Die Freigabe von Cannabis als Genussmittel kommt – das haben SPD, Grüne und FDP im Koalitionsvertrag festgehalten. Die Branche frohlockt natürlich. Doch es mischen sich auch mahnende Stimmen in den Freudenchor: Apothekerin Melanie Dolfen kritisiert, dass die bisherigen Legalisierungspläne der Ampelparteien zu kurzsichtig seien. Die Politik dürfe es sich nicht zu einfach machen.
Bei den Cannabisunternehmen knallen die Sektkorken. Verständlich, schließlich dürfte in den kommenden Jahren in Deutschland ein neuer Milliardenmarkt entstehen und auch in Nachbarländern wie der Schweiz stehen die Zeichen bereits auf Legalisierung. „Jetzt ist der Weg frei — und wir sind bereit, als Marktführer die Entwicklung aktiv mitzugestalten. Nicht nur für Industrie und Konsumenten ist dieser Schritt richtig, auch der Staat kann sich auf 4,7 Milliarden Euro mehr durch Einsparungen in der Strafverfolgung und Steuereinnahmen freuen. Zudem können bis zu 27.000 neue Arbeitsplätze entstehen. Ein Gewinn also für die gesamte Gesellschaft”, erklärten bereits direkt nach Bekanntgabe des Koalitionsvertrages Jakob und Benedikt Sons, Gründer und Geschäftsführer von Cansativa, dem einzigen zugelassenen Großhändler für das in Deutschland produzierte BfArM-Cannabis.
„Wir freuen uns sehr darüber“, sagt auch Finn Hänsel, Gründer und CEO der Sanity Group. „Die Ampel-Parteien haben nun den Grundstein gelegt, die Details gilt es jedoch noch auszuarbeiten: Es braucht eine klare Gesetzeslage und Regulatorik, um unter anderem die Bedingungen für Anbau, Verarbeitung, Logistik und lizenzierten Vertrieb zu definieren und damit Qualitäts- und Versorgungssicherheit zu gewährleisten.“
Tatsächlich ist die Legalisierungsentscheidung zwar ein wichtiger, aber nur ein erster Schritt: Die voraussichtlich neue Bundesregierung hat viel Arbeit vor sich, die Regulierung auszugestalten. Der Branchenverband Cannabiswirtschaft (BvCW) steht deshalb längst in den Startlöchern, sich einzubringen: Der BvCW hat eigens eine Querschnittsarbeitsgruppe eingerichtet, die Vorschläge für alle relevanten Fragen fachlich begleiten soll. Legalisierungsfehler anderer Länder sollten in den anstehenden Prozessen möglichst vermieden werden. „Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit der neuen Regierung”, so Geschäftsführer Jürgen Neumeyer.
Es gibt aber auch mahnende Stimmen. Die von Melanie Dolfen beispielsweise, Inhaberin der Berliner Bezirks-Apotheken, die zu den größten Cannabisversorgern gehören. „Offensichtlich wollen die Ampel-Parteien das amerikanische Modell übernehmen. Aber mit ‚Qualität‘, ‚Keine Verunreinigungen‘ und ‚Jugendschutz‘ ist es nicht getan“, so Dolfen. „Das ist naiv. Warum dieser unkritische Blick, wo man es doch besser wissen könnte? Liegt es an möglichen Steuereinnahmen, dass die Politik da nicht genauer hinschaut?“
Ihre Forderung: Eine verantwortliche Cannabis-Legalisierung müsse den THC-Gehalt von Marihuana begrenzen. Das neue Ampel-Papier hingegen ignoriere das Thema THC-Grenzwerte. „Obwohl die Erfahrungen in USA und Kanada zeigen, dass die Freigabe einen Trend zu immer potenterem Cannabis auslöst. Obwohl viel dafür spricht, dass mit höheren THC-Gehalten auch die Gesundheitsrisiken steigen. Insbesondere was die psychische Gesundheit betrifft“, mahnt Dolfen. „Ich halte das für fahrlässig.“
Die Legalisierung in anderen Ländern zeige, „dass wir dringend auch über eine qualitative Regulierung nachdenken müssen“, so die Inhaberin. „Die Dosierung ist das Problem. Die Risiken sind groß und immer noch nicht umfassend untersucht und verstanden. Der Cannabis-Code ist noch nicht geknackt. Gerade die sogenannten Entourage-Effekte, bei denen es um komplexe Wechselwirkungen der verschiedenen Stoffe in den Pflanzen geht, geben der Wissenschaft nach wie vor Rätsel auf.“ Die Ausführungen der Ampelparteien würden diese Risiken verniedlichen, wenn sie den Eindruck erwecken, es komme nur auf Sauberkeit und Qualität an. „Das stimmt nicht: die Dosis macht das Gift. Deshalb brauchen wir THC-Grenzwerte und detaillierte Inhaltsangaben, die einen qualifizierten Freizeit-Gebrauch unterstützen.“
Dolfen plädiert dabei für eine Altersgrenze von 25 Jahren und Höchstabgabemengen. Darum müsse es auch eine unabhängige Instanz zwischen Herstellern und Konsumenten geben. „Cannabis-Stores der Apotheken könnten dafür eine gute Lösung sein“, so Dolfen. „Im Zentrum stünde die unabhängige Prüfung der Produkte und die Information der Kunden. Analog zu den Prüfverfahren, die Apotheken bei Medizinalcannabis nutzen. Die Kunden bekämen zuverlässige Inhaltsangaben. Außerdem hätten die Cannabis-Stores eine Beratungsfunktion über Wirkungen und Risiken.“
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