Wer als Arzt ab und zu in Notfallpraxen aushilft, geht laut einem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) keiner selbstständigen Tätigkeit nach und muss daher Rentenversicherungsbeiträge zahlen. Denn schon die Eingliederung in das vertragsärztliche System spreche für eine abhängige Beschäftigung. Die Ärzteverbände schlagen Alarm.
Ein Zahnarzt aus Baden-Württemberg hatte 2017 seine Praxis verkauft und war nicht mehr zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen. In den Folgejahren übernahm er überwiegend am Wochenende immer wieder Notdienste, die von der zuständigen Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZV) in einem eigenen Notdienstzentrum organisiert wurden.
Abgerechnet wurde ein festes Stundenhonorar; doch überraschenderweise war es der Zahnarzt, der sozialversicherungsrechtlich als Angestellter bewertet werden wollte. Er klagte gegen die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV), die ihn wegen seiner Teilnahme am vertragszahnärztlichen Notdienst als selbstständig tätig ansah.
Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab, doch laut BSG ist der Zahnarzt wegen seiner Eingliederung in die von der KZV organisierten Abläufe tatsächlich als beschäftigt einzustufen. Denn er habe auf die Abläufe keinen entscheidenden, erst recht keinen unternehmerischen Einfluss. „Er fand eine von dritter Seite organisierte Struktur vor, in der er sich fremdbestimmt einfügte.“
Auch dass er stundenweise bezahlt wurde, spreche für ein Abhängigkeitsverhältnis. „Er verfügte bereits nicht über eine Abrechnungsbefugnis, die für das Vertragszahnarztrecht eigentlich typisch ist. Dass der Kläger bei der konkreten medizinischen Behandlung als Zahnarzt frei und eigenverantwortlich handeln konnte, fällt nicht entscheidend ins Gewicht. Infolgedessen unterlag der Zahnarzt bei der vorliegenden Notdiensttätigkeit aufgrund Beschäftigung der Versicherungspflicht.“
Die Kassenärztliche Vereinigung in Baden-Württemberg (KVBW) hat umgehend Konsequenzen gezogen und mehrere Notfallpraxen geschlossen. Das Urteil habe mit sofortiger Wirkung eine bewährte Versorgungsstruktur der Notfalldienstversorgung faktisch außer Kraft gesetzt, so Dr. Brigitte Szaszi, Vorsitzende der Landesgruppe Baden-Württemberg im Virchowbund. „Heute ist ein schwarzer Tag für die ärztliche Versorgung unserer Patientinnen und Patienten. Das Urteil – und die explizite Weigerung der Politik eine Sonderregelung zu treffen – ist ein erneuter Schlag gegen die Ärzteschaft.“
Seit Monaten warnten ärztliche Verbände, Kassenärztliche Vereinigungen (KVen), die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), sowie die Bundesärztekammer davor, welche einschneidenden Folgen eine mögliche Sozialversicherungspflicht im ärztlichen Bereitschaftsdienst für die ambulante Versorgung hätte. Initiativen über den Bundesrat zu einer Sonderregelung für Ärzte zu kommen, scheiterten offenbar am Widerstand aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales.
Der Anteil der Poolärzte am Bereitschaftsdienst in Baden-Württemberg mache im Schnitt rund 40 Prozent aus, in manchen Regionen sogar 80 Prozent. Nun müssten die Versorgungsstrukturen der Notfallpraxen mit sofortiger Wirkung dramatisch verändert werden. „Ich befürchte ernsthaft, dass der Notdienst in Baden-Württemberg mit den Ärzten nicht mehr aufrechterhalten werden kann.“
Diese durch politische Untätigkeit verursachte Krise reihe sich ein in eine „lange Liste von Nadelstichen gegen Arztpraxen und die ärztliche Selbstverwaltung“, kritisiert Szaszi. Sie erwartet, dass sich der Ärztemangel im ambulanten Sektor weiter verschärfen wird. „Die Stimmung unter den Kollegen war vorher schon schlecht und sinkt nun noch tiefer. Kollegen, die bereits mit dem Gedanken gespielt haben, in Rente zu gehen, werden nun tatsächlich ihre Praxen aufgeben. Die Abwärtsspirale dreht sich. Die Praxen sind kurz vor dem Kollaps. Es ist wohl gewollt, das System vollends an die Wand zu fahren.“
Sie setzt nun auf den vereinten Druck von Ärzten und Patienten auf die Politik. „Wir müssen gemeinsam die Politik endlich wachrütteln, wieder vernünftige Rahmenbedingungen für unsere Gesundheitsversorgung zu schaffen.“
Auch aus anderen Ländern kommen Warnungen. Im Saarland etwa übernehmen laut KV in den 13 Bereitschaftsdienstpraxen rund 150 Poolärzte freiwillig ein Drittel der Dienste.
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