Nutzenbewertung

BPI: AMNOG schadet Patienten

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Berlin -

Die frühe Nutzenbewertung führt in Deutschland bei neuen Arzneimitteln zu Versorgungslücken. Fast ein Drittel der AMNOG-pflichtigen Arzneimittel sind nicht oder nicht mehr verfügbar. Das sind die Ergebnisse eines vom Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) in Auftrag gegebenen Gutachtens. „Die Bilanz offenbart eine paradoxe Versorgungswelt.“ Der BPI fordert eine Reform der Nutzenbewertung.

Sechs Jahre nach ihrer Einführung offenbare die frühe Nutzenbewertung folgenreiche Effekte für die Arzneimittelversorgung. Das Gutachten belege, dass Patienten immer weniger Therapiealternativen zur Verfügung stünden, weil neue Arzneimittel in Deutschland gar nicht erst eingeführt würden. So habe sich die Verfügbarkeit von europäisch zugelassenen Innovationen im Zeitraum 2011 bis 2015 von 98,5 Prozent auf 82 Prozent verringert.

Gleichzeitig führten Marktaustritte von zunächst in Deutschland eingeführten Präparaten zu noch niedrigerer Verfügbarkeit. Die empirische Analyse der Gesundheitsökonomen Professor Dr. Dieter Cassel (Universität Duisburg-Essen) und Professor Dr. Volker Ulrich (Universität Bayreuth) ergab, dass im gleichen Zeitraum 22 AMNOG-Produkte außer Vertrieb genommen wurden. Nichteinführung und Marktaustritte führten zusammen zu einem Rückgang der Verfügbarkeit auf insgesamt 69 Prozent der AMNOG-fähigen Medikamente.

Die Marktaustritte haben sich 2016 auf 27 erhöht, ein weiteres Präparat wurde laut BPI in bestimmten Dosierungen zurückgezogen. In 14 Fällen kam es zu einem Rückzug nach der frühen Nutzenbewertung. In vier Fällen erfolgte eine Rücknahme nach den Preisverhandlungen, in zehn Fällen nach dem Schiedsspruch. Ulrich: „Unsere Untersuchung zeigt, dass damit hierzulande inzwischen fast ein Drittel der von der EMA zugelassenen AMNOG-fähigen Präparate nicht oder nicht mehr verfügbar ist.“ Spätestens nach positiver Nutzenbewertung und Vereinbarung eines Erstattungsbetrages sollten die betreffenden Präparate auch zügig beim Patienten angewendet werden. Laut Gutachten ist dies auch dann nicht der Fall, wenn Präparate vom G-BA einen erheblichen oder beträchtlichen Zusatznutzen und damit einen hohen therapeutischen Wert attestiert bekamen.

Die Analyse der Gesundheitsökonomen bringt zudem noch ein weiteres Paradoxon zum Vorschein. Cassel: „Mit dem AMNOG ist ein Kreislauf in Gang gekommen, bei dem die Regulierung und Kostendämpfung bei neuen Arzneimitteln ökonomische Sachzwänge auslöst, die höhere Launchpreise – und somit auch höhere Erstattungsbeträge – der nachfolgenden Produktgeneration erzwingt, welche meist mit noch strengeren Preisregulierungen beantwortet werden.“

Für Dr. Norbert Gerbsch, stellvertretender BPI-Hauptgeschäftsführer, sind diese Entwicklungen alarmierend: „Das AMNOG wurde durch den Wechsel vom Rabatt- zu einem Preissystem auf den Kopf gestellt. Eine Kurskorrektur ist dringend erforderlich. Denn so lange das Damoklesschwert der Regressdrohung über den Ärzten schwebt, werden selbst überlegene Arzneimitteltherapien nur unzureichend der Versorgung ankommen.“

Der BPI fordert den Gesetzgeber auf, das AMNOG wieder auf Kurs zu bringen. „Die nächste Regierung muss dafür Sorge tragen, dass als Mischpreise verhandelte Erstattungspreise über alle Subgruppen hinweg als wirtschaftlich gelten. Sie muss sich darum kümmern, dass ein Unternehmen angemessene Vergütung für ihre Produkte erzielen können – nicht nur im AMNOG. Und sie muss ihr politisches Versprechen bei den Patienten einlösen, ihnen Arzneimittel mit einem Mehrnutzen schnell zur Verfügung zu stellen.“

Finanzieller Spielraum für notwendige Reformen sei vorhanden: Für die gesamte ambulante Arzneimittelversorgung liege der Anteil der pharmazeutischen Industrie an den Ausgaben der Krankenkassen seit Jahrzehnten unter 10 Prozent.

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