Bundesregierung verteidigt Versandverbot Patrick Hollstein, 27.10.2009 11:41 Uhr
Sechs Jahre ist es her, dass die Bundesregierung den Versandhandel sowohl von OTC-als auch Rx-Arzneimitteln in Deutschland freigegeben hat. Keinen Millimeter ist Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) seitdem - trotz „Ausfransungsdebatte“ - zurückgewichen. Im aktuellen Pilotverfahren zum Versandverbot für Tierarzneimittel zeigt Berlin eine überraschend andere Auffassung, was die persönliche Beratung vor Ort angeht.
Die Regelungen des deutschen Arzneimittelrechts dienten dem Gesundheitsschutz von Tier und Mensch, heißt es in der Antwort auf ein Schreiben der EU-Kommission. Daher sei bei apothekenpflichtigen Tierarzneimitteln „immer eine auf den Einzelfall bezogene Beratung durch den Tierarzt oder Apotheker“ vorgesehen.
„Apothekenpflichtige Tierarzneimittel müssen in der Apotheke oder beim Tierarzt erworben werden, so dass der Käufer (Tierhalter) nicht nur - aktiv - um eine Beratung nachsuchen kann, sondern es besteht die Möglichkeit, dass das Apothekenpersonal oder der Tierarzt von sich aus Behandlungs- und Anwendungshinweise geben, Warnungen aussprechen oder Nachfragen stellen können“, so die Bundesregierung. „Dies ist beispielsweise relevant, wenn ungewöhnlich große Mengen von Tierarzneimitteln verlangt werden.“
Anders als bei Humanarzneimitteln könnten wirtschaftliche Interessen insbesondere des Nutztierhalters ein „größeres Potential für einen unter Tiergesundheits-, Tierschutz- und Verbraucherschutzgesichtspunkten fragwürdigen Arzneimitteleinsatz“ bergen. Neben Arzneimittelrückständen in Lebensmitteln wird im Bereich der Haltung von Hobbytieren auch der Schutz des Menschen vor Zoonosen angeführt: Weil in diesem Bereich viele apothekenpflichtige Arzneimittel von Laien eingesetzt würden, seien „gerade hier eine auf den jeweiligen Einzelfall bezogene fachkundige Beratung und fachliche Hinweise besonders wichtig“.
Die Position der Bundesregierung ist klar: „An dem Versandhandelsverbot für apothekenpflichtige Tierarzneimittel nach §43 Absatz 5 des AMG ist festzuhalten. Dies stellt keine willkürliche Ungleichbehandlung der Gruppen von Human- und Tierarzneimitteln dar, sondern eine sachlich begründete Differenzierung.“
Und die geht so: „Der Mensch ist im Gegensatz zum Tier in der Lage, einerseits Eigenverantwortung für die Selbstmedikation zu übernehmen und andererseits seine Krankheitssymptome und die Notwendigkeit der Einbeziehung eines Arztes selber einzuschätzen und zu kommunizieren. Beim Tier fehlt die differenzierte Ausdrucksmöglichkeit über etwaige Krankheitssymptome weitgehend.“
Anders ausgedrückt: „Ob und inwieweit beim Tier Schäden und Leiden durch die Behandlung verursacht wurden - insbesondere bei nicht oder wenig offensichtlichen Nebenwirkungen - lässt sich durch den Tierhalter nicht beurteilen. Nebenwirkungen kann der Laie oftmals nicht auf die Anwendung eines Tierarzneimittels zurückführen.“ Denn der Tierarzneimittelanwender habe die Folgen der Anwendung von Tierarzneimitteln nicht unmittelbar zu erleiden oder zu tragen: „Die Behandlung erfolgt an Tieren.“
Berlin beruft sich auch auf eine den nationalen Regelungen zugrunde liegende EU-Richtlinie, in der der Vertrieb von Tierarzneimitteln strenger geregelt sei als der von Humanarzneimitteln, beispielsweise was Aufzeichnungs- und Genehmigungspflichten angeht: „Schon dies unterstreicht die besondere Stellung des Einzelhändlers bei dem Verkauf von Tierarzneimitteln. Beim Versandhandel von Tierarzneimitteln besteht zudem die Gefahr, dass in dem Mitgliedstaat nicht zugelassene Tierarzneimittel eingeführt werden.“
Auch der Einzelimport wird mit derselben Logik negiert: „Eine Einfuhr für den persönlichen Bedarf liegt nur vor, wenn der Einführer das Arzneimittel selbst, also für sich, benutzt. Sobald es an Dritte - auch an Tiere - verabreicht wird, liegt kein persönlicher Bedarf mehr vor.“