Das hat Seltenheitswert: Die Politik fühlt sich von einer Lobbygruppe im Stich gelassen. So geht es aber offenbar dem bayerischen Landtagsabgeordneten Bernhard Seidenath (CSU). Ihm zufolge hätte die CSU gern weiter für ein Rx-Versandverbot gekämpft, nur sei leider die ABDA von der Fahne gegangen. „Gegen den Widerstand der Apotheker kann und wird die CSU aber in diesem Bereich keinen Krieg gegen Jens Spahn vom Zaun brechen“, schreibt Seidenath an einen jungen Apotheker, der ihn zum Handeln aufgefordert hatte.
Seidenath ist im bayerischen Landtag Vorsitzender des Gesundheitsausschusses und gesundheitspolitischer Sprecher seiner Fraktion, deshalb hat sich der Apotheker an ihn gewandt. Ihm bereite die politische Position von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) große Sorgen, schrieb der Apotheker an den CSU-Politiker. Gemeint ist die im „Apothekenstärkungsgesetz“ geplante Streichung des Rx-Boni-Verbot für ausländische Versandapotheken aus dem Arzneimittelgesetz (AMG).
Natürlich dürfe dieser Wettbewerbsverzerrung nicht mit einer generellen Preisfreigabe begegnet werden, schiebt er sofort hinterher. Denn die meisten Vor-Ort-Apotheken könnten sich in einem dann losbrechenden Preiskampf nicht ansatzweise behaupten. Es sei ohnehin „moralisch sehr bedenklich, Apotheker bei zum Teil überlebenswichtigen Medikamenten in einen Preiskampf zu zwingen“. Nach dieser Logik könnten Apotheken im Notdienst oder einer Monopolstellung im Landkreis Fiebersaft für 50 Euro verkaufen.
Spahn verstoße damit gegen den Koalitionsvertrag, und dessen jahrelange Freundschaft zu DocMorris-Vorstand Max Müller „lassen bei mir persönlich große Zweifel an seiner Integrität und seinen Absichten aufkommen“, schrieb der Apotheker. Während Ärzte mit umfänglichen Finanzmitteln aufs Land gelockt würden, scheine sich Spahn „gezielt dafür einzusetzen, die Apothekenlandschaft vor Ort zu zerstören“. Wem helfe aber der Arzt im Dorf, wenn die benötigten Arzneimittel ebendort nicht mehr erhältlich seien?
Der Apotheker bat Seidenath, weitere Informationen vom wissenschaftlichen Dienst des bayerischen Sozialministeriums einzuholen und die Problematik von Spahns Vorhaben in den entsprechenden Gremien publik zu machen. Seinen Namen möchte der Pharmazeut in dieser Angelegenheit lieber nicht in der Presse lesen.
Das könnte mit Seidenaths Antwort zu tun haben, die es in sich hat. „Weit geöffnete Scheunentore“ renne der Apotheker bei ihm ein, schreibt der Abgeordnete. Die CSU-Landtagsfraktion habe das Rx-Versandverbot „aus Überzeugung mit Nachdruck“ gefordert, zum Beleg fügt der Politiker den Dringlichkeitsantrag im Landtag vom 21. März bei. Und auch bei einer Telefonkonferenz mit Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml, den CSU-Gesundheitspolitikern im Bundestag und ihm selbst seien sich alle einig gewesen, dass das Rx-Versandverbot „weiterhin die Premium-Lösung ist“.
Aber Seidenath hat seiner Antwort noch ein Schreiben beigefügt, nämlich einen auf den 1. April datierten Brief von Dr. Hans-Peter Hubmann, Vorsitzender des Bayerischen Apothekerverbands, und dem Präsidenten der Bayerischen Landesapothekerkammer, Thomas Benkert. Diese verweisen auf den Beschuss des ABDA-Gesamtvorstands drei Tage zuvor: Einstimmig gefordert würden demnach die Gleichpreisigkeit, die Beibehaltung des Boni-Paragrafen, die Honoraranpassung in der Dezember-Version – im Entwurf später von Spahn gekürzt – sowie der Appell, dass die Anforderungen für den Botendienst nicht an die des Versandhandels angeglichen werden sollen. Das sei die „einzig vorstellbare Alternative“ zum Rx-Versandverbot, schrieben Benkert und Hubmann.
Nach diesem „klaren Votum der Apotheken Bayerns, an dem sowohl Herr Dr. Hubmann als auch Herr Benkert mitgewirkt haben“, schreibt Seidenath, verfolge man diese Forderung nicht mehr mit Vehemenz. „Ihre Standesvertreter wollen es so! Dann sind uns irgendwann auch die Hände gebunden“, so der CSU-Politiker.
Seidenath ist ehrlich besorgt, angesichts einem Rückgang der Apothekenzahl im Freistaat um 900 Betriebsstätten zwischen 2008 und 2017. Deshalb sollte es aus Sicht der CSU auch auf jeden Fall ein Rx-Versandverbot geben. „Die Apotheker selber rücken nun auf der Basis des aktuellen Spahn-Vorschlags hiervon ab, weil dieser eine Gleichpreisigkeit bei den Arzneimitteln zwischen Versandapotheke und Apotheke vor Ort ins Spiel gebracht hat. Ob eine solche Gleichpreisigkeit gemessen an Europarecht Bestand haben kann, halte ich für äußerst fraglich“, gibt Seidenath zu bedenken.
Die CSU halte ein Versandhandelsverbot immer noch für die Premium-Lösung. „Gegen den Widerstand der Apotheker kann und wird die CSU aber in diesem Bereich keinen Krieg gegen Jens Spahn vom Zaun brechen“, so Seidenath.
Der CSU-Politiker hat zudem Zweifel an der Rechtssicherheit der aktuellen Pläne des BMG. Denn laut Eckpunkten soll es eine dem Boni-Verbot vergleichbare Regelung für die Erstattung durch die Gesetzliche Krankenversicherung im Sozialgesetzbuch (SGB V) aufgenommen werden. Im EU-Ausland ansässige Versandapotheke wären damit aber wieder an die einheitlichen Apothekenabgabepreise – zumindest bei Kassenpatienten – gebunden. „Die Maßnahme würde also die gleiche Wirkung wie die von der Kommission beanstandete erzielen und wäre wohl aus Sicht der Kommission deshalb ebenfalls europarechtswidrig. Das Vertragsverletzungsverfahren wäre dann nicht erledigt, sondern würde in ein erneutes Verfahren vor dem EuGH münden“, vermutet Seidenath.
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