Für Aufregung sorgt ein neuer Verordnungsvorschlag der EU-Kommission zur sogenannten Gesundheitstechnologie. Die Brüsseler Behörde will die Nutzenbewertung neuer Arzneien und Medizinprodukte europaweit vereinheitlichen. Die Mitgliedstaaten sollen demnach künftig gemeinsam überprüfen, ob zum Beispiel ein neu zugelassenes Medikament besser wirkt als ein herkömmliches oder ob ein neuer Test für Patienten Vorteile bringt. Nationale Bewertungen, die in Deutschland über das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) erfolgen, soll es demnach nicht mehr geben, auch keine späteren Nutzenbewertungen.
Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) begrüßt grundsätzlich die Absicht, ein einheitliches europäisches Vorgehen für die klinische Bewertung von Arzneimitteln zu etablieren. Hauptgeschäftsführer Dr. Martin Weiser will die nationale Hoheit aber nicht preisgeben: „Wichtig ist, dass Erstattung und Preisgestaltung von Arzneimitteln weiterhin in nationaler Kompetenz bleiben. Um lokale Versorgungsrealitäten zu berücksichtigen, muss nationalen Entscheidungskompetenzen genügend Spielraum gelassen werden.“
Kritisch bewertet der BAH zudem, dass Medizinprodukte der Klassen IIb und III sowie In-vitro-Diagnostika in dem Verordnungsentwurf berücksichtigt werden. Mit der erst vor neun Monaten in Kraft getretenen Medizinproduktverordnung kämen somit auf die Hersteller erweiterte Anforderungen zu, die nun nochmals verschärft werden würden.
Auf heftige Kritik stößt der Vorstoß bei der AOK: Deutschland sei das Land in Europa, in dem Patienten unmittelbar Zugang zu allen neuen zugelassenen Arzneimitteln hätten. „Die Nutzenbewertung ist daher unsere einzige Möglichkeit, wirklich innovative und gute Arzneimittel von Nachahmerprodukten zu trennen und die Preise zu verhandeln“, so Verbandschef Martin Litsch. „Wird uns hierzulande die eigene frühe Nutzenbewertung genommen, sind alle auf EU-Ebene zugelassenen Arzneimittel und Medizinprodukte nicht nur schnell, sondern langfristig auch ohne differenzierte Bewertung auf dem Markt, mit allen Nachteilen, die das für Patienten haben kann.“
Positiver bewertet der Verband der forschenden Arznemittelhersteller (vfa) den Plan: Von der jetzt beginnenden Debatte über europäische Standards in der Nutzenbewertung könne Deutschland profitieren. „Vor allem die engere Verzahnung von Zulassungsbehörden und Nutzenbewertungsinstanzen im Arzneimittelsektor wäre ein echter Schritt nach vorne. Ein Konsens, wie Arzneimittelstudien gestaltet sein sollten, würde allen Beteiligten bei der Umsetzung helfen“, so Hauptgeschäftsführerin Birgit Fischer.
Nein sagt dazu der GKV-Spitzenverband: „Diesen Schritt können wir nicht gut heißen, denn wir befürchten die Absenkung der hohen Standards, die wir in Deutschland für die Bewertung von neuen Medikamenten haben. Zusammenarbeit der EU-Mitglieder bei der wissenschaftlichen Bewertung von neuen Arzneimitteln ja, aber eine Absenkung des Niveaus durch Vereinheitlichung auf einem niedrigeren Standard nein“, so Vorstandsvize Johann-Magnus von Stackelberg.
Der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese sieht in dem Vorschlag einen Fortschritt. Bislang müssten die Hersteller in allen Mitgliedstaaten getrennt nachweisen, ob ein neues Medikament auch tatsächlich besser wirke als eine bisher schon finanzierte Vergleichstherapie. „Dies ist aus meiner Sicht unnötige Doppelarbeit. Es kann aus wissenschaftlicher Sicht nicht sein, dass ein Medikament in Deutschland das Leben im Schnitt um acht Monate verlängert aber in Frankreich nur um einen Monat oder um 18 Monate“, so Liese.
Das jetzige System führe zu Fehlinvestitionen. „Wir müssen allerdings streng darauf achten, dass die Kompetenzen der Mitgliedstaaten beachten werden“, so Liese. Für die Frage, ob ein Medikament erstattet werde, sei nicht Europa, sondern das nationale Gesundheitswesen zuständig. Liese: „Wer die Musik bestellt muss sie auch zahlen. Da Europa nicht bereit ist die Kosten zu tragen, kann die EU den Mitgliedstaaten in diesem Bereich auch keine Vorschriften machen.“
Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis sieht im Vorschlag „das Potenzial für eine Revolution im Gesundheitswesen“. Ziel sei, durch vereinheitlichte Bewertungsverfahren Patienten in ganz Europa möglichst rasch Zugang zu echten Innovationen zu ermöglichen. Scheininnovationen ohne echten Zusatznutzen könnten indes rascherer identifiziert werden, sagte Andriukaitis. Das helfe zu sparen. Für Hersteller würden Bewertungsverfahren verlässlicher.
APOTHEKE ADHOC Debatte