Streit um Strophantin-Kapseln

BSG: Rezeptur muss alternativlos sein

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Berlin -

Seit die fikitve Zulassung für das Fertigarzneimittel Strodival erloschen ist, stellen einige wenige Apotheken in ganz Deutschland Rezepturen mit Strophantin her. Eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen ist aber auf absolute Ausnahmefälle beschränkt. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden.

Herzpatient:innen sind auf Kapseln und Lösungen aus der Apotheke angewiesen, seit das Originalpräparat Strodival 2012 vom Markt ging. Die herzwirksamen Glykoside werden vor allem bei Herzschwäche eingesetzt, doch schon die Beschaffung der Urtinktur ist eine Herausforderung. Rund zehn Apotheken in Deutschland haben sich auf solche Rezepturen spezialisiert, darunter die Schloss-Apotheke in Koblenz, die Apotheke am Markt Ellwangen und die Schloss-Apotheke in Aulendorf.

Eine Patientin aus Bayern wird seit 2018 mit Kapseln à 3 mg Wirkstoff behandelt; sie hat bei ihrer Kasse die Kostenübernahme für mittlerweile 25 Verordnungen beantragt, insgesamt mehr als 12.000 Euro. Doch weder das Sozialgericht München (SG) noch das Landessozialgericht Bayern (LSG) gaben ihrer Klage gegen die Ablehnungs- und Widerspruchsbescheide der Kasse statt.

Das BSG erklärte die pauschale Ablehnung für unzulässig und ordnete jetzt eine erneute Prüfung durch das LSG an. Denn anders als bei Fertigarzneimitteln, wo eine fehlende Zulassung eine Erstattung grundsätzlich ausschließe, sei die Sache bei Rezepturarzneimitteln im Detail zu prüfen. Zu Unrecht sei das LSG jedenfalls davon ausgegangen, dass das Erlöschen der fiktiven Altzulassung auch jegliche Verordnungsfähigkeit eines Rezepturarzneimittels mit diesem Wirkstoff von vornherein ausschließe.

Grundsätzlich müssten auch bei Rezepturarzneimitteln die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit für die Verordnungsfähigkeit zulasten der GKV erwiesen sein; dies sei von den Krankenkassen und im Streitfall von den Sozialgerichten festzustellen. „Denn der Nachweis der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit ist für die Verordnungsfähigkeit des Medikaments zulasten der GKV unverzichtbar, um die Gesundheit der Patienten und die Beiträge der Versicherten zu schützen.“

Einzelfall genügt nicht

„Hierzu genügt es nicht, dass die Arzneimitteltherapie im Einzelfall nach Ansicht der behandelnden Ärzte positiv gewirkt haben soll und gegebenenfalls herkömmlichen Arzneimitteln vorzuziehen sei“, so das BSG. „Der individuelle Behandlungserfolg ist unerheblich. Vielmehr muss es zur Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen in dem Sinne geben, dass der Erfolg einer Behandlung in einer ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen belegt ist.“ Dies gelte umso mehr, als das vorliegende Krankheitsbild nicht selten, sondern medizinisch gut erforscht sei.

Daran hat das BSG selbst Zweifel: „Unter Berücksichtigung der bereits vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen und allgemein zugänglicher Quellen bestehen ernsthafte Zweifel, dass das Rezepturarzneimittel mit dem Wirkstoff gStrophanthin die Voraussetzungen des allgemeinen Qualitätsgebots und des Wirtschaftlichkeitsgebots erfüllt.“

Das eventuelle Fehlen valider Studien zur Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines Arzneimittels stelle jedenfalls „kein in den Verantwortungsbereich der GKV fallendes Systemversagen“ dar: „Die Verantwortung für den Nachweis der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines Arzneimittels hat der Gesetzgeber grundsätzlich in die Hände der pharmazeutischen Unternehmer bei Fertigarzneimitteln und der Hersteller bei Rezepturarzneimitteln gelegt.“

Besondere Schwere der Erkrankung?

Allenfalls eine besondere Schwere der Erkrankung könne die Behandlung rechtfertigen: Nach § 2 Absatz 1a SGB V können Versicherte „mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung [...] auch eine vom Qualitätsgebot abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht“.

Das LSG hatte sich nicht von der Einschätzung der behandelnden Ärztin überzeugen lassen, dass ein tödlicher Verlauf der Herzinsuffizienz der Patientin innerhalb von zwei Jahren ohne und innerhalb von fünf bis zehn Jahren mit Behandlung zu erwarten wäre. Für eine notstandsähnliche Situation wäre laut Vorinstanz ein tödlicher Verlauf innerhalb eines kürzeren Zeitraums erforderlich.

Diese pauschale Ablehnung lässt das BSG mit Verweis auf seine bisherige Rechtssprechung nicht gelten. Es fehlten konkrete Feststellungen zum damaligen Zustand der Herzerkrankung, der Verlaufsprognose und zum Behandlungszeitfenster für die angestrebte Lebenserhaltung. Und die Beweislast liege auch nicht bei der Versicherten, wenn gleichzeitig das von ihr beantragte Sachverständigengutachten durch das Gericht abgelehnt worden sei.

Therapieoptionen ausgeschöpft?

Allerdings dämpft das BSG zugleich die Erwartungen: „Sollte das LSG in dem wiedereröffneten Berufungsverfahren eine Notstandssituation bejahen, wären auch noch Feststellungen zur Ausschöpfung der Standard-Behandlungsmöglichkeiten und dazu zu treffen, ob mit dem Rezepturarzneimittel eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.“

Ohne eine absolute Kontraindikation könne der Verweis auf eine grundsätzlich zur Verfügung stehende Standardtherapie nur in eng begrenzten Einzelfällen unzumutbar sein. „Dies könnte etwa dann der Fall sein, wenn ein Arzneimittel für eine von seiner Zulassung nicht erfasste Indikation eine so hohe Evidenz für seine Wirksamkeit aufweist, dass eine Zulassungserweiterung in naher Zukunft zu erwarten ist“, so das BSG.

Erforderlich wäre ferner, dass die Standardtherapie zu Nebenwirkungen führt, die sich zu einer schwerwiegenden Erkrankung entwickeln könnten oder gar Bestandteil der Behandlung seien. Als Beispiel nennen die Richter Amputationen bei Sepsis oder Gasbrand. „Der vorliegende Sachverhalt bietet für eine solche Fallgestaltung aber keine Anhaltspunkte.“

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