Vertragsverletzungsverfahren wird eingestellt

Brüssel winkt Rx-Boni-Verbot durch

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Berlin -

Die EU-Kommission will das Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen des Rx-Boni-Verbots einstellen. Das hat die Brüsseler Behörde gegenüber den betroffenen Versendern mitgeteilt. Das Handelsblatt hatte zuerst berichtet und zitiert auch aus dem Schreiben an DocMorris & Co.

Juristisch hat Brüssel dem zitierten Schreiben zufolge immer noch Bedenken gegen das Rx-Boni-Verbot. Doch offenbar hat die Corona-Pandemie zu der Erkenntnis geführt, wie wertvoll und notwendig eine flächendeckende Versorgung mit Apotheken ist. Ein DocMorris-Sprecher kritisierte gegenüber APOTHEKE ADHOC, die Einstellung des Verfahrens erfolge „aus politischen Gründen“.

Die Kommission beruft sich demnach auf ihren „Ermessensspielraum“. Die deutschen Vor-Ort-Apotheken stünden durch den digitalen Wandel vor Herausforderungen. Brüssel vertrete daher die Auffassung, „dass eine Anfechtung der nationalen Preispolitik gerade jetzt und vor dem Hintergrund der Covid-19-Pandemie nicht unbedingt zu diesem Umstellungsprozess beitragen würde“, zitiert das Handelsblatt weiter aus dem Schreiben. Die Konkurrenz durch Versender könne diesen „wichtigen, aber gerade erst anlaufenden Transformationsprozess stören und gefährden“.

Die Generaldirektion für Binnenmarkt hat die EU-Versender informiert, dass das Verfahren eingestellt werden soll. Man werde dem Kommissionskollegium vorschlagen, der Beschwerde gegen Deutschland „nicht weiter nachzugehen“, so der Bericht. Wenn das Vertragsverletzungsverfahren eingestellt wird, könnten die betroffenen Versender immer noch selbst ein Verfahren vor dem EuGH anstrengen, die Chancen stünden aber wohl deutlich schlechter.

Diesen Schritt hatten die Versender angekündigt, nachdem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) das Rx-Boni-Verbot mit dem Apothekenstärkungsgesetz (VOASG) ins Sozialgesetzbuch V (SGB V) überführt hatte. So sollte es dem Zugriff Brüssels entzogen werden, weil die Gesundheitsversorgung Sache der Mitgliedstaaten ist. Die EU-Versender hatten darin eine Umgehung des Boni-Verbots gesehen. Spahn wiederum war immer wieder zu Gesprächen bei EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton. Die Bundesregierung hatte zudem ein Gutachten mit den Auswirkungen auf den deutschen Markt in Brüssel vorgelegt.

Grundsätzlich sieht die Kommission das Rx-Boni-Verbot laut Handelsblatt-Bericht schon als Beschränkung des freien Warenverkehrs. Die Maßnahme sei geeignet, „den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern“. Der Preiswettbewerb scheine den Anspruch der Patient:innen auf medizinische Versorgung nicht zu beeinträchtigen. Brüssel sieht eher Einsparmöglichkeiten für die Krankenkassen. Zudem müssten Versicherte in Deutschland etwa beim Zahnersatz auch selbst Preisvergleiche anstellen – Preisnachlässe würden also nicht grundsätzlich die Prinzipien der GKV untergraben.

Das Handelsblatt führt zudem eine Korrespondenz zwischen dem niederländischen Wirtschaftsministerium mit EU-Binnenmarktkommissar Breton an. Demnach beschweren sich die Niederländer über die deutsche Regelung. Breton hat demnach ebenfalls geantwortet, dass man die Apotheken „im digitalen Wandel unterstützen“ müsse. Es sei erforderlich, eine „belastbare Apothekeninfrastruktur für die Zeit nach Covid-19“ sicherzustellen.

Das Vertragsverletzungsverfahren hatte die EU-Kommission schon 2013 gegen Deutschland eröffnet, als der Gesetzgeber klargestellt hatte, dass sich auch ausländische Versender hierzulande an die deutschen Preisvorschriften halten müssen. Zu einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) kam es aber in dieser Sache nie, weil zwischenzeitlich schon das Oberlandesgericht Düsseldorf einen Fall zu DocMorris-Boni zur Vorabentscheidung in Luxemburg vorgelegt hatte. Der EuGH entschied im Oktober 2016, dass EU-Versendern Rabatte bei der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel gewähren dürfen. So sollte ihnen der Zugang zum deutschen Markt erleichtert werden.

Nach dem EuGH-Urteil war die Bundesregierung erst recht unter Zugzwang. Eine generelle Aufgabe der Preisbindung für Arzneimittel kam nicht infrage. Weil sich nach dem EuGH-Urteil aber nur noch inländische Apotheken an die Preisbindung halten mussten, war im Koalitionsvertrag vorgesehen, den Rx-Versandhandel komplett zu verbieten. Das scheiterte aber einer Mischung aus juristischen Bedenken und politischem Unwillen. Als Kompromiss hatte Spahn das Rx-Boni-Verbot SGB V verankert.

DocMorris sieht sich durch die Ausführungen der Kommission einem Sprecher zufolge darin bestätigt, „dass das Rx-Boni-Verbot des VOASG unionsrechtswidrig ist“. Bei der Zur Rose Tochter stößt es auf Unverständnis, dass das Vertragsverletzungsverfahren „aus politischen Gründen“ eingestellt werden soll. „Die Kommission ist allerdings nicht gehindert, ein neues Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, wenn die Preisbindung fortbesteht“, so die Hoffnung bei DocMorris. Der Brief der EU-Kommission sei ein „Paradigmenwechsel“ in der Begründung für das Einstellen solcher Verfahren. Damit werden das Binnenmarktrecht „aus politischen Erwägungen ausgehebelt“. Das war laut dem DocMorris-Sprecher nicht vorhersehbar.

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