

Die Kittelaktion der Freien Apothekerschaft findet er gut, „das wird schon einen gewissen Eindruck machen“. Der HAV hatte die Aktion unterstützt, die in drei Wellen lief und in der kommenden Woche ihren Höhepunkt in Berlin finden wird. Und auch Seyfarth und seine 85-köpfige Belegschaft haben einige Kittel ans Bundesgesundheitsministerium (BMG) geschickt.

Kassen wollen Honorar kürzen

Das Problem sei aber, dass Politik und Kassenvertreter oft einen ganz anderen Blickwinkel auf die Apotheken hätten: „Sie sagen sich, wenn von 18.000 noch 12.000 Apotheken übrig bleiben, sinken die Kosten zwar nicht linear, aber durch Skaleneffekt wird es billiger.“ Laut Seyfarth kommen Forderungen wie im h2m-Gutachten immer wieder auf die Tagesordnung – und er fürchtet, dass sie auch bei Diskussionen über den 10-Punkte-Plan der Abda wieder aus der Schublade geholt werden. Bekanntlich wollten SPD und Grüne eine Art Umverteilung bei den Apotheken. „Aber das ist eine Art von Sozialismus, da wollen wir nicht hin.“

Am Ende läuft es aus seiner Sicht darauf hinaus, dass die Apotheken auch einmal die Muskeln spielen lassen: Wenn die Kassen sich weigerten, die Bedingungen der Zusammenarbeit grundlegend zu überarbeiten, „dann müssen wir eben mit einer gewissen Übergangslösung die Lieferverträge kündigen“. Das bedeutet in der letzten Kosequenz: „Wenn Vertragspartner sich dann immer noch nicht bewegt, wird der Patient eben eine Zeitlang selbst zahlen müssen. Alles andere hilft nichts.“

Polat hielt dagegen: „Als Apotheke kann ich mir nicht erlauben, Eltern mit einem fiebernden Kind nach Hause zu schicken. Dann mache ich lieber zu – und mache einen Cannabis-Shop auf.“

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