Zyto-Ausschreibungen

„Den Praxen droht totales Chaos“

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Berlin -

Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) zu den Zyto-Retaxationen der AOK Hessen sieht Apotheker Dr. Christian Wegner nur noch eine Chance: Der Gesetzgeber müsse Ausschreibungen über Sterilrezepturen verbieten, fordert der Inhaber der Saale-Apotheke und des Herstellbetriebs Medipolis in Jena. Die Entscheidung ist für ihn „ein Desaster für die Sicherheit der Patientenversorgung“. Er kritisiert: „Das Urteil tritt die Patientenrechte mit Füßen.“

Wegner kann die Entscheidung nicht nachvollziehen: „Das ist ein vollkommen neuer Sachverhalt, dass die Wahlmöglichkeiten des Patienten derart eingeschränkt werden.“ Das Preisargument will der Apotheker nicht gelten lassen: Schließlich würden die Kosten bereits über die Hilfstaxe gedrückt, damit Selektivverträge unattraktiv seien. Genau das war das Argument des Deutschen Apothekerverbands (DAV), als den Kassen im vergangenen Jahr abermals höhere Rabatte auf Ausgangsstoffe eingeräumt wurden.

Wegner warnt vor den möglichen Folgen des Urteils: „Es kann passieren, was viele vor ein paar Jahren schon befürchtet haben: Dass ein umfangreicher Ausschreibungsmarkt entsteht, dass es weniger Teilnehmer gibt und damit letztlich auch höhere Preise.“ Ein weiteres Problem könnte aus seiner Sicht dadurch entstehen, dass Praxen künftig von unterschiedlichen Apotheken beliefert würden – je nach Kasse des jeweiligen Versicherten. „Den Praxen droht totales Chaos“, so Wegner.

Das größte Problem sind für ihn aber die künftig fehlenden Auffangstrukturen. Er erinnert an den Brand in der Berg-Apotheke im nordrhein-westfälischen Ibbenbüren, bei dem auch die Räume für die Sterilherstellung zerstört wurden. Mit Hilfe von anderen Apotheken und Lohnherstellern sei es knapp gelungen, die Versorgung aufrecht zu erhalten. „Aber diese Versorgungsredundanz wird es künftig nicht mehr geben“, warnt Wegner.

Ein Hoffnungsschimmer ist für ihn, dass bislang nur wenige Kassen von Ausschreibungen Gebrauch gemacht haben – „vielleicht, weil sie die Rechtslage anders als das BSG interpretiert haben, vielleicht aber auch, weil an der einen oder anderen Stelle noch die Vernunft regierte“. Allerdings gebe es auch Kassen, die unvernünftig seien.

Deshalb setzt er auf die Politik. Wegner hofft auf eine ähnliche Entwicklung wie nach dem ebenfalls umstrittenen Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Rezeptzuweisung über den Patientenring. Die Entscheidung hatte die Politik zum Anlass genommen, im GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) klarzustellen, dass das Zuweisungsverbot auch im Rahmen des Entlassmanagements gilt. „Auch jetzt müsste der Gesetzgeber eingreifen und entweder Ausschreibungen über parenterale Zubereitungen verbieten oder festschreiben, dass die freie Apothekenwahl auch dann gilt.“

Theoretisch könnte auch die Ausnahmeregelung zum Zuweisungsverbot gestrichen werden. Apotheker dürfen sich im Bereich der anwendungsfertigen Zytostatika-Rezepturen mit Ärzten absprechen und die Zubereitungen direkt in die Praxen liefern. Diese Regelung hatten die Kasseler Richter als Beleg dafür gesehen, dass Patienten faktisch ohnehin keine Wahlmöglichkeit haben.

Diese Ausnahmeregelung abzuschaffen, hält Wegner aber für keine gute Idee. Den Patienten künftig Zytostatika-Zubereitungen mit auf den Weg zu geben, sei keine Alternative. „Die Präparate haben ein toxisches Potenzial und müssen deshalb besonders behandelt werden.“ Zum Teil müssten sie auch gekühlt werden. Aus seiner Sicht ist es daher durchaus sinnvoll, dass Ärzte und Apotheker sich absprechen. Wegner kennt allerdings auch Fälle, in denen Patienten sich von einer anderen Apotheke beliefern lassen – die Richter in Kassel hatten dies als realitätsfern abgetan.

Seinen Optimismus hat Wegner trotz des BSG-Urteils nicht verloren: „Ich habe die Hoffnung, dass sich die Politik das nicht gefallen lässt – und handelt, bevor die Strukturen verschwunden sind.“

In dem Streit vor dem BSG ging es um Retaxationen der AOK Hessen gegen einen Apotheker, der Patienten mit Zytostatika versorgte, ohne Rabattpartner der Kasse zu sein. Das Gericht entschied, dass die AOK die Rechnung zu Recht auf Null gekürzt hatte: Einerseits hätten Patienten bei Zytostatika faktisch ohnehin kein Wahlrecht, andererseits habe die Kasse ein legitimes Interesse daran, exklusive Verträge abzuschließen, um Wirtschaftlichkeitsreserven zu heben.

In einem parallelen Verfahren, das noch beim Hessischen Landessozialgericht (LSG) in Darmstadt liegt, könnte es noch einmal spannend werden. In den Fällen hatten die Patienten der onkologischen Praxis ihre Rezepte tatsächlich ausgehändigt bekommen und diese selbst in der Apotheke ihrer Wahl eingelöst.

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