In Baden-Württemberg kämpft ein Einzelhändler für einen besseren Zugang zu CBD-Produkten: Mit Selbstanzeigen versucht er die Absurdität der geltenden Rechtslage zu verdeutlichen, leistet parallel Aufklärungsarbeit – und musste sich für den Verkauf von CBD-Blüten nun vor Gericht verantworten. Das hat ihn verurteilt, aber keine Strafe ausgesprochen. Pietsch geht trotzdem in Berufung und kündigt an, zur Not bis vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. „Ich freue mich, wenn ich irgendwann Umsatzeinbußen habe, weil mehr Menschen, denen es hilft, Cannabis von ihren Ärzten und Apothekern erhalten“, sagt er.
Der Vorgang ist tatsächlich kurios: Die Polizei führt Razzien in zwei Geschäften durch – die nur wenige Tage später den Gründerpreis der Stadt Lahr erhalten. Mittlerweile wurde der Inhaber der Geschäfte vom Amtsgericht Freiburg wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz verurteilt. Eine Strafe hat er allerdings nicht erhalten, sondern „angesichts der besonderen Umstände“, wie es das Gericht formuliert, nur eine Verwarnung samt Strafvorbehalt über 2000 Euro. Denn CBD-Blüten und -Harze stellten ein nicht verkehrsfähiges Betäubungsmittel „der zur Gattung gehörenden Pflanze“ dar. „Für diese Einordnung ist es unerheblich, dass es sich eine THC-arme Cannabiszüchtung handelt“, so die Richterin. „Die Aufnahme eines Stoffes in die drei Anlagen zum Betäubungsmittelgesetz hat konstitutive Wirkung und macht ihn zum Betäubungsmittel, ohne dass es zusätzlich einer konkreten Berauschungsqualität bedarf.“
Zuvor war die Polizei Anfang 2019 in seine damals zwei „Hanfnah“-Geschäfte – mittlerweile sind es drei – einmarschiert und hatte Razzien durchgeführt: Denn er verkaufte CBD-Blüten, also Cannabisblüten mit einem THC-Gehalt unter 0,2 Prozent. „Sie haben alle CBD-Blüten beschlagnahmt, andere Hanf-Produkte mit gleicher Zusammensetzung aber nicht angerührt“, erzählt er. Ein anonymer Hinweis aus der Bevölkerung habe zu der Polizeiaktion geführt. Der Vorwurf: Pietsch verkaufe Rauschgift. Das hält er für absurd und wollte das postwendend demonstrieren: Er kaufte sich in einer Drogerie eine Packung Hanftee – ebenfalls mit gleicher Zusammensetzung – und spazierte damit in die Freiburger Staatsanwaltschaft, um sich selbst anzuzeigen. „Das Verfahren wurde dann direkt eingestellt, und zwar von derselben Staatsanwältin. Das zeigt die Zerrissenheit der aktuellen Gesetzeslage.“
Denn es war die Staatsanwaltschaft, die im anderen Prozess gegen ihn eine 14-monatige Bewährungsstrafe für den Verkauf ebensolcher Nutzhanf-Blüten fordert. Die Begründung: Die von ihm vertrieben Blüten könnten – rein theoretisch – auch benutzt werden, um durch massenhaften Konsum einen Rausch herbeizuführen. Ein vor Gericht vorgelegtes Sachverständigengutachten, das APOTHEKE ADHOC vorliegt, kam zu dem Schluss, dass CBD „auch bei höherer Dosierung keine oder fast keine […] subjektiven oder objektiven Berauschungseffekte“ hervorrufe. Dafür seien höhere Wirkstoffmengen notwendig.
Auch das Gericht führt im Urteil selbst aus, wie ernst zu nehmen das Potenzial von Pietschs Ware für den Freizeitkonsum ist: „Eine orale Aufnahme durch Rauchen bis zur Auslösung eines Berauschungszustands ist nur sehr geübten Rauchern möglich, da Material in der Größenordnung von 10 bis 20 Zigaretten in kurzer Zeit geraucht werden müsste, was zu einer hohen Beanspruchung der Lunge führt.“
Dass es zumindest abwegig ist. sich mit CBD-Blüten zu berauschen, hält Pietsch deshalb für abwegig. „Das waren keine Freizeitkonsumenten, die da kamen, sondern solche, die Leiden damit kurieren wollen“, sagt er. Ihm gehe es nicht darum, Rauschmittel zu verkaufen, sondern Patienten die Möglichkeit zu geben, sich im Rahmen des gesetzlich erlaubten Rahmens Zugang zu Cannabisprodukten zu verschaffen. „Der Angeklagte ist davon überzeugt, dass CBD-Cannabis eine gesundheitsfördernde Wirkung bei vielen unterschiedlichen Krankheitsbildern entfaltet und es ist ihm ein Herzensanliegen, anderen Menschen CBD zur Linderung ihrer Leiden verfügbar zu machen“, erkannte entsprechend auch das Gericht an. Und damit war er offensichtlich nicht allein: „Mehrere Ärzte, Apotheker und Heilpraktiker aus der Region Freiburg und Lahr empfehlen die Hanfgeschäfte des Angeklagten ihren Kunden, um CBD-Produkte zu Gesundheitszwecken zu erwerben.“ Er weise darüber hinaus im Kundenkontakt stets darauf hin, dass er selbst keine medizinische Beratung leisten könne und dürfe.
„Ich habe das von Anfang an mit äußerster Sorgfalt und Seriosität angegangen und Ich sage Kunden oft, dass sie für CBD lieber einen Arzt ansprechen sollen, statt bei mir so viel Geld dafür auszugeben“, erzählt der 36-Jährige. Doch das scheitere eben oft an Vorbehalten unter den Ärzten oder an der Ablehnung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherrungen. „Es sind genau diese Menschen, die zu uns kommen und das regt mich auf.“ Er kämpfe dabei gar nicht für eine umfassende Freigabe von Cannabis. „Bei THC kann ich die Abwehrreaktion sogar nachvollziehen, da ist die Situation aber auch diffiziler.“ Wobei er auch dessen therapeutische Anwendung aus erster Hand kennt: Für sein Bronchialasthma erhält er Cannabis auf Rezept.
Und das solle auch anderen Patienten zugutekommen: er wolle eine bessere, sinnvollere Regulierung, die nicht dazu führe, dass Patienten eine nutzenbringende Therapie verwehrt werde, während „steuerzahlende Unternehmer wie ich wegen Nutzhanf vor Gericht gezerrt werden“, wie er sagt. „Statt, dass ich weiter Steuergelder generiere, werden da Steuergelder verbrannt. Es muss irgendetwas passieren, damit Menschen nicht mehr gezwungen sind, aus eigener Tasche CBD-Produkte zu zahlen, die ihnen helfen, leiden zu lindern, sondern verlässlichen Zugang über Ärzte und Apotheker erhalten.“
Dass er damit zumindest einen Teil seines eigenen Geschäftsmodells untergräbt, sei ihm vollkommen bewusst. Das sei aber auch gar kein Problem, weil er auch abseits dieser CBD-Produkte ein gut laufendes Geschäft habe und ohnehin keine wesentlichen Gewinne mit den CBD-Blüten gemacht habe – was auch das Gericht in seinem Urteil bestätigt.
Es gehe ihm schlicht um die „Lücke im System“, wie er sagt. Trotz des straffreien Urteils ist er deshalb in Berufung gegangen und wird ab März wieder vor Gericht stehen. Denn er wolle, dass endlich Rechtssicherheit hergestellt wird. „Ich habe der Richterin bereits angekündigt, dass ich zur Not bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen werde.“ Um seinen Punkt zu verdeutlichen, ist er erneut mit einer Selbstanzeige bei der Freiburger Staatsanwaltschaft vorstellig geworden. „Diesmal habe ich aber bedeutend mehr Hanfprodukte gekauft, um zu noch besser zu verdeutlichen, wie absurd die Rechtslage ist.“
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