Apothekenhonorar

BMWi: Extrarunde für Honorargutachten Lothar Klein, 09.11.2017 10:39 Uhr

Berlin - 

Noch vor der offiziellen Veröffentlichung schlägt das vom Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) beauftragte Gutachten zum Apothekenhonorar hohe Wellen: Der von den 2hm-Experten vorgelegte Entwurf wird im BMWi jetzt erneut unter die Lupe genommen. Nach Informationen von APOTHEKE ADHOC wurde zur Prüfung des vorgelegten internen Entwurfs auch das Statistische Bundesamt Destatis hinzugezogen. Überprüft und unangreifbar gemacht werden soll die zentrale und äußerst brisante Aussage des Zahlenwerks: Die Apotheker haben in den vergangenen Jahren deutlich mehr Honorar erhalten als bekannt.

Nach Informationen von APOTHEKE ADHOC kam 2hm schon Ende September zu dem Ergebnis, dass die Apotheker 1,7 bis 2 Milliarden Euro mehr Honorar erhalten haben. In welchem Bezug diese Summe zu den offiziellen Zahlen steht und für welchen Zeitraum dieser Betrag berechnet wurde, ist nicht bekannt. Das Gutachten wird weiterhin unter Verschluss gehalten.

Die Veröffentlichung des Gutachtens war für Mitte November angekündigt, zuletzt hatte es geheißen, heute werde das Ergebnis vorgestellt. Das wäre umso brisanter gewesen, als Union, FDP und Grüne heute in ihren Sondierungsgesprächen über Gesundheit und Apotheken sprechen. Doch das BMWi will keinen Termin nennen. Dort heißt es nur, dass sich das Gutachten in der „finalen Abstimmung“ befinde. Aus anderen Quellen heißt es, dass Gutachten solle wegen seiner Brisanz „entschärft“ werden.

Nach Angaben des Deutschen Apothekerverbands (DAV) betrug das Apothekenhonorar im Jahr 2016 rund fünf Milliarden Euro. Es ist in den vergangenen Jahren zwar kontinuierlich gestiegen, allerdings nach DAV-Berechnungen langsamer als beispielsweise die GKV-Einnahmen oder das Bruttoinlandsprodukt. Der Honoraranstieg liegt auch unterhalb der Inflationsrate und dem Anstieg der Tariflöhne in den Apotheken.

Laut ABDA betrug der Apothekenumsatz 2015 47,8 Milliarden Euro ohne Mehrwertsteuer. Davon entfielen 44,6 Milliarden Euro (93,3 Prozent) auf Arzneimittel und davon wiederum 39,8 Milliarden Euro (83,3 Prozent) auf rezeptpflichtige Arzneimittel. Das Betriebsergebnis einer durchschnittlichen Apotheke lag im vergangenen Jahr nach ABDA-Zahlen bei 142.622 Euro. Das entspricht zwar einer Steigerung von 4,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, doch das steuerliche Betriebsergebnis ist weiter im Sinkflug: 2016 lag es nur noch bei 6,4 Prozent. Seit 2013 ist dieser Wert jährlich um 0,1 Prozentpunkt gefallen. Der Wareneinsatz lag 2016 bei 75,8 Prozent (2015: 75,5 Prozent).

Dass sich die Gewinne der Apotheken im vergangenen Jahr überhaupt noch positiv entwickelt haben, ist der ABDA zufolge den Marktaustritten zuzuschreiben. Denn natürlich profitieren die Überlebenden vom Apothekensterben. Im ersten Quartal 2017 ist die Zahl der Apotheken erstmals seit 1990 unter die magische Grenze von 20.000 gefallen.

Der Trend zeigt weiter abwärts. Dr. Eckart Bauer, ABDA-Abteilungsleiter im Bereich Wirtschaft, Soziales und Verträge erinnerte beim DAV-Wirtschaftsforum im Frühjahr daran, dass das Fixhonorar der Apotheker seit 2013 nicht angepasst wurde. Für 2017 sei also beim Betriebsergebnis allenfalls eine geringe Steigerung zu erwarten – „wenn es gut läuft“.

Der Netto-Umsatz einer durchschnittlichen Apotheke ist 2016 auf 2,22 Millionen Euro gestiegen. Allerdings zeigt ein Vergleich zur „typischen Apotheke“ aus der häufigsten Umsatzklasse, dass immer weniger Apotheken diesen Durchschnittswert tatsächlich erreichen: 61 Prozent der Apotheken liegen in Wahrheit unter dem rechnerischen Mittelwert.

Der Vergleich mit der Umsatzverteilung von vor drei Jahren zeigt deutlich, dass der Anteil der besonders großen Apotheken überproportional zugenommen hat. Und während die „typische Apotheke“ seit 2002 ihren Umsatz um 52,1 Prozent steigern konnte, wuchs die „Durchschnittsapotheke“ um 64,3 Prozent. Mit anderen Worten: Die Schere geht auseinander.

In den letzten Wochen hatte sich bereits herumgesprochen, dass die BMWi-Gutachter zu einem für die Apothekerschaft problematischen Ergebnis kommen würden. „Damit lassen sich keine weiteren Honorarwünsche begründen“, hieß es. Allerdings übersteigt die jetzt im Raum stehende Summe von bis zu zwei Milliarden Euro alle Erwartungen.

Darin steckt auch für die laufenden Jamaika-Sondierungen erhebliche Sprengkraft. Möglicherweise war die ABDA in Kenntnis der Tendenz des Gutachtens zuletzt mit ihrer Forderung nach einem Rx-Versandverbot zurückhaltender geworden. Die Apotheker waren über einen Beirat in die Gespräche über das Gutachten eingebunden, genauso wie der Großhandelsverband Phagro. Die Analyse soll nicht nur das Apothekenhonorar betreffen, sondern die Vergütung der gesamten Lieferkette.

Das Gutachten wird die Diskussion über eine Reform des Apothekenhonorars maßgeblich befeuern. Weit über die Parteigrenzen hinweg sind sich viele Player im Gesundheitswesen einig, dass eine grundlegende Honorarreform auf die politische Tagesordnung gehört.

Auch die ABDA hat sich auf die jetzt anstehende Debatte vorbereitet und hat eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die an neuen Konzepten feilt. Laut DAV-Chef Fritz Becker, der die AG Honorar leitet, „steckt der Teufel im Detail“. Überraschend hatte ABDA-Präsident Friedemann Schmidt bereits im Mai das niederländische Einschreibemodell ins Gespräch gebracht – dies aber als seine „Privatmeinung“ qualifiziert. Im Anschluss an die ABDA-Mitgliederversammlung kündigte Schmidt dann Widerstand der ABDA gegen Vorschläge aus der FDP an, Landapotheken durch einen „Sicherstellungszuschlag“ zu subventionieren.

Ziel des Forschungsprojekts ist laut BMWi die Entwicklung einer Datenbasis, die eine differenzierte Betrachtung und Bewertung der wirtschaftlichen Lage von Apotheken erlaubt. Demnach soll geprüft werden, ob und in welchem Ausmaß Änderungen „aller in der AMPreisV geregelten Preise und Preiszuschläge für verschreibungspflichtige Arzneimittel“ nötig sind.