Obwohl etliche Krankenkassen die Differenz beim Kassenabschlag für das Jahr 2009 zu spät zurückgezahlt haben, verlieren sie nicht den Anspruch auf den Zwangsrabatt. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) heute in insgesamt neun Verfahren entschieden. Aus Sicht der Kasseler Richter wäre diese Sanktion unverhältnismäßig gewesen. Damit laufen hunderte anhängige Klagen von Apothekern ins Leere und müssen jetzt zurückgenommen werden.
In dem Streit ging es um die Rückabwicklung des Kassenabschlags. Dieser war im Schiedsverfahren von 2,30 auf 1,75 Euro abgesenkt wurde. Als dieser Schiedsspruch im Mai 2010 gerichtlich als sofort vollziehbar erklärt wurde, mussten die Kassen die Differenz zum vorher abgerechneten Zwangsrabatt für 2009 auszahlen. Etliche Kassen überschritten dabei die Zahlungsfrist von zehn Tagen gegenüber den Apothekern, die den Anspruch auf den Abschlag begründet.
Aus Sicht des Steuerberaters Dr. Bernhard Bellinger sowie einiger seiner Kollegen aus dem Verbund Apo-Audit hatten die Kassen damit den Anspruch auf den kompletten Abschlag verwirkt. Um eine Verjährung zu verhindern, wurden Ende 2013 etliche Klagen bei Sozialgerichten anhängig gemacht. Allein für Bellingers Kanzlei waren es 560 Klagen gegen verschiedene Kassen für 105 Apotheker. Dabei ging es um einen Betrag von rund drei Millionen Euro.
In den Vorinstanzen hatte Bellinger in zwei Verfahren vor den Sozialgerichten Aachen und Berlin verloren – ein schlechtes Omen für die Verhandlung vor dem BSG. In den Musterprozessen hatte Bellinger neun Verfahren per Sprungrevision nach Kassel gebracht. Beklagt waren in diesen Prozessen die AOK Rheinland/Hamburg, die AOK Nordost, die Barmer GEK und die DAK-Gesundheit.
Das BSG wies die Klagen der Apotheker heute Mittag ab. Der entscheidende § 130 des Sozialgesetzbuches (SGB V) könne hier nicht zur Anwendung kommen, so die Begründung. Darin ist der Kassenabschlag geregelt. Im Gesetz heißt es zwar: „Die Gewährung des Abschlags setzt voraus, dass die Rechnung des Apothekers innerhalb von zehn Tagen nach Eingang bei der Krankenkasse beglichen wird.“ Für eine Teilrückzahlung findet dieser Passus aber aus Sicht des BSG keine Anwendung.
Im Kern ging es um die Frage, ob die beiden Zahlungen der Kassen als ein Vorgang zu sehen sind oder nicht. Denn die ersten Rechnungen hatten die Kassen damals pünktlich bezahlt – allerdings reduziert um den höheren Abschlag von 2,30 Euro. Bei der Rückzahlung der Differenz von 55 Cent pro verschreibungspflichtigem Arzneimittel hatten die beklagten Kassen dagegen die 10-Tages-Frist verstreichen lassen.
Daraus abzuleiten, die Kassen hätten damit gar keinen Anspruch mehr auf den Abschlag, erschien dem BSG als zu harte Sanktion. Die Urteilsgründe liegen noch nicht vor. Auch die Sozialgerichte hatten entschieden, dass die Zahlungsfrist nur bei der standardisierten monatlichen Abrechnung Anwendung findet.
Die Klagen in den anderen ruhenden Verfahren werden vermutlich jetzt allesamt zurückgezogen: „Es gab eine Grundsatzfrage zu klären, die ist jetzt beantwortet“, so Bellinger. Weitere Klagen hätten damit keine Aussicht auf Erfolg.
Dass sich der Kampf dennoch gelohnt hat, leitet der Steuerberater aus der halbstündigen Besprechung ab, die sich der Senat vor der Verkündung gegönnt habe. Die Sache sei in der Verhandlung noch offen gewesen, konstatiert Bellinger, am Ende habe das BSG leider gegen die Apotheker entschieden. Neben Vertretern der AOK Rheinland waren auch Beobachter des GKV-Spitzenverbands in Kassel vor Ort.
Dass es dem BSG mit der 10-Tages-Frist grundsätzlich ernst ist, zeigt der Ausgang in einem anderen Verfahren. Demnach dürfen die Kassen den Abschlag tatsächlich nicht abziehen, wenn sie die Apotheker wegen unberechtigter Retaxationen zu spät bezahlen. Die Auffanggesellschaft der mittlerweile insolventen City BKK musste nach dieser Grundsatzentscheidung 165.000 Euro plus Zinsen an die klagenden Apotheker zurückzahlen. Eine weitere millionenschwere Rückzahlung bleibt den Kassen nach der heutigen Entscheidung aus Kassel erspart.
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