Opfer des Bottroper Apothekerskandals haben angekündigt, dass sie den Kreis Recklinghausen in Regress nehmen wollen. Denn der gemeinsamen Apothekenaufsicht der Städte Bottrop, Gelsenkirchen und Recklinghausen geben sie eine Mitschuld an den Ereignissen. Der Kreis weist die Vorwürfe zurück.
Die gemeinsame Apothekenaufsicht ist bald Geschichte, doch die Stadt Recklinghausen könnte sie noch eine Weile verfolgen. Opfervertreter im Skandal um den Bottroper Apotheker Peter Stadtmann, der über Jahre Zytostatika gestreckt hatte, haben angekündigt, den Kreis in Regress nehmen zu wollen. Die nach ihrer Sicht mangelhaften Kontrollen hätten dazu beigetragen, dass Stadtmann jahrelang ungehindert Krebsmedikamente unterdosieren konnte, um sich daran zu bereichern.
In Recklinghausen hält man die Vorwürfe dagegen für unberechtigt. Es habe weder Pflichtverletzungen noch ein organisatorisches Verschulden gegeben, zitiert die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) Dr. Ulrike Horacek, Leiterin des Kreis-Gesundheitsamtes. Weder das Ziehen von Proben der im Sterillabor zubereiteten Zytostatika, noch der Blick in die Bücher und Bilanzen gehöre zu den Befugnissen der Behörde. Bei den Ermittlungen in dem Fall waren auch Diskrepanzen beim Ein- und Verkauf aufgefallen.
Dennoch hatten die Städte Bottrop, Gelsenkirchen und der Kreis Recklinghausen bereits im Juni eingestanden, dass die bisherige Apothekenaufsicht nicht zur genüge funktioniert hat. Bisher war dort eine Amtsapothekerin für rund 250 Apotheken zuständig. „Beim Skandal um die Alte Apotheke hat sich gezeigt, dass das nicht hinreichend ist“, so ein Sprecher der Stadt Bottrop damals. Die Zusammenarbeit wird derzeit abgewickelt, ab Anfang 2019 soll jeweils ein Amtsapotheker für die drei Gebiete zuständig sein.
Bereits seit Februar ist dazu beim Gesundheitsamt Bottrop eine Apothekerin in Teilzeit für die Aufsicht verantwortlich. Ihre Stelle soll ab Januar auf Vollzeit aufgestockt werden. In Gelsenkirchen wird ein neuer Apotheker eingestellt. Die bisher einzige Amtsapothekerin hat ihren Dienstsitz beim Gesundheitsamt Recklinghausen.
Sie war selbst Teil des Gerichtsprozesses gegen Stadtmann, nachdem sie zuvor vergeblich versuchte, ein Zeugnisverweigerungsrecht in Anspruch zu nehmen. Zwischen 2011 und 2016 führte sie drei offizielle Kontrollen durch, die sie jeweils vorher ankündigte. Die Manipulationen an den Zytostatika blieben bei allen drei Begehungen unentdeckt, unter anderem, weil keine Analysen der hergestellten Infusionen gemacht worden waren. Angestellten der Alten Apotheke zufolge soll die Amtsapothekerin einen lockeren Umgang mit Stadtmann gepflegt haben.
Für die Opfervertreter ist der Skandal mit der (noch nicht rechtskräftigen) Verurteilung des ehemaligen Apothekers zu 12 Jahren Gefängnis und dem Entzug der Berufserlaubnis indes noch lange nicht vorbei. Gemeinsam mit dem Stuttgarter Rechtsanwalt Manuel Rieger wird derzeit ein Zivilverfahren vorbereitet. Samt eigener Internetseite, E-Mail-Adresse und Hotline wird derzeit nach weiteren prozesswilligen Betroffenen gesucht, um ein Schmerzensgeldverfahren zu beginnen. Die beteiligten Anwälten prüften demnach derzeit individuell die mögliche Höhe solcher Forderungen. Von Peter Stadtmann verlangen sie insgesamt 120 Millionen Euro.
Auch mit der Landespolitik zeigen sich Beteiligte unzufrieden. Martin Porwoll, der ehemalige kaufmännische Leiter der Alten Apotheke, der den Skandal als Whistleblower ins Rollen brachte, wirft der nordrhein-westfälischen Landesregierung Inkonsequenz vor. In einem Facebook-Beitrag vergleicht er das Handeln der NRW-Landesregierung mit der brandenburgischen in Skandal um den Importeur Lunapharm. Die dortige Gesundheitsministerin habe mit ihrem Rücktritt Konsequenzen gezogen. „In NRW wird tumb durchregiert. Diese vollkommene Empathielosigkeit ist himmelschreiend“, so Porwoll. „Der Gesundheitsminister muss zurücktreten und Platz machen für eine(n) Minister(in), die den größten Medizinskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte richtig anpackt!“, fordert er.
Die angekündigten Kontrollen, die NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) im ersten Halbjahr hatte durchführen lassen, reichten den Opfervertretern bisher nicht aus. Von den dort genommenen 123 Proben aus 116 Apotheken war nur eine zu beanstanden. Dennoch ergab sich eine lange Liste von insgesamt 897 Mängeln, die die Kontrolleure demnach in den untersuchten Apotheken festgestellt haben. Der überwiegende Teil, nämlich 761, waren Dokumentationsmängel. 136 waren organisatorischer Natur.
Auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz hatte nach dem Urteilsspruch gefordert, Zyto-Apotheken schärfer zu kontrollieren. „Für die bundesweit 330 Schwerpunktapotheken muss es eine umfassende Überwachung und Kontrolle geben“, forderte Vorstand Eugen Brysch. Apotheken, die Krebsmedikamente herstellen, müssten viermal im Jahr unangekündigt kontrolliert werden und nicht-verbrauchte Krebsmedikamente zur Sicherung möglicher Beweise zentral verwahrt werden. So könnte im Nachhinein bewiesen werden, ob die vom Arzt verschriebene Wirkstoffmenge darin enthalten war.
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