Als erster hatte Friedrich Merz nach Angela Merkels angekündigtem Rückzug vom CDU-Vorsitz seinen Hut in den Ring geworden. Darauf folgten Annegret Kramp-Karrenbauer und Jens Spahn. Jetzt prescht der Bundesgesundheitsminister mit einem Werbe-Video in eigener Sache vor. Das gab es noch nie in der Union. Aber was geschieht, wenn Spahn tatsächlich zum CDU-Chef gewählt wird? Dann könnte schon bald wieder ein neuer Chef für das Bundesgesundheitsministerium (BMG) gesucht werden. Träumt Hermann Gröhe bereits von einem Comeback?
Auf Fragen nach seinen Zukunftsplänen als Minister reagiert Spahn in diesen Tagen abwehrend: Bei der Vorstellung des Transplantationsgesetzes am Mittwoch im BMG drehte er sich auf dem Absatz um und stürmte in den gläsernen Aufzug, als ihm Journalisten Fragen zuriefen, ob er als CDU-Chef auch Gesundheitsminister bleiben werde. Am gleichen Abend ließ er in Düsseldorf ein TV-Team der Tagesschau wortlos abblitzen.
Aber abwegig ist die Frage nicht: Kann ein neugewählter CDU-Vorsitzender sich als Bundesgesundheitsminister der Richtlinienkompetenz der noch amtierenden Kanzlerin unterwerfen, wenn er zugleich die CDU in eine neue Richtung führen will? Diese Konstellation hat es zuvor noch nicht gegeben. Theoretisch möglich wäre es – in der Praxis aber wohl kaum umsetzbar.
Schon bei der Neubesetzung des Ministerpostens im BMG droht eine Machtfrage: Könnte Merkel ihren langjährigen Vertrauten Hermann Gröhe wieder ins BMG schicken? Mit Blick auf die mühsam ausbalancierte Kabinettstruktur wäre eine NRW-Besetzung folgerichtig. Allerdings: Als CDU-Chef mit Kanzlerambitionen müsste Spahn darauf achten, dass ein Nachfolger im BMG seinen Kurs fortsetzt. Damit wäre bei Gröhe wohl nicht zu rechnen. Eher bei Kanzleramtsminister Helge Braun, der sich als Merkel-Vertrauter sowieso besser eine andere politische Aufgabe mit Zukunftsperspektive suchen sollte.
Aber noch ist es zu früh für Spekulationen über Spahns Nachfolge im BMG. Zunächst steht die Wahl zum CDU-Bundesvorsitz auf dem Programm. Dafür hat Spahn in aller Eile ein Image-Video im Stil einer Ikea-Werbung produzieren lassen, während Merz noch immer nicht mit einer eigenen Internetseite aufwarten kann.
Im Video kündigt Spahn eine grundlegende Belebung der Partei an: „Ich will einen Neustart für die CDU. Für Deutschland“, heißt es darin pathetisch. „Die CDU ist das Herz unserer Demokratie. Wir haben zugelassen, dass dieses Herz an Kraft verliert.“ Inhaltlich nennt der 38-Jährige in dem kurzen Video als Ziele unter anderem „keine Kompromisse“ bei Rechtsstaat und Sicherheit, die Gestaltung der Globalisierung „mit einem starken Europa“ und die Entlastung von Familien. Die CDU solle „pragmatisch, aber nicht beliebig“ sein.
Bis zur Wahl am 7. Dezember wollen sich die Kandidaten auf einer Road-Show der CDU-Basis stellen. Die geplanten Regionalkonferenzen sind eine Erfindung von Merkel, als sie noch CDU-Generalsekretärin war. Mit diesem Prinzip hat sie zur Jahrtausendwende selbst den CDU-Vorsitz erobert. Vermutlich wird man nach drei bis vier Regionalkonferenzen die Stimmungslage in der CDU besser einschätzen können.
Derweil versuchen führende CDU-Politiker, schon einmal Einfluss zu nehmen: Der Chef des mächtigen Parlamentskreises Mittelstand in der Unionsfraktion, Christian von Stetten, trommelt für Merz: „Die Partei ist geradezu elektrisiert von dem Gedanken, dass Friedrich Merz Parteivorsitzender werden kann.“ Er lobt die „klaren Ansichten“ und die „klare, deutliche Sprache“ des Polit-Rückkehrers. Die CDU müsse wieder eine klarere Politik machen, sagte von Stetten. „Wir müssen hier zum Markenkern zurückkehren.“ Dies habe „nichts mit Rechts/Links zu tun, sondern das ist der gesunde Menschenverstand“.
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet warnt angesichts der anstehenden Entscheidung vor einem möglichen Rechtsruck seiner Partei unter neuer Führung: „Ich bin überzeugt, dass eine solche Achsenverschiebung falsch wäre.“ Das könnte für Kramp-Karrenbauer sprechen. Der CDU-Bundesvize kündigte an, sich dafür einzusetzen, dass die Christdemokraten einen „Kurs der Mitte“ nicht verlassen. Indirekt distanzierte sich Laschet von jüngsten kritischen Spahn-Äußerungen zur Flüchtlingspolitik: „Ich halte es jedenfalls für einen Fehler, auch aktuell wieder den Eindruck zu erwecken, die Migration sei das größte aller Probleme. Diese Analyse ist sachlich und politisch falsch und schadet.“
Das alles ist nur Vorgeplänkel: Am Ende wählen die 1000 Delegierten des Parteitages in Hamburg. Dort verfügt Laschet mit seiner NRW-CDU, die rund ein Drittel der Delegierten stellt, über maßgeblichen Einfluss. Die beiden konservativen Kandidaten, Merz und Spahn, kommen beide aus NRW. Und auch einige der wichtigsten Merkel-Kritiker wie der Chef der Mittelstandsvereinigung MIT, Carsten Linnemann, und der Vorsitzende der Jungen Union, Paul Ziemiak. Eigentlich galten sie als Spahn-Unterstützer – nun dürften sie in der Zwickmühle stecken, ob sie sich nicht doch lieber hinter den wirtschaftsliberalen Merz stellen. Sie sind Vorsitzende wichtiger sozialer Gruppen in der CDU, ihr Wort hat Gewicht.
Aber auch die Geschlechter- und Altersstruktur der Delegierten könnte eine Rolle spielen. Und natürlich das politische Rechts-Linke-Schema. Aber wie passen die drei Kandidaten dort hinein? Im Auge vieler Beobachter steht Merz eher rechts von Spahn – und Kramp-Karrenbauer links vom Bundesgesundheitsminister. Aber die Mitte der CDU verkörpert Spahn trotzdem nicht.
Nichts ist derzeit klar und einfach in der CDU. Viele Wege kreuzen sich, die Delegierten haben die Qual der Wahl. Auf jeden Fall sollte die/der neue CDU-Chef/in mit den Grünen auskommen können. Denn angesichts des Verfalls der SPD erscheinen künftig Koalitionen auch im Bund mit den Grünen unausweichlich. Für wen spricht das? Spahn hat bereits vor Jahren Kontakte geknüpft und sich sogar offen für Schwarz-Grün ausgesprochen. Auf der anderen Seite hat Merz noch weniger Sympathien für die Grünen als Kramp-Karrenbauer.
Vermutlich wird es im Kampf um die Merkel-Nachfolge am 7. Dezember zu einer Stichwahl kommen: Erreicht keiner der Kandidaten im ersten Wahlgang die Mehrheit, treten die beiden mit den meisten Stimmen erneut gegeneinander an. Nach Lage der Dinge dürfte es dann zu einem Duell Kramp-Karrenbauer gegen Merz oder Spahn kommen. Ein Duell gab es nur einmal in der langen Geschichte der CDU: 1971 verlor Helmut Kohl gegen Rainer Barzel.
Und was machen nach dem 7. Dezember die Verlierer der Wahl? Kramp-Karrenbauer hat alles auf eine Karte gesetzt: Die frühere saarländische Ministerpräsidentin und aktuelle CDU-Generalsekretärin hat kein Bundestagsmandat. Verliert sie die Wahl zum CDU-Vorsitz, steht sie vermutlich ohne Amt da. Es ist schwer vorstellbar, dass sie unter Spahn oder Merz ihre Arbeit in der CDU-Zentrale einfach fortsetzen kann. Für Merz wären bei einer Niederlage die politischen Ambitionen wohl endgültig gescheitert. Mit einem blauen Auge wird er sich dann erneut in seine Aufsichtsratsmandate zurückziehen. Und Spahn: Der 38-jährige wird als Gesundheitsminister weitermachen und auf seine nächste Chance hoffen und warten. Die Tage von Merkel im Kanzleramt sind gezählt. Irgendwann steht dort die Nachfolgefrage an.
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