16.000-Euro-Regress: Ärztin muss Apotheke umgehen Alexander Müller, 19.05.2015 12:09 Uhr
Apotheken werden retaxiert, wenn sie sich nicht an die Vorgaben der Krankenkassen halten. Doch auch ihren ärztlichen Kollegen drohen mitunter hohe Regresse, wenn sie das Wirtschaftlichkeitsgebot nicht beachten. Eine Ärztin aus Sachsen-Anhalt bekam 16.000 Euro gekürzt, weil sie einen Bluterpatienten mit den Rezepten in die Apotheke schickte. Aus Sicht der Kasse hätte sie die Medikamente günstiger direkt beim Hersteller bestellen müssen. Das Bundessozialgericht (BSG) gab jetzt der Kasse in letzter Instanz recht.
Gestritten wurde über Verordnungen von Gerinnungsfaktoren zwischen April 2006 und März 2007. Für dieses Jahr setzte die Kasse Regresse von insgesamt mehr als 16.000 Euro fest. Weil die Ärztin die Präparate nicht direkt bestellt hatte, sei der Kasse pro Quartal ein Schaden von rund 4000 Euro entstanden, so das Argument. Mitarbeiter der Kasse hätten die Ärztin zudem auf die Möglichkeit des Direktbezugs bei der Behandlung von Hämophilie-Patienten hingewiesen – sie sei daher im Sinne der Wirtschaftlichkeit auch dazu verpflichtet gewesen.
Die Ärztin legte zunächst erfolglos Widerspruch ein und klagte schließlich im Frühjahr 2009 vor dem Sozialgericht Magdeburg gegen die Bescheide. Sie könne nicht zu einem Direktbezug verpflichtet werden, argumentierte die Allgemeinmedizinerin. Die Praxis biete nicht die notwendigen Lagermöglichkeiten für die Medikamente. Zur Absicherung von Diebstahl, Vandalismus, Verfall oder sonstigen Schäden müsse sie ansonsten zudem deutlich höhere Prämien Haftpflichtversicherung in Kauf nehmen.
Während das Sozialgericht die Klage im Mai 2012 in erster Instanz abgewiesen hatte, gab das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Anfang 2014 der Ärztin Recht. Aus dem Arzneimittelgesetz (AMG) lasse sich keine Pflicht ableiten, die Patienten nicht über Apotheken zu versorgen, so das Argument. Doch das BSG erklärte nun in letzter Instanz die Regresse für rechtmäßig. Die Ärztin habe „gegen das unmittelbar verpflichtende Gebot der Wirtschaftlichkeit verstoßen“, so das BSG.
Die Urteilsgründe liegen noch nicht vor. Die Kasseler Richter gehen aber davon aus, dass die Ärztin den Gerinnungsfaktor direkt beim Hersteller hätte beziehen und selbst an den Patienten abgeben müssen. Die Allgemeinmedizinerin verfüge aufgrund ihrer Erfahrung über die geforderte Qualifikation, da seinerzeit ein formeller Nachweis der Qualifikation in Form einer Zusatzweiterbildung noch nicht möglich gewesen sei, heißt es beim BSG.
Seit 1998 dürfen Hersteller laut AMG ihre Gerinnungsfaktoren auch direkt an „hämostaseologisch qualifizierte Ärzte“ abgeben. Die Allgemeinmedizinerin hatte vorgetragen, sie sei nicht entsprechend qualifiziert. Die entsprechende Zusatzbezeichnung der Ärztekammer Sachsen-Anhalt nach Weiterbildung gab es jedoch erst ab 2007. Als qualifiziert konnte demnach zuvor jeder Arzt mit Erfahrung in diesem Bereich angesehen werden.
Das BSG verwies auch darauf, dass die Kasse die Ärztin ausdrücklich auf die Möglichkeit des Direktbezugs hingewiesen habe. „Daher war sie verpflichtet, diesen erheblich kostengünstigeren Bezugsweg zu wählen“, so die Kasseler Richter. Auch der Höhe nach sei der Regress nicht zu beanstanden, da bei Abgabe von Gerinnungsfaktoren – auch in Apotheken – kein Herstellerrabatt anfalle.
Mit Hinweis auf den Herstellerabschlag hatte das LSG in der Vorinstanz die Regress-Rechnung der Kasse noch für ermessensfehlerhaft erklärt. Abzüglich der Rabatte sei der Kasse nämlich nur ein Schaden von rund 6500 Euro entstanden.
Anders als nun das BSG konnten die Richter der Vorinstanz auch keine gesetzliche Grundlage sehen, die die Ärztin zum Direktbezug verpflichten könnte. Es sei nicht ersichtlich, warum dies für den Versicherten „in jedem Fall vorteilhafter sein soll, als die übliche und bewährte Versorgung über die Apotheke, bei der unter Berücksichtigung von Bereitschaftsdiensten regelmäßig ein wartezeitloser Zugang 'rund um die Uhr' gewährleistet ist“, hieß es in ihrer Urteilsbegründung. Wie das BSG die Pflicht zum Direktbezug für Ärzte begründet, wird sich erst aus den Urteilsgründen ergeben.
In einem ähnlichen Fall hatte vor einem Jahr das Bayerische Landessozialgericht (LSG) entschieden, dass Wirtschaftlichkeitsgründe bei der Zubereitung von Sterillösungen nicht alleine ausschlaggebend sind. In dem Fall hatte ein Arzt bei einer Apotheke monoklonale Antikörper als Rezeptur bestellt – obwohl er sie selbst hätte herstellen können. Ein Regress sei nicht möglich, weil die Praxis nicht verpflichtet gewesen sei, die Antikörper-Lösung selbst herzustellen, so die Richter. Die Anforderung als Rezepturen von einer Apotheke sei nicht unwirtschaftlich.