Das EU-Parlament hat gestern am Abend seine Position zum EU-Pharma-Gesetzespaket beschlossen. Die Änderungen zum bestehenden Gesetzespaket zielen unter anderem auf die Schutzfristen für Daten in der Medikamentenentwicklung ab. Dr. Kai Joachimsen, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI), äußert jedoch Zweifel an der Wirksamkeit der Maßnahmen und appelliert an die EU-Mitgliedstaaten nachzuschärfen.
Die Reform der EU-Pharma-Gesetzgebung soll den Zugang zu Arzneimitteln fairer gestalten, die Medikamentenversorgung sicherer und Europa wettbewerbsfähiger machen. Dafür hatte die EU-Kommission unter anderem Änderungen an den bisher geltenden Fristen für den Schutz von Forschungsdaten vorgenommen und Anreize für die Entwicklung neuer Therapien überarbeitet. Das Paket ist allerdings noch nicht besiegelt. Dies wird voraussichtlich frühestens im Herbst 2025 geschehen.
„Leider schafft es das ‚EU-Pharmapaket‘ immer noch nicht, mit der gestern angenommenen Position des EU-Parlaments, die pharmazeutische Industrie in Europa im globalen Wettbewerb zu stärken und den Standort insgesamt attraktiver zu gestalten“, so Joachimsen. Zwar gingen die Berichte der Abgeordneten im Vergleich zu den vorherigen Vorschlägen der EU-Kommission in die richtige Richtung, doch sie griffen in weiten Teilen noch immer zu kurz. Es liege nun an den EU-Mitgliedstaaten, nachzuschärfen und die Weichen für eine zukunftsfähige Gesetzgebung zu stellen, so Joachimsen.
Im Kampf gegen Lieferengpässe sieht Joachimsen dringenden Änderungsbedarf: Die Meldefristen blieben auch nach den Änderungen unrealistisch. Zudem müssten Hersteller grundsätzlich für alle Arzneimittel ihrer Produktpalette einen „Shortage Prevention Plan“ anfertigen – nicht nur für die Präparate auf der Liste kritischer Arzneimittel. „All diese Regeln sind nicht zweckdienlich und verhindern keinen einzigen Lieferengpass. Sie überfrachten die Unternehmen mit noch mehr Bürokratie“, so Joachimsen.
Das Parlament hätte zumindest erkannt, wie wichtig ein attraktives und verlässliches Anreizsystem im Markt sei, so Joachimsen. Der Unterlagenschutz sei nochmals von sechs auf 7,5 Jahre erhöht worden – und kann unter bestimmten Voraussetzungen um maximal ein Jahr verlängert werden, beispielsweise bei der Durchführung vergleichender klinischer Studien. „Sinnvoll wäre es, diese Begrenzung aufzuheben und Unternehmen so zu fördern, dass sie mehr als 8,5 Jahre Unterlagenschutz erhalten, wenn sie alle vorgenannten Voraussetzungen erfüllen“, betont Joachimsen.
Auch bei der Entwicklung von Therapien für seltene Erkrankungen habe das Parlament keine besseren Rahmenbedingungen geschaffen. Noch immer gäbe es weitreichende Einschnitte, die dem ursprünglichen Ziel des EU-Pharmapakets entgegenwirkten, künftig mehr seltene Erkrankungen behandeln zu können, wie zum Beispiel das Absenken der Marktexklusivität von derzeit zehn auf neun Jahre, so Joachimsen. Auch beim ‚Repurposing‘ müsse nachgebessert werden: Neu entwickelte Therapien auf Basis bewährter Wirkstoffe würden zwar mit einem Unterlagenschutz von vier Jahren honoriert, doch der Unterlagenschutz könne nicht mehrmals vergeben werden, so Joachimsen.
„Positiv bewerte ich den Vorschlag des Europäischen Parlaments, den Unterlagenschutz von der Vermarktung in allen EU-Mitgliedstaaten zu entkoppeln. Sie berücksichtigt, dass die Markteinführung neuer Therapien nicht allein von den Zulassungsinhabern abhängt, sondern auch von den jeweiligen Bedingungen in den Mitgliedstaaten“, betont Joachimsen.
Auch bei der Umweltverträglichkeitsprüfung bestehe Nachbesserungsbedarf: „Das Environmental Risk Assessment (ERA) muss dem Parlament zufolge den gesamten Produktlebenszyklus eines Arzneimittels abbilden. Es ist fraglich, ob insbesondere die vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen diesen bürokratischen Mehraufwand für jedes einzelne Arzneimittel überhaupt leisten können“, sagt Joachimsen.
Positiv bewertet Joachimsen immerhin die elektronische Packungsbeilage, warnt aber davor, dass wegen fehlender einheitlicher Regelungen ein Flickenteppich entstehen könne, der die Hersteller vor logistische Herausforderungen stelle.
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