Das Bundessozialgericht (BSG) hat die Retaxationen der AOK Bayern bei der Abrechnung von Verwürfen für unrechtmäßig erklärt. Die Urteilsgründe liegen noch nicht vor, das Gericht hat seine Entscheidungsgründe aber jetzt in einem Terminbericht näher ausgeführt. Demnach haben die Verbände der Krankenkassen und Apotheker ihren Gestaltungsspielraum als Vertragspartner bei der Vereinbarung der Hilfstaxe nicht überschritten.
Die AOK Bayern hatte in mehreren Fällen im Jahr 2012 Verwürfe retaxiert, dagegen hatte der betroffene Apotheker geklagt und in erster Instanz vor dem Sozialgericht Nürnberg auch Recht bekommen. Die Revision der AOK blieb nach der gestrigen mündlichen Verhandlung vor dem BSG ohne Erfolg: „Zutreffend ist das Sozialgericht davon ausgegangen, dass ungenutzte Teilmengen zytostatikahaltiger Arzneimittelzubereitungen als so genannter Verwurf gesondert zu vergüten sind, wenn diese nicht innerhalb von 24 Stunden in weiteren Rezepturen verwendet werden konnten und wirkstoffbezogene Sonderregelungen nicht vorgehen“, heißt es im Terminbericht.
Rechtsgrundlage sind § 129 Absatz 1 Sozialgesetzbuch V (SGB V), ergänzende Vereinbarungen auf Bundes- und Landesebene sowie Vergütungsregelungen zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem Deutschen Apothekerverband (DAV). Denn die Selbstverwaltung wird in § 78 Arzneimittelgesetz (AMG) und § 5 Absatz 5 Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) verpflichtet, abweichende Preisberechnung von in Apotheken angefertigten Zubereitungen aus Stoffen vorzunehmen.
Gestützt darauf hätten sich GKV-Spitzenverband und DAV auf ein Preisbildungsverfahren für Verwürfe verständigt. Auf Vorschlag einer eigens eingerichteten technischen Kommission würden für bestimmte Rezepturen Fest- oder Rezepturzuschläge sowie Stoff- und Gefäßpreise vereinbart. Diese Kommission bestehe aus je bis zu fünf Vertretern der Vertragspartner. Die vereinbarten Preise würden jährlich überprüft, jede Seite könne widersprechen.
Unvermeidbare Verwürfe sind nach diesem Regelwerk abrechnungsfähig, sofern entweder im Einzelnen angeführte wirkstoffbezogene Vorgaben eingehalten sind oder – für dort nicht aufgeführte Stoffe – die Teilmenge „nachweislich nicht innerhalb von 24 Stunden in einer weiteren Rezeptur verwendet werden konnte“ (Anlage 3 Teil 1 Ziffer 3.8 Buchstabe c). Sofern es keine ausdrückliche wirkstoffbezogene Regelung gibt, kommt diese 24-Stunden-Regelung also zur Anwendung.
Das BSG hatte keinen Zweifel, dass GKV-Spitzenverband und DAV genau das wollen, was sie in ihren Vertrag geschrieben haben: „Schon nach den allgemeinen Grundsätzen sind die von den Vertragspartnern getroffenen Regelungen wie andere Normenverträge in der gesetzlichen Krankenversicherung ihrer Funktion wegen eng am Wortlaut orientiert auszulegen“.
Hier komme hinzu, dass die Wirkung des Vertrags nur eintrete, soweit sich beide Seiten einvernehmlich auf von der Auffanglösung abweichende Vorgaben verständigt haben. „Das schließt es aus, die Abrechnungsfähigkeit eines hiervon erfassten Verwurfs von weiteren, dort nicht angeführten Voraussetzungen abhängig zu machen“, so das BSG.
Es sei nicht ersichtlich, „dass dieses Ergebnis wegen Überschreitung des Gestaltungsspielraums der Vertragspartner oder Verletzung des Wirtschaftlichkeitsgebots unbeachtlich wäre“, so das Gericht.
Eine Sprecherin des Senats führte gegenüber APOTHEKE ADHOC weiter aus, dass die AOK Bayern ihr Anliegen zunächst in den eigenen Reihen – also gegenüber dem AOK-Bundesverband oder dem GKV-Spitzenverband – hätte klären müssen. „Das ist nicht der richtige Weg, das über die Gerichte zu machen.“ Immerhin habe es zwischenzeitlich Verhandlungen der Vertragspartner, aber eben keine Anpassung der Verwurfsregelung gegeben. „Wenn die Vertragspartner keine Änderung herbeiführen, ist das offensichtlich so gewollt. Das ist die Inkarnation des Wirtschaftlichkeitsgebots“, so die Sprecherin.
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