Die AvP-Pleite hat tausende Apotheken unverschuldet in finanzielle Nöte gerissen. Hätte das verhindert werden können? Die FDP-Bundestagsfraktion wollte vom Bundesgesundheitsministerium wissen, welche Sicherheitsmaßnahmen die Bundesregierung bei Factoring-Firmen im Gesundheitswesen vorsieht – und zeigt sich enttäuscht über die Antwort: Sie fordert politische Konsequenzen, um einen zweiten AvP-Fall zu verhindern. Das plant die Bundesregierung allerdings nicht. Sie verweist stattdessen darauf, dass ja niemand verpflichtet sei, ein Abrechnungszentrum zu nutzen und die Abrechnung mit Einführung des E-Rezepts ohnehin einfacher werde.
Die Bundesregierung sieht die Bafin nicht in der Pflicht, die Insolvenzsicherheit von Abrechnungsvermögen zu überwachen. „Es ist nicht Aufgabe der Finanzaufsicht zu untersuchen, ob und in welchem Umfang Factoringinstitute Treuhandkonten unterhalten oder diese zu überwachen“, so die Antwort auf eine kleine Anfrage des FDP-Gesundheitspolitikers Wieland Schinnenburg. Derzeit beaufsichtige die Bafin 69 Unternehmen, die Factoring-Dienstleistungen im Gesundheitswesen anbieten, von denen 57 Unternehmen Forderungen aus Dienstleistungen wie Behandlungen kaufen, drei Forderungen aus Warenlieferungen wie etwa Arzneimitteln und neun Forderungen aus den beiden Bereichen.
Und die Summen sind demnach gewaltig: Das jährliche Ankaufvolumen dieser betrage mindestens 48,2 Milliarden Euro, die Kundenzahl liegt insgesamt bei mindestens 192.000. „Hierbei handelt es sich um Gelder der Versicherten, die im Insolvenzfall eines Abrechnungsanbieters völlig ungesichert sind“, kritisiert Schinnenburg. Er fordere die Bundesregierung deshalb auf, dafür Sorge zu tragen, dass diese Gelder durch insolvenzfeste Treuhandkonten abgesichert werden müssen. So wisse die Bafin nicht einmal, welche Abrechnungshäuser die Gelder ihrer Kunden auf insolvenzfesten Konten sichern. „Der Bundesregierung liegen zu sogenannten Treuhandkontenmodellen keine Erkenntnisse vor“, so die Antwort. „Es ist nicht Aufgabe der Finanzaufsicht zu untersuchen, ob und in welchem Umfang Factoringinstitute Treuhandkonten unterhalten oder diese zu überwachen.“
Dabei haben Apotheken keine wirkliche Alternative dazu, sich auf die Abrechnungshäuser zu verlassen – oder etwa doch? „Die Entscheidung über die Inanspruchnahme eines Dritten zur Abrechnung erbrachter Leistungen ist eine privatwirtschaftliche Entscheidung. Sie ist nicht gesetzlich vorgeschrieben“, antwortet die Bundesregierung lapidar. Soll heißen: Wenn man Angst vor einem zweiten AvP-Fall hat, kann man seine Abrechnungen als Apotheken ja auch einfach selbst machen. Rein juristisch stimmt das natürlich – praktisch gesehen ist es für nahezu alle Apotheken hierzulande aber schlicht nicht umsetzbar. „Hält die Bundesregierung es für realistisch, dass Leistungserbringer im Gesundheitssystem Abrechnungen auch eigenständig durchführen könnten?“, wollten Schinnenburg und seine Fraktionskollegen daraufhin wissen – und erfuhren: nichts. Die Bundesregierung überging die Frage.
Stattdessen verwies sie darauf, dass die Abrechnung mit der Einführung des E-Rezepts einfacher werde. Denn sobald Ärzte und Zahnärzte verpflichtet sind, Rezepte elektronisch auszustellen und für deren Übermittlung Dienste und Komponenten der Telematikinfrastruktur zu nutzen, „werden unter anderem auch Abrechnungsprozesse in der Apotheke vereinfacht“, so die Regierung. „Denn mit der medienbruchfreien, digitalen Bereitstellung der Verordnungsdaten entfällt das aufwändige Scannen des Papier-Rezepts in der Apotheke.“ Darüber hinaus könne die Telematikinfrastruktur, „die zur Unterstützung einer sicheren digitalen Kommunikation derzeit im Gesundheitswesen auf- und ausgebaut wird“, auch für die sichere, digitale Übermittlung von Abrechnungsdaten der Leistungserbringer genutzt werden.
Entsprechend gering ist auch das Schutzniveau von Staatsseite. Dabei gab es laut Angaben der Bundesregierung auch 2018 bis 2020 bereits mehrere Hinweise auf Unregelmäßigkeiten bei Abrechnungs- und Factoringanbietern aus dem Gesundheitswesen. „Gegenstand dieser Informationen waren unter anderem das unerlaubte Betreiben von Factoringgeschäften, Mängel in der Geschäftsorganisation oder mögliche wirtschaftliche Schwierigkeiten“, so die Bundesregierung. „Die BaFin ist in allen diesen Fällen den Hinweisen umgehend nachgegangen, damit festgestellte Mängel durch das jeweilige Institut zeitnah abgestellt werden.
Akute Gefahr, dass es nach der AvP-Pleite zu einer weiteren Insolvenz eine Abrechners kommen könnte, sieht die Bundesregierung hingegen nicht. Es lägen „derzeit keine Erkenntnisse zu evidenten Risiken im Sinne der Fragestellung vor.“ Allerdings: Nach eigenen Angaben weiß die Bundesregierung auch nicht, wie viele Apotheken durch die AvP-Pleite in die Zahlungsunfähigkeit geraten sind. Die Aufsicht über die Factoring-Unternehmen müsse deshalb dringend verbessert werden, fordert Schinnenburg, „damit Insolvenzen von Abrechnungsanbieter nicht die Versorgungssicherheit im Gesundheitssystem gefährden“.
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