Fast 46.000 Euro forderte ein Apotheker aus Heinsberg von der AOK Rheinland/Hamburg zurück. Der Grund: Bei der Rückabwicklung des Kassenabschlags für 2009 soll die Kasse die Differenz spät gezahlt haben. Doch das Bundessozialgericht (BSG) wies die Klage des Apothekers und seiner Kollegen in acht weiteren Verfahren zurück. Jetzt liegt die Begründung der Urteile vom 8. Juli vor: Die Zahlungsfrist der Kassen gilt aus Sicht der Kasseler Richter nur für die normale Abrechnung, nicht für Nachzahlungen aus einem Schiedsverfahren.
Der Kassenabschlag für das Jahr 2009 war im Schiedsverfahren von 2,30 auf 1,75 Euro abgesenkt wurde. Im Mai 2010 hatte das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) den Schiedsspruch für sofort vollziehbar erklärt, die Kassen mussten die Differenz von 55 Cent pro verschreibungspflichtigem Arzneimittel auszahlen.
Aus Sicht des Steuerberaters Dr. Bernhard Bellinger sowie einiger seiner Kollegen aus dem Verbund Apo-Audit hatten etliche Kassen dabei die Zahlungsfrist von zehn Tagen überschritten, die den Anspruch auf den Abschlag begründet. Damit sei der Anspruch auf den kompletten Abschlag entfallen, so der Hintergrund hunderter Klagen, die Ende 2013 bei verschiedenen Sozialgerichten anhängig gemacht wurden. Allein für Bellingers Kanzlei waren es 560 Klagen gegen verschiedene Kassen für 105 Apotheker.
Neun Fälle waren in Musterprozessen per Sprungrevision zum BSG gekommen. Beklagt waren in diesen Prozessen die AOK Rheinland/Hamburg, die AOK Nordost, die Barmer GEK und die DAK-Gesundheit. In den Vorinstanzen hatten die Sozialgerichten Aachen und Berlin die Klagen abgewiesen. Das BSG bestätigte diese Entscheidungen letztinstanzlich.
Die Klage ist aus Sicht der Kasseler Richter unbegründet: Die Zehntagesfrist nach dem Sozialgesetzbuch (SGB V) gelte nur für die unmittelbare Abrechnung der im jeweiligen Vormonat erfolgten Arzneimittelabgaben, nicht aber für die Nachberechnung wegen der Anpassung des Abschlags von 2,30 auf 1,75 Euro, heißt es in der Begründung.
Der Anspruch auf den Abschlag ist aus Sicht des BSG im Jahr 2009 entstanden, weil die Kassen hier bei der ersten Abrechnung pünktlich gezahlt hätten. Den neuen Wert für den Abschlag hätten sie dort ohnehin noch nicht berücksichtigen können, da dieser erst im Mai 2010 feststand – und dies wiederum nur vorläufig. Erst mit dem außergerichtlichen Kompromiss zum Abschlag im Juni 2013 und der Rücknahme der Klage im Hauptsacheverfahren stand der Kassenabschlag für 2009 endgültig fest.
Eine Korrektur um 55 Cent pro Packung erforderte laut BSG ohnehin gar keine neue Rechnung. Entsprechend konnte eine neue Zahlungsfrist von zehn Tagen auch gar nicht ausgelöst werden. Zur Berechnung sei die Kasse schon allein auf Grundlage der Monatsabrechnungen des Rechenzentrums imstande gewesen, weil aus diesen Abrechnungen die notwendigen Daten hervorgingen, heißt es in der Begründung. Bemerkenswert: Die Kassen hatten seinerzeit explizit neue Rechnungen gefordert – mutmaßlich, um die Auszahlung zu verzögern.
Die Rechenzentren hätte sich laut BSG aber damit begnügen können, die Ansprüche der Apotheker – Anzahl Packungen mal 55 Cent – in einer „schlichten Forderungsübersicht zu beziffern, um der Beklagten zu verdeutlichen, welche Nachzahlungsbeträge nunmehr erwartet wurden“. Diese Beträge seien mit der Vollziehbarkeit des Schiedsspruchs im Mai 2010 unmittelbar fällig geworden. Auf eine rechtlich nicht erforderliche neue „Rechnung“, sei die Rabattregelung aber nicht anwendbar, so das BSG.
Die Kassenabschlag hat laut BSG den Zweck, den Kassen bei pünktlicher Zahlung einen vom Gesetzgeber erwünschten Einspareffekt zu bringen. Die Zehntagesfrist soll den Apotheken einen schnellen Ausgleich für die Vorfinanzierungskosten garantieren. Der Abschlag habe „den Charakter eines Skontos für die alsbaldige Zahlung“, heißt es in der Urteilsbegründung.
Die Frist ist laut BSG auf die Vergütungsdifferenz von 55 Cent je Packung aber nicht anwendbar, weil es hierfür einer erneuten Rechnungsstellung durch die Apotheken gar nicht bedurfte: „Das Recht zum Einbehalt des Apothekenabschlags ist verknüpft mit dem Eingang einer gesetzlich erforderlichen Rechnung einer Apotheke bei der Krankenkasse, gilt also nicht für 'entbehrliche' Rechnungen“, so das BSG.
Der Anspruch auf den Abschlag ist laut Urteil damit gegeben, wenn die Vergütung des Apothekers mit Abzug des aktuellen Apothekenabschlags binnen zehn Tagen nach Rechnungseingang gezahlt werde, „mag der Abschlag seiner Höhe nach zum Zeitpunkt der Zahlung auch nur vorläufigen Charakter haben“. Die Frist könne immer nur einmal und nicht, wie der Apotheker meine, zweimal laufen.
Dass es dem BSG mit der Zehntagesfrist grundsätzlich ernst ist, zeigt der Ausgang in einem anderen Verfahren. Demnach dürfen die Kassen den Abschlag tatsächlich nicht abziehen, wenn sie die Apotheker wegen unberechtigter Retaxationen zu spät bezahlen. Die Auffanggesellschaft der mittlerweile insolventen City BKK musste nach dieser Grundsatzentscheidung 165.000 Euro plus Zinsen an die klagenden Apotheker zurückzahlen.
Eine weitere millionenschwere Rückzahlung bleibt den Kassen nach der heutigen Entscheidung aus Kassel erspart. Die Klagen in den anderen ruhenden Verfahren werden vermutlich jetzt allesamt zurückgezogen.
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