Gröhe plant Cannabisagentur dpa/APOTHEKE ADHOC, 01.11.2015 09:56 Uhr
Eine staatliche Cannabisagentur soll einem Zeitungsbericht zufolge künftig den Anbau und Handel von Cannabis zur Schmerztherapie in Deutschland regeln. Das gehe aus einem Gesetzesentwurf des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) hervor, der zur Prüfung im Kanzleramt liege, berichtet die „Welt am Sonntag“. Die Gesamtkoordination soll demnach beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) angesiedelt werden. Der Eigenanbau durch Patienten solle hingegen weiter verboten bleiben.
„Die Cannabisagentur schreibt den voraussichtlichen Bedarf an Medizinalhanf nach den Vorgaben des Vergaberechts aus, vergibt in wettbewerblichen Verfahren Aufträge über die Belieferung mit Medizinalhanf an Anbauer und schließt mit diesen zivilrechtliche Liefer- beziehungsweise Dienstleistungsverträge“, heißt es dem Bericht zufolge in dem Entwurf. „Die Cannabisagentur verkauft den Medizinalhanf anschließend insbesondere an Hersteller von Cannabisarzneimitteln, Großhändler und Apotheken.“
Auch der Preis, den Krankenkassen für jedes an Patienten abgegebene Präparat zahlen müssen, soll demnach von der Agentur festgelegt werden. Das Parlament solle in den kommenden Monaten eine entsprechende Änderung des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) beschließen.
Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler (CSU), hatte sich zu Jahresbeginn dafür ausgesprochen, Cannabis auf Rezept an chronisch kranke Schmerzpatienten abzugeben. Bauen diese in der eigenen Wohnung Hanfpflanzen an, geraten sie derzeit aufgrund der geltenden Gesetzeslage rasch ins Visier von Ermittlern. Besitz, Anbau und Handel sind verboten.
Seit 2005 können Patienten eine Ausnahmegenehmigung für den Erwerb von Cannabis zu medizinischen Zwecken erhalten. Der Vertrieb ist streng reguliert. Patienten, die eine Ausnahmegenehmigung bei der Bundesopiumstelle (BOPST) beantragen, müssen zunächst eine Apotheke benennen. Auch diese muss über eine Erlaubnis zum Erwerb und zur Abgabe von Cannabis verfügen. Derzeit haben laut BfArM 316 Apotheken eine solche Genehmigung.
Das Cannabis können die Apotheken über zwei Lieferanten beziehen: das schleswig-holsteinische Unternehmen Fagron und die niedersächsische Firma Chilla Clinical Trials Supply. Nur diese beiden Unternehmen haben eine Genehmigung zum Import von Cannabis nach Deutschland. Die Pflanzen beziehen sie vom Büro für Medizinisches Cannabis (BMC), einer Unterbehörde des niederländischen Gesundheitsministeriums. Zuletzt war das Cannabis wegen der erhöhten Nachfrage allerdings knapp geworden. Seit Februar ist die Lage laut Fagron-Geschäftsführerin Marije van Dalen wieder stabil, unter anderem weil die Produktion erhöht worden sei.
2007 hatte erstmals eine MS-Patientin eine Ausnahmegenehmigung erhalten. Ein Jahr später wurden 19 Genehmigungen erteilt, 2013 waren es schon 89. Im vergangenen Jahr erlaubte das BfArM 145 Patienten den Erwerb von Cannabis. Einen Grund für den zahlenmäßigen Anstieg der Anträge sieht das BfArM „in der erweiterten medialen Berichterstattung zu diesem Thema in den vergangenen Jahren“.
Die Ausnahmegenehmigung zu erhalten ist jedoch nicht das größte Problem der Patienten. Denn die Krankenkassen müssen Cannabisblüten nicht bezahlen. Der Grund: Es fehlt an einer entsprechenden Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). Diese sei bei einer neuen Behandlungsmethode aber Voraussetzung für eine Kostenerstattung, bestätigte zuletzt des Landessozialgericht Stuttgart.
Doch das Cannabis aus der Apotheke ist teuer. Daher hat das Kölner Verwaltungsgericht im Juli 2014 entschieden, dass Patienten ausnahmsweise privat Cannabis züchten dürfen. Voraussetzung ist laut Gericht, dass es keine Behandlungsalternativen gibt und Apotheken-Cannabis für die Patienten unerschwinglich ist. Das BfArM legte im September Berufung gegen das Urteil ein.
Der Deutsche Apothekertag hatte sich zuletzt für die Aufnahme von ärztlich verordnetem Cannabis sowie Zubereitungen mit chemisch definierten Cannabinoiden in den Leistungskatalog der Krankenkassen ausgesprochen. Es dürfe nicht von der wirtschaftlichen Situation der Patienten abhängen, ob sie Zugang zu einer therapeutisch indizierten Therapie mit Cannabis haben oder nicht.
Die Pharmazeuten sprachen sich gegen eine generelle Freigabe aus; Cannabis solle – wie andere Arzneimittel auch – verschreibungspflichtig sein und damit nur in Apotheken abgegeben werden. Nur auf diese Weise könne die Information und Beratung sichergestellt werden, insbesondere über die richtige Anwendung. Außerdem sei nur so zu gewährleisten, dass Patienten qualitativ einwandfreie Produkte erhielten.
Zuletzt hatte es in mehreren Städten Überlegungen oder sogar schon konkrete Vorstöße gegeben, Ausnahmegenehmigungen für die Abgabe von Cannabis zu erwirken, unter anderem in Düsseldorf, Bremen und Hamburg. Einen Antrag des Berliner Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg lehnte das BfArM ab.
Zuletzt hatte das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) in einem Eilverfahren eine Krankenkasse zur Erstattung von Cannabis-Extrakt-Tropfen für einen Schmerzpatienten verpflichtet. Cannabis sei zwar keine Regelleistung, im Fall des Patienten könnte aus Sicht der Richter aber eine Ausnahmeregelung greifen. In den meisten Streitfällen unterlagen bislang die Patienten.