BMG-Datenaffäre

„Da wird einfach gelogen“ – Verteidigung zerpflückt Zeugenaussagen Alexander Müller, 27.03.2019 16:58 Uhr

Maximale Belastungstendenz: Nikolai Venn (l.), Verteidiger des ehemaligen IT-Administrators im BMG, Christoph H., hat massive Zweifel an den Aussagen der Hauptbelastungszeugin. Foto: Andreas Domma
Berlin - 

Im Prozess um den angeblichen Datendiebstahl aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) hat die Verteidigung mit ihren Plädoyers begonnen. Heute sprach zunächst Nikolai Venn als Verteidiger des ehemaligen IT-Administrators im BMG, Christoph H. Er kritisierte die Staatsanwaltschaft für die aus seiner Sicht völlig absurde Strafforderung, äußerte massive Zweifel an der Hauptbelastungszeugin und forderte den Freispruch für seinen Mandanten.

Aus Venns Sicht hat sich keiner der drei Anklagevorwürfe gegen H. bestätigt. Um den vermeintlichen Datenklau ging es dabei heute nur am Rande. H. wird außerdem ein Einbruchdiebstahl zur Last gelegt. Einleitend kritisierte Venn erneut die Verfahrensführung. Der Fall sei vor Anklageerhebung nicht vollständig ausermittelt gewesen, auch sei den Angeklagten kein rechtliches Gehör gewährt worden. Im Laufe des Verfahrens habe der leitende Ermittler der Polizei Daten vernichtet und sei vom Richter für eine Auszeit auf den Flur geschickt worden, um sich zu sammeln.

Die Staatsanwaltschaft hatte für H. in der vergangenen Woche eine Gesamtfreiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren gefordert. Diese „aufgeblähte“ Forderung bewog Venn zu einer massiven Kritik an Staatsanwalt Roland Hennicke. Dieser habe von Beginn an mit seinem schon oft zitierten Flur-Auftritt am ersten Verfahrenstag „Litigation-PR“ betrieben.

Dort hatte Hennicke unter anderem zum Besten gegeben, dass es im IT-System des BMG keine erkennbaren Sicherheitsmängel gegeben habe. Die Beweisführung habe dagegen zutage gefördert, dass die Sicherheitsstandards im Ministerium „eklatant unzureichend“ waren. Hintergrund: Wenn es einem Täter zu leicht gemacht wird, muss das immer strafmildernd berücksichtigt werden. Dazu kommen laut Venn die „rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung“ sowie die massive mediale Begleitung des Verfahrens.

Über den Datendiebstahl wurde heute kaum gesprochen, diesen Part wird Venns Kollegin Diana Nadeborn beim nächsten Termin am 5. April übernehmen. Venn beschränkte sich auf den Hinweis, dass 38 von ursprünglich 40 angeklagten Fällen bereits eingestellt worden seien und selbstverständlich auch nicht strafverschärfend berücksichtigt werden dürften. Doch vor Nadeborns Plädoyer wurde die heutige Sitzung aus dringenden persönlichen Gründen des Angeklagten unterbrochen.

Wichtig auch für den vermeintlichen Datendiebstahl ist allerdings die Glaubwürdigkeit der Hauptbelastungszeugin Katja S., H.‘s Exfrau. Dass Staatsanwalt Hennicke bei ihr keine Belastungstendenz zu erkennen vermochte, sei schon ein starkes Stück, so Venn. Denn S. habe ihren Ex-Mann just zu dem Zeitpunkt anonym angeschwärzt, als der Sorgerechtsstreit um das gemeinsame Kind eskalierte – der übrigens zu Gunsten des Vaters entschieden worden sei. Sieben Jahre nach der vermeintlichen Tat sei das aus reinem Opportunismus geschehen.

Die Zeugin sei zudem gerichtlich der Falschaussage überführt worden – und zwar im Zusammenhang mit dem vorliegenden Verfahren und zu Lasten des Angeklagten. Das sei mit Blick auf die Glaubwürdigkeit an sich schon nicht mehr steigerungsfähig, sei aber „nicht die einzige Lüge“ gewesen. Venn zitierte mehrere Widersprüche in den Aussagen der Zeugin. „Die Belastungstendenz ist maximal“, so der Rechtsanwalt. Das mache eine Aussage nicht automatisch unbrauchbar, die Staatsanwaltschaft hätte diesen Tatsachen aber zumindest Beachtung schenken müssen. Nicht zuletzt kam mit einer erhofften Belohnung seitens des BMG auch noch eine finanzielle Motivation dazu, wie Venn erinnerte.

Über die Brüche in den Aussagen der Zeugin könne das Gericht in der Beweiswürdigung nicht einfach hinweggehen, ist Venn überzeugt. Persönlichkeit, Motivation, die Entstehungsgeschichte der Aussage und deren auffallend geringer Detailreichtum veranlassten Venn zu dem Schluss: „Da wird einfach gelogen.“ Der Staatsanwalt habe bei seiner Würdigung vor einem Gebirge von Problemen einfach die Augen verschlossen und sich ein seichtes Gewässer vorgestellt.