Für die heutige Anhörung zum Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) im Gesundheitsausschuss des Bundestages haben viele Akteure des Gesundheitswesens erneut Stellung bezogen.
Schon als der Entwurf für das Engpass-Gesetz bekannt wurde, hagelte es von allen Seiten aus dem Gesundheitswesen Kritik. Viele Akteure haben anlässlich der heutigen Anhörung im Gesundheitsausschuss noch umfangreiche Stellungnahmen eingereicht, in der Hoffnung auf entsprechende Anpassungen.
Die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Dr. Carola Reimann, pocht erneut auf ein Frühwarnsystem: „Lieferengpässe bei Arzneimitteln sind kein deutsches, sondern ein globales Problem. Daher gehen die geplanten ökonomischen Maßnahmen in die falsche Richtung. Denn sie belasten die Versichertengemeinschaft mit Mehrkosten, ohne die Versorgung nachhaltig zu sichern. Statt Geld der Versichertengemeinschaft ohne Effekt zu investieren, sollte vielmehr zeitnah eine direkte Sicherung der Versorgung angegangen werden: ein umfassendes Frühwarnsystem für alle zu Lasten der GKV abrechnungsfähigen Arzneimittel. Durch eine höhere Transparenz zur Liefersituation kann somit frühzeitiger auf drohende Engpässe reagiert werden. Zusammen mit weiteren Bevorratungspflichten könnten damit Lieferengpässe nachhaltig bekämpft werden“, so Reimann.
Die geplante Freistellung ganzer Arzneimittelgruppen von Rabattverträgen und Festbeträgen, die Überregulierung bei Rabattverträgen für Antibiotika und womöglich weiteren Wirkstoffen oder auch die Anhebung von Preisobergrenzen um bis zu 50 Prozent hätten deutliche Mehrausgaben zur Folge. Dadurch werde die „versorgungsstabilisierende Wirkung von Rabattverträgen negiert und untergraben“, so Reimann weiter.
Dr. Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse (TK), spricht sich ebenso gegen „pauschale Preiserhöhungen“ aus. Diese seien „ein vollkommen ungeeignetes Mittel“ zur Lieferengpassbekämpfung. An höhere Preise müssten entsprechende „verpflichtende Maßnahmen für die Hersteller geknüpft sein, die die Liefersicherheit von Medikamenten auch tatsächlich stabilisieren“, so Baas.
Der GKV-Spitzenverband vertritt in seiner Stellungnahme auch eine klare Meinung zur Verstetigung der gelockerten Abgaberegeln für Arzneimittel, die Ausnahmen im Notdienst sollte demnach in einer eigenen Vorschrift geregelt werden.
Die gelockerten Abgaberegeln sind auch der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) ein Dorn im Auge: Ärzt:innen sollen zwingend über jeden Austausch informiert werden. Dafür sollte es dann aber auch eine Engpassprämie geben: Die Lieferengpässe verursachen schließlich „auch bei Vertragsärztinnen und -ärzten einen erheblichen Mehraufwand aufgrund der entsprechenden Rückfragen von Apotheken sowie der betroffenen Patientinnen und Patienten und des damit einhergehenden Beratungsbedarfs“, so die Stellungnahme.
Die Betriebskrankenkassen (BKK) halten nichts von den geplanten Engpassprämien, weder für Großhändler noch für Apotheken. „Großhändler sollten vielmehr dazu verpflichtet werden, sämtliche Arzneimittelhersteller in ihr Portfolio aufzunehmen“, so der Vorschlag. „Ferner sollten die Apotheken dazu verpflichtet werden, mindestens einen Vollsortimenter als Großhandel zu verwenden und wenigstens einen zweiten als Rückversicherung“, heißt es weiter. Auch der Forderung nach der Abschaffung der Nullretaxierungen erteilte BKK-Chef Franz Knieps jüngst eine Absage, diese würden die Rabattverträge sichern.
Auch der Verband der Ersatzkassen (vdek) sieht keine Möglichkeit für die Umsetzung der Engpassprämien: „Durch die Festschreibung in der Arzneimittelpreisverordnung erhöht der Aufschlag den Arzneimittelpreis, das heißt es gibt keinen einheitlichen Abgabepreis mehr. Damit ergeben sich Folgen zum Beispiel auf die Berechnung der Zuzahlung, das heißt während eines Versorgungsengpasses kann sich der Arzneimittelpreis (und damit die prozentual berechnete Zuzahlung) von der Regelversorgung unterscheiden“, so die Begründung.
Außerdem würden sich die gelockerten Abgaberegeln negativ auf die Rabattverträge auswirken, „weil durch die eingeschränkte Substitutionsverpflichtung der Apotheke der Anreiz für pharmazeutische Unternehmen sinkt, Rabattverträge zu schließen“, so die Stellungnahme des vdek.
Kritik kommt erneut auch vom Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI), „nach aktuellem Stand löst das ALBVVG nach wie vor die Lieferengpassprobleme für über 98 Prozent der Arzneimittel der Grundversorgung nicht“, sagt Dr. Kai Joachimsen,
Hauptgeschäftsführer des BPI, Onkologika würden in dem Entwurf beispielsweise nicht erfasst. „Mittlerweile haben wir es mit einer chronischen Erkrankung der Arzneimittelversorgung zu tun. Dafür bedarf es einer nachhaltig wirkenden Strategie“, so Joachimsen weiter.
Neue Preisstrukturen, um Abwanderungen zu verhindern, Inflationsausgleich, die Streichung der automatischen Substitution biotechnologischer Arzneimittel und ein Mehrpartnermodell bei den Rabattverträgen sind nur einige Forderungen des Bundesverbandes. „Erweiterte Melde- und Bevorratungspflichten hingegen – wie im ALBVVG vorgesehen – bedeuten letzten Endes nur noch mehr Bürokratie, Ineffizienz und zusätzliche Kosten. Versorgungsengpässe löst man damit nicht“, so Joachimsen.
Auch dem Verband forschender Arzneimittelhersteller (vfa) geht der Entwurf nicht weit genug: „Die Vergütung bei bestimmten Medikamenten, um einige Cent zu erhöhen, reicht nicht, um die Ergebnisse jahrelang verfehlter Arzneimittelpolitik zu korrigieren. Tragfähige und damit dauerhafte Lösungen sind überfällig“ so Dr. Claus Michelsen, Chefvolkswirt des vfa, und verweist auf den Anfang des Jahres vorgestellten Fünf-Punkte-Plan.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft wünscht sich mit Blick auf die Lieferengpässe, „dass Apotheken jedweder Art sich untereinander zeitnah mit den betreffenden Arzneimitteln beliefern können.“ Das gelte sowohl für Krankenhausapotheken und Offizin-Apotheken untereinander als auch Krankenhausapotheken untereinander sowie Offizin-Apotheken untereinander. „Verträge zu schließen und diese nachfolgend durch die zuständige Behörde genehmigen zu lassen, kostet in Fällen von Lieferengpässen wertvolle Zeit“, so die Begründung. Eine Ausnahmeregelung werde benötigt, die von einem Schließen eines Vertrages und dessen behördlicher Genehmigung absehe.
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