Arbeitnehmer pushen sich mit Rx APOTHEKE ADHOC, 17.03.2015 13:06 Uhr
Knapp drei Millionen Deutsche haben schon einmal Rx-Medikamente genommen,
um bei der Arbeit leistungsfähiger zu sein oder Stress abzubauen.
Regelmäßig dopen knapp eine Millionen Berufstätige. Das geht aus dem
aktuellen DAK-Gesundheitsreport „Update: Doping am Arbeitsplatz“ hervor.
Dabei erhält rund jeder Siebte (14 Prozent)
die Tabletten von Freunden, Bekannten oder Familienangehörigen und jeder Zwölfte bestellt sie ohne Rezept in Versandapotheken, weitere
knapp 4 Prozent in anderen Internetquellen.
Die Anzahl der Arbeitnehmer, die zur Leistungssteigerung schon einmal Rx-Arzneimittel missbraucht haben, sei in den vergangenen sechs Jahren von 4,7 auf 6,7 Prozent gestiegen. Laut DAK-Report beträgt die tatsächliche Quote, inklusive einer hohen Dunkelziffer, sogar 12 Prozent. Hochgerechnet auf die Bevölkerung hätten damit fünf Millionen Erwerbstätige schon einmal leistungssteigernde oder stimmungsaufhellende Medikamente als Hirndoping eingenommen. Jeder Zehnte stehe diesem prinzipiell aufgeschlossen gegenüber. 83 Prozent lehnen die Nutzung grundsätzlich ab.
Am häufigsten würden Medikamente gegen Angst, Nervosität und Unruhe (60,6 Prozent) eingenommen, gefolgt von Antidepressiva (34 Prozent). Rund jeder achte Nutzer schlucke Tabletten gegen starke Tagesmüdigkeit, 11 Prozent Betablocker, so der Bericht.
Verwendet würden etwa die Wirkstoffe Methylphenidat und Modafinil gegen ADHS und Narkolepsie oder Piracetam und Memantin gegen Alzheimer-Demenz, um die Gedächtnisleistung und Wachheit zu erhöhen. Zudem werde das Antidepressivum Fluocetin zur Stimmungsaufhellung, Aktivierung und gegen Unsicherheit sowie der Betablocker Metoprolol zum Abbau von Stress, Nervosität und Lampenfieber genutzt.
Auslöser für den Griff zur Pille seien meist hoher Leistungsdruck sowie Stress und Überlastung. Vier von zehn Dopern gaben an, bei konkreten Anlässen wie anstehenden Präsentationen oder wichtigen Verhandlungen Medikamente einzunehmen. Männer versuchten vor allem, berufliche Ziele noch besser zu erreichen. Daneben wöllten sie auch nach der Arbeit noch Energie für Freizeit und Privates haben. Frauen nähmen entsprechende Medikamente ein, damit ihnen die Arbeit leichter von der Hand gehe und sie emotional stabil genug seien.
Leistungssteigernde Medikamente würden eher von Menschen verwendet, die an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit arbeiteten oder bei denen Fehler schwerwiegende Konsequenzen haben könnten. Tabletten zur Stimmungsverbesserung nähmen dagegen eher Beschäftigte, die viel Kundenkontakt hätten, vor allem Frauen zwischen 40 und 50 Jahren. Laut der Umfrage nehmen Frauen eher Mittel gegen Depressionen; bei Männern seien es meist anregende Mittel, um wach, stark und leistungsfähig zu bleiben.
Top-Manager Kreative nähmen kaum Medikamente zur Leistungssteigerung ein. Je unsicherer der Arbeitsplatz und je einfacher die Arbeit, desto höher das Risiko für Hirndoping. Beschäftigte mit einer einfachen Tätigkeit hätten zu 8,5 Prozent bereits Medikamente zum Hirndoping eingenommen. Bei gelernten oder qualifizierten Kräften seien es nur 6,7 Prozent, bei den hochqualifizierten 5,1 Prozent. „Das Klischee der dopenden Top-Manager ist damit vom Tisch“, so DAK-Vorstandschef Dr. Herbert Rebscher.
Neben dem äußeren Druck am Arbeitsplatz seien übertriebene Ansprüche an die eigene Leistungsfähigkeit häufig ein Problem. Es sei wichtig zu erkennen, dass Stress-Situationen am Arbeitsplatz nicht völlig vermeidbar seien. Laut DAK-Report setzt mehr als jeder Zweite auf eine gute Organisation bei der Arbeit. 44 Prozent der Beschäftigten achten darauf, ihre Freizeit möglichst sinnvoll zu verbringen und sechs von Zehn schlafen ausreichend, um besonders leistungsfähig zu sein.
Professor Dr. Klaus Lieb, Facharzt und Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Mainz, dämpft Erwartungen an das pharmakologische Neuro-Enhancement: „Eine Wunderpille gibt es nicht. Oft zeigen die Medikamente nur kurzfristige und minimale Effekte auf die kognitive Leistungsfähigkeit. Demgegenüber stehen hohe gesundheitliche Risiken, wie körperliche Nebenwirkungen bis hin zur Persönlichkeitsveränderung und Abhängigkeit.“ Herzrhythmusstörungen, Schwindel, Kopfschmerzen, Nervosität und Schlafstörungen seien nicht selten – und mögliche Langzeitfolgen dagegen noch völlig unklar. Er warnt außerdem: „Der Bezug aus dem World Wide Web ist riskant. Dort gibt es viele Medikamentenfälschungen, die ohne Rezept abgegeben werden und der Gesundheit erheblich schaden können.“
„Auch wenn Doping im Job in Deutschland noch kein Massenphänomen ist, sind diese Ergebnisse ein Alarmsignal“, warnt Rebscher. „Suchtgefahren und Nebenwirkungen des Hirndopings sind nicht zu unterschätzen. Deshalb müssen wir auch beim Thema Gesundheit vorausschauen und über unsere Wertvorstellungen und Lebensstilfragen diskutieren.“
Der Krankenstand wirkte sich das offenbar positiv aus: 2014 ließ sich etwas weniger als die Hälfte der Arbeitnehmer krankschreiben, die Quote sank von 51 im Vorjahr auf 48 Prozent. Fast ein Viertel der Ausfalltage (23 Prozent) wurden von Muskel-Skelett-Erkrankungen verursacht, 17 Prozent gingen zu Lasten psychischer Krankheiten und 14 Prozent entfielen auf Erkrankungen des Atmungssystems wie beispielsweise Erkältungen.
Die Branchen mit dem höchsten Krankenstand waren das Gesundheitswesen, die Öffentliche Verwaltung sowie Verkehr, Lagerei und Kurierdienste mit jeweils 4,5 Prozent. Der leichte Rückgang der Fehltage ist laut DAK auf den Rückgang der Fehltage durch Atmungserkrankungen um 22,5 Prozent zurückzuführen. Durch11,5 Prozent mehr Fehltage aufgrund von psychischen Erkrankungen bleibe der Rückgang aber sehr gering.
Für die repräsentative Studie wurde das sogenannte pharmakologisches Neuro-Enhancement untersucht – also inwiefern Erwerbstätige ohne medizinische Notwendigkeit zu verschreibungspflichtigen Medikamenten greifen. Die DAK-Gesundheit hat mehr als 5000 Berufstätige im Alter von 20 bis 50 Jahren befragt. Für die Analyse zum Krankenstand wurden die Daten von 2,6 Millionen erwerbstätigen Versicherten durch das IGES Institut in Berlin ausgewertet. Für die Analyse zum Krankenstand wurden die Daten von 2,6 Millionen erwerbstätigen Versicherten durch das IGES Institut in Berlin ausgewertet.