Celesio beklagt Unterversorgung Alexander Müller, 17.11.2008 15:40 Uhr
Der Stuttgarter Pharmahändler Celesio tritt mit einem neuen Politikbrief an die Öffentlichkeit. Diesmal singt der Konzern das Klagelied der Unterversorgung mit Arzneimitteln: Von einer ausreichenden Versorgungsdichte sei man „in Teilen Deutschlands heute meilenweit entfernt“, schreibt Celesio-Chef Dr. Fritz Oesterle. „Ein derartiges Versorgungsdefizit lässt sich nach meiner Beobachtung in Ländern mit liberalen Eigentumsstrukturen für Apotheken - jedenfalls in Europa - nicht ausmachen“, so Oesterle.
Es folgt unter dem Titel „Apothekenmangel im ländlichen Raum: Unterversorgung statt Überfluss“ die etwas unscharf beobachtete, dafür aber umso rührseliger vorgetragene Geschichte des Dorfes Hayn in Sachsen-Anhalt. Seit April gibt es dort für die knapp 600 Einwohner keine Apotheke mehr. Apothekerin Ingrid Schulze musste nach 16 Jahren ihre Harz-Apotheke schließen. „Ich habe zum Schluss sogar mehrere Rezeptsammelstellen betrieben, aber irgendwann ging es nicht mehr“, sagte Schulze gegenüber APOTHEKE ADHOC.
Die Versorgung ist nach dem Wegzug der Apotheke allerdings keineswegs zusammengebrochen: Apotheker Christian Reckziegel, Inhaber der Hirsch-Apotheke im nahen Stolberg, richtete sofort im April nahtlos einen Lieferservice für die Hayner ein: Er betreibt eine Rezeptsammelstelle, die über die Apothekerkammer Sachsen-Anhalt ausgeschrieben wurde.
Obwohl es für die Einwohner in Hayn nur noch dienstags und freitags eine Arztsprechstunde gibt, leert Reckziegel die Rezeptsammelstelle jeden Tag und liefert die Arzneimittel ebenfalls täglich aus - gratis. „Das ist ein extrem gutes Beispiel, um zu zeigen, wie gut die Versorgung funktioniert“, sagte Reckziegel gegenüber APOTHEKE ADHOC. Die Medikamente werden von ihm persönlich oder einer PTA ausgefahren. „Wir schicken keinen Boten, die Patienten werden beraten“, so der Apotheker.
Celesio hat dies möglicherweise ebenso übersehen wie die Tatsache, dass es in Hayn auch keinen Aldi, Lidl oder Schlecker gibt. Für den Konzern ist Hayn ohnehin nur ein Beispiel für die Unterversorgung in strukturschwachen Regionen: „Hayn ist kein Einzelfall, wie ein Blick in den Norden nach Mecklenburg-Vorpommern zeigt. Hier gibt es zwar in allen 18 Landkreisen Apotheken, aber insgesamt gilt: Die Apothekendichte steigt in der Stadt und fällt auf dem Land.“
Den Fall Hayn haben die Macher des Lobbyblättchens offenbar in der Sangerhäuser Zeitung vom 4. April entdeckt. Die politische Auslegung stammt dagegen offensichtlich aus Stuttgart. Denn die Geschichte fungiert als Teppich für einen fulminanten Schluss in eigener Sache: „Es gibt schon heute eine deutliche Unterversorgung in strukturschwachen Regionen. Inhabergeführte Apotheken schließen. Keiner siedelt neu an. Mit der Marktöffnung und mit Fremdbesitz hat dies offensichtlich wenig zu tun. So bleibt den Menschen in Hayn zumindest die Hoffnung, dass es bei ihnen mit der Öffnung des Apothekenmarktes in Sachen Arzneimittelversorgung wieder aufwärts geht.“