Medizinalhanf

Cannabis: Zwischen Euphorie und Vorsicht

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Frankfurt/Berlin -

Cannabis auf Rezept – das war ein historischer Schritt auf dem deutschen Arzneimarkt. Schwerkranke können den Wirkstoff seit Mitte März in der Apotheke bekommen, ohne Sondererlaubnis. Und während viele die Blüten bisher selbst bezahlen mussten, sind die Krankenkassen nun verpflichtet, die Therapiekosten zu übernehmen.

Doch die Bilanz gut ein halbes Jahr später fällt gemischt aus. Bei etlichen Cannabis-Firmen herrscht zwar Goldgräberstimmung. Aber so mancher Arzt fühlt sich allein gelassen mit den neuen Ansätzen, und die Kassen sehen immense Zusatzausgaben auf sich zukommen.

Grundsätzlich kann der Cannabis-Wirkstoff THC etwa bei Multipler Sklerose und gegen chronische Schmerzen helfen. Auch Appetitlosigkeit bei Chemotherapien kann er lindern. In Kanada und in den USA ist die Behandlung mit Hanf längst ein Milliardenmarkt, ähnlich in Israel.

In Deutschland indes ist die Zielgruppe für Cannabis-Therapien noch klein. Nur rund 1000 Patienten hatten bisher eine Ausnahmegenehmigung zum Kauf für medizinische Zwecke. Mit der Liberalisierung wächst jedoch die Nachfrage: Im ersten Halbjahr seien über 10.000 Einheiten an Blüten ausgegeben worden, berichtet die ABDA. Die Zahl der verschriebenen Behandlungen sei seit März von Monat zu Monat kräftig gestiegen. Hinzu kämen etwa 12.500 Fertigarzneien.

Derzeit wird laut Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) medizinisches Cannabis vor allem aus den Niederlanden und Kanada importiert. Dabei soll es nicht bleiben. Deutschland hat Anfang März eine staatliche Cannabis-Agentur unter dem Dach des BfArM gegründet, um die Versorgung von Patienten sicherzustellen. Sie soll Hanf aber nicht selbst anbauen, sondern schreibt Aufträge EU-weit an Firmen aus, die sich dann um die deutschen Plantagen kümmern. Mit der ersten Ernte unter staatlicher Aufsicht rechnet das BfArM 2019.

Eines der Unternehmen, die hierzulande Cannabis-Wirkstoffe erforschen und verkaufen, ist Bionorica. Die Bayern verzeichnen ein anziehendes Geschäft. Es gebe ein „immens gestiegenes Interesse“ von Ärzten an Informationen über Cannabis-Therapien, sagt Firmen-Chef Professor Dr. Michael Popp.

Aber auch ausländische Anbieter drängen auf den Markt. Die aus Kanada stammende Tilray mit etwa 11.000 versorgten Patienten weltweit will Cannabis nach Deutschland importieren. „Wir beobachten ein großes Interesse bei Ärzten und Apothekern und wenig kulturelle Ablehnung“, sagt Deutschland-Chefin Marla Luther. Tilray forsche zudem an neuen Wirkstoffen und wolle in fünf bis zehn Jahren die Zulassungen haben.

Bei den Krankenkassen hingegen hält sich die Begeisterung angesichts hoher Kosten in Grenzen. Eine Cannabis-Therapie kostet im Monat im Schnitt 540 Euro – so wird es im neuen Gesetz veranschlagt. Bei der Bewilligung der Anträge hakt es, kritisiert Popp.

In den ersten zwei Monaten nach der Liberalisierung sei eine „mittlere vierstellige Zahl“ von Anträgen für Cannabinoide eingegangen, erklärt der GKV-Spitzenverband. „Deutlich über die Hälfte konnten positiv beschieden werden, da die gesetzlichen Anforderungen als erfüllt anzusehen waren.“ Einige Kassen bemängeln, dass Anträge nicht vollständig oder fehlerhaft seien. Oft gebe es keinen Nachweis, dass andere Behandlungsmethoden ausgeschöpft seien.

Die Kassen würden bei jedem zugelassenen verschreibungspflichtigen Medikament die Kosten übernehmen, betont der GKV. Anders als bei üblichen Medikamenten habe Cannabis aber nicht vorab über Studien nachweisen müssen, dass es sicher wirke. Auch verlässliche Daten zu möglichen Neben- und Wechselwirkungen mit anderen Substanzen fehlten.

Cannabis-Firmen wie THC Pharm aus Frankfurt sehen die Entwicklung differenziert. „Die Liberalisierung bedeutet einen großen Schritt nach vorn“, sagt Holger Rönitz, Direktor für Geschäftsentwicklung. „Aber es gibt auch viele neue Firmen, die das große Geschäft wittern und mit unhaltbaren Heilsversprechungen werben.“ Teils kursierten zudem halbseidene Studien. „Man kann auch nicht jeden Krebs mit medizinischem Cannabis lindern, wie manche behaupten.“

Und gerade bei Cannabis-Blüten komme es „zu einer Vermischung von Freizeitkonsum und medizinischem Bedarf“, sagt Rönitz. Wichtig sei, dass Schwerkranke Zugang zu schmerzlinderndem Cannabis oder den pharmazeutisch geprüften Inhaltsstoffen der Pflanze bekämen.

Ärztevertreter weisen auf lückenhafte Therapieerfahrungen hin. Es sei schwer, Verschreibungen genau zu begründen, wenn es auf Basis weniger Studien „keine gesicherte medizinische Indikation“ gebe, meint Dr. Josef Mischo aus dem Vorstand der Bundesärztekammer. Überdacht werden müsse zudem die Vorgabe, dass Cannabis nur abzurechnen ist, wenn gängige Schmerztherapien ausgeschöpft sind: „Auch schon in früheren Stadien versprechen sich Patienten etwas von Cannabis als Schmerzmittel.“

Ein regulierter Markt in Deutschland sei überfällig, da sind sich die Befürworter einig. „Mir war das Cannabis-als-Medizin-Gesetz ein
besonderes Anliegen, weil ich möchte, dass schwerkranke Patienten, denen Cannabis wirklich hilft, dieses auch erhalten können – in Arzneimittel-Qualität und auf Kosten der Krankenkassen“, sagt Marlene Mortler, Drogenbeauftragte der Bundesregierung. „Dass Ärzte und Krankenkassen jeden Fall genau prüfen, ist aber völlig richtig.“

Bei der Lizenzvergabe für Cannabis-Importe gibt es indes noch keinen Zuschlag für Lieferverträge. „Die Frist zur Teilnahme ist abgelaufen, das Verfahren aber noch nicht abgeschlossen“, erklärte das BfArM.

Bis Cannabis in einigen Jahren in Deutschland angebaut wird, könnte bereits das nächste Thema auf die Agenda rücken: Legalisierung auch für den privaten Verbrauch? FDP, Linke und Grüne machen sich für die Freigabe von Anbau und Besitz kleiner Mengen und einen kontrollierten Verkauf stark. In einer möglichen Jamaika-Koalition aus Union, Liberalen und Grünen könnte das „Gras“ daher für Unruhe sorgen – als wäre das Durcheinander beim medizinischen Cannabis nicht schon genug.

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