Bald neue Versorgungslücken?

Honorarärzte nur im Ausnahmefall erlaubt

, , Uhr aktualisiert am 04.06.2019 18:20 Uhr
Kassel -

Kliniken dürfen Ärzte nur im Ausnahmefall als freie Mitarbeiter beschäftigen. Das geht aus einem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom Dienstag hervor. Bisher griffen vor allem Kliniken im ländlichen Raum gern auf freiberufliche Mediziner zurück, um Personallücken zu schließen. Doch Honorarärzte seien keine Lösung für einen etwaigen Fachkräftemangel: „Krankenhäuser und Ärzte können die soweit bestehenden Probleme nicht dadurch lösen, dass sie einen Honorarvertrag vereinbaren“, sagte BSG-Präsident Rainer Schlegel.

Honorarärzte sind flexibel und zeitlich begrenzt einsetzbar. Für die Ärzte ist die Tätigkeit attraktiv, weil sie mehr Geld erhalten als bei einer Festanstellung. Doch die Deutsche Rentenversicherung war bei Überprüfungen zu dem Schluss gekommen, dass die Honorarärzte oftmals nicht wie Freiberufler beschäftigt werden, sondern wie abhängig Beschäftigte. Damit muss für sie Arbeitslosenversicherung und teilweise auch Rentenversicherung abgeführt werden. Dagegen hatten Mediziner, Kliniken und Krankenhausträger aus mehreren Bundesländern geklagt. Insgesamt wurden vor dem BSG am Dienstag elf Fälle verhandelt. Als Leitverfahren mit Vorbildfunktion wurde ein Fall aus Bayern ausgewählt, bei dem eine Fachärztin für Anästhesie
(Betäubung) im Tag- und Bereitschaftsdienst in zwei Kliniken des Landkreises Aichach-Friedberg gearbeitet hatte.

Die Medizinerin sei nicht freiberuflich tätig gewesen, urteilten die Richter: „Entscheidend ist, ob die Betroffenen weisungsgebunden beziehungsweise in eine Arbeitsorganisation eingegliedert sind.“ Das sei bei Ärzten in einem Krankenhaus regelmäßig gegeben. Unternehmerische Entscheidungsspielräume seien bei der Tätigkeit im Krankenhaus oft nicht gegeben. Im Vorfeld der Verhandlungen hatten sich die Streitparteien klare Regeln erhofft, wann ein Arzt als selbstständig gilt und wann nicht. Doch die Hoffnung wurde enttäuscht: „Das ist ein großer grauer Nebel, in dem die Dinge nur schwer zu fassen sind“, sagte der Vertreter der Deutschen Rentenversicherung. BSG-Präsident Schlegel erklärte, warum es keine exakte Definition gibt: „Dem Gesetzgeber war bewusst, dass er es nicht kann angesichts der Dynamik der Arbeitswelt.“

Juristen und Mediziner erwarten erhebliche Auswirkungen des Urteils: „Das aktuelle BSG-Urteil verschärft die Personalsituation deutscher Krankenhäuser und wird die Versorgungsrealität im deutschen Gesundheitswesen spürbar ändern“, sagte Sören Langner, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner der Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland. Ähnliches erwartet Nicolai Schäfer, Vorsitzender des Bundesverbands der Honorarärzte. Das Urteil werde die Zeitarbeit als Alternative zum Honorararzt fördern und Kosten erhöhen.

Auch Krankenhaus-Experte Volker Ettwig, Rechtsanwalt bei Tsambikakis & Partner in Berlin, warnt vor Versorgungslücken, die durch das Urteil entstehen könnten. „Denn die Richter haben ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein Versorgungsnotstand nicht als Rechtfertigung dafür dienen kann, zwingende sozialversicherungsrechtliche und arbeitsrechtliche Schutzgesetze auszuhebeln“, so Ettwig. Der Gesetzgeber müsse deshalb jetzt Klarheit schaffen. Krankenhäuser brauchen Rechtssicherheit.

Im Jahr 2016 habe die Bundesregierung bereits eine entsprechende Sonderregelung für Notärzte geschaffen, um einen drohenden Notstand abzuwenden. „Eine ähnliche Regelung für Honorarärzte könnte die schwerwiegenden rechtlichen Risiken für die Kliniken beseitigen“, so Ettwig, der Krankenhäuser in zahlreichen derartigen Verfahren vertritt und selbst über mehrjährige Berufserfahrung im Krankenhausbereich verfügt.

Besonders schwer wiege für die Krankenhausbetreiber nun strafrechtliche Risiko: „Geschäftsführer von Krankenhäusern müssen sich auf Verfahren wegen Sozialversicherungsbetrugs einstellen, wenn sie weitermachen wie bisher. Denn wer Sozialversicherungsbeiträge nicht abführt und dabei Steuern hinterzieht, kann sich strafbar machen“, so Ettwig. Bei Betriebsprüfungen werden demnach regelmäßig hohe Nachzahlungen für vermeintlich rechtswidrig nicht gezahlte Sozialversicherungsbeiträge fällig. Hinzu kämen zunehmend Ermittlungsverfahren gegen Inhaber von Vermittlungsagenturen und Geschäftsführer von Krankenhäusern wegen des Vorwurfs des Sozialversicherungsbetrugs und der Steuerhinterziehung. Gerade dieses strafrechtliche Risiko hat einen hohen Abschreckungseffekt.“

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