Verwirrung um UK-Verordnungen

Brexit: Dürfen britische Rezepte noch bedient werden?

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Berlin -

Die halbwegs gütliche Trennung Großbritanniens von der Europäischen Union war eine Mammutaufgabe, die beide Parteien buchstäblich in letzter Sekunde gelöst haben – mehr oder weniger. Das an Heiligabend verkündete Abkommen ist nämlich nach wie vor work in progress: Die offenen Detailfragen sind Legion und scheinbar wissen oftmals nicht mal die Behörden auf beiden Seiten so genau, wie der aktuelle Rechtsstand so ist. Das bekommen derzeit auch Apotheken zu spüren. Was tun, wenn ein Patient mit einem Telemedizin-Rezept aus Großbritannien in die Offizin kommt? Dazu weiß jeder etwas anderes zu berichten.

Der Vertrag zwischen EU und UK ist urlaubsfüllende Lektüre: Auf 1256 Seiten werden von der Übermittlung forensischer DNA-Daten bis zum Handel mit Schnaps und Essig Legionen an Detailfragen geklärt. Und geklärt ist oftmals schon recht viel gesagt: Ungezählte Fragen sind nach wie vor offen. Erst am Montag haben die Ausschüsse des EU-Parlaments begonnen, den Vertrag zu prüfen und bereits angekündigt, dass noch einiger Nachbesserungsbedarf bestehen könnte. Viele dieser offenen Punkte sind von konkreter praktischer Bedeutung: Was tue ich beispielsweise, wenn mir am HV ein Rezept aus Großbritannien vorgelegt wird?

Das muss nicht unbedingt durch Touristen oder Geschäftsreisende geschehen: Auch Telemedizin-Anbieter wie Fernarzt.com arbeiteten bisher mit Ärzten zusammen, die in Großbritannien ansässig sind. Erst vergangene Woche erhielt Apotheker Josef Kowalski* eine solche Verordnung in seiner Apotheke vorgehalten – und konnte sie nicht bedienen, weil er nicht wusste, was zu tun ist. Also griff er vergeblich zum Telefonhörer. „Nach wie vor konnte uns keine Stelle zur Gültigkeit von solchen Verordnungen nach dem Brexit Auskunft erteilen“, sagt er. Dabei, so sollte man denken, ist die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung nicht gerade ein kleines Randthema.

Doch die Angaben sind widersprüchlich: „Grundsätzlich scheidet das Vereinigte Königreich am 1. Januar 2021 aus dem Regulierungssystem der EU für Arzneimittel und Medizinprodukte aus“, heißt es dazu auf der Seite des Bundesgesundheitsministeriums (BMG). Tatsächlich ist es natürlich etwas komplizierter.

Das Abkommen begründe nämlich eine umfassende Wirtschaftspartnerschaft, die einen bedeutenden Beitrag zur Sicherstellung der ununterbrochenen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln, Impfstoffen und Medizinprodukten leiste. Zumindest Arzneimittel und Medizinprodukte, die vor Ende der Übergangszeit rechtmäßig in Verkehr gebracht worden sind, dürfen demnach auch noch nach der Übergangszeit auf den Märkten der EU und Großbritanniens weiter gehandelt werden, bis sie ihre Endverbraucher erreicht haben. Das ist zwar beruhigend, sagt aber noch nichts über die Belieferungsfähigkeit von Arzneimittelverordnungen.

Zumindest für die medizinische Versorgung im Allgemeinen gilt laut BMG-Seite: „Ab dem 1. Januar 2021 ist eine Inanspruchnahme von Leistungen auf Basis der im Vereinigten Königreich ausgestellten Europäischen Krankenversicherungskarte (EHIC) oder Provisorischen Ersatzbescheinigung (PEB) weiterhin möglich. Daher bleibt auch ein Kassenrezept weiterhin gültig und kann beim Leistungserbringer eingelöst werden.“ Was macht aber ein in Deutschland versicherter Patient mit einem britischen Rezept? Das ist noch nicht ganz klar und wird deshalb erst einmal so gehandhabt wie bisher, erklärt das BMG: „Derzeit werden auf EU-Ebene im Hinblick auf das Brexit-Abkommen verschiedene Fragen geprüft. Dazu gehört auch die Frage der Anerkennung von
Verschreibungen über Arzneimittel“, so ein Sprecher auf Anfrage. „Die Schaffung von insofern neuen Regelungen wird geprüft werden, sofern sich dies als notwendig herausstellen sollte.“

Ähnlich sieht es der Bundesverband der Arzneimittelhersteller – zieht daraus aber den entgegengesetzten Schluss. Denn relativ weit hinten im Abkommen befinden sich umfangreiche Listen mit den Vorbehalten von EU-Mitgliedstaaten zu bestimmten Regelungen, darunter neben ärztlichen Verordnungen auch mehrmals die Forderung einzelner Staaten, dass der Versand von Rx-Arzneimitteln aus Großbritannien zu verbieten sei. „Wir gehen davon aus, dass man sich hier erst noch um Regelungen bemüht. Dies würde bedeuten, dass Verschreibungen ab dem 1. Januar erst einmal nicht mehr gelten“, so ein BAH-Sprecher, der aber gleich hinterherschiebt, dass es sich dabei vorerst um eine „vorsichtige Einschätzung“ handele.

Weniger vorsichtig klingt das hingegen bei der Abda: „Nach unserer Auffassung sind mit dem Wirksamwerden des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union Verschreibungen, die dort ausgestellt worden sind, in Deutschland nicht mehr anerkannt“, heißt es auf Anfrage. Und die Standesvertretung weiß diese Auffassung auch zu begründen. Denn § 2 Abs. 1a der Arzneimittelverschreibungsverordnung stellt ausdrücklich lediglich Verschreibungen aus den Mitgliedstaaten der EU, den Vertragsstaaten des EWR (Liechtenstein, Island, Norwegen) und der Schweiz mit deutschen Verschreibungen gleich. „Auch aus dem kurzfristig doch noch zustande gekommenen Handelsvertrag zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich ergibt sich nichts Abweichendes“, so ein Sprecher auf Anfrage.

Auch aus dem Vertrag selbst lasse sich diese Auffassung aber ableiten: Denn zwar schreibt Artikel Servin.3.3 (Lokale Präsenz) des Handelsabkommens vor, dass für grenzüberschreitende Dienstleistungen keine Verpflichtung herrscht, sich im Gebiet der Vertragsparteien niederzulassen. Melden EU-Mitgliedstaaten besagte Vorbehalte an, gelte das aber nicht. „Auf dieser Grundlage haben sich alle EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahme der Niederlande und Schwedens vorbehalten, dass das Erfordernis der Gebietsansässigkeit besteht“, so die Abda. „Soweit Ärzte ausschließlich im Vereinigten Königreich niedergelassen sind, werden ihre Verschreibungen danach in Deutschland nicht anerkannt.“

Und Apotheker Kowalski? Der hätte die Verordnung wohl durchaus bedienen können – denn nach Aussage von Ferarzt.com hat er sich schlicht geirrt: „Wir haben bereits im vergangenen Jahr in Vorbereitung auf den Vollzug des Brexit für die fragebogenbasierte Behandlung nur noch Verträge mit irischen Partnerärzten abgeschlossen“, erklärt Geschäftsführer Felix Kaiser auf Anfrage. „Stand heute sind alle unsere ausländischen Partnerärzte beim Irish Medical Council (IMC) und somit innerhalb der EU registriert. Die Rezeptausstellung für Patienten in Deutschland ist also unabhängig von den Details des Brexit-Abkommens kein Problem.“

*Name von der Redaktion geändert

 

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