BMG-Portal: Zu viel Lob für das E-Rezept Patrick Hollstein, 11.07.2023 11:55 Uhr
Die Pressefreiheit ist ein hohes Gut in der Demokratie – denn nur unabhängiger Journalismus kann sich kritisch auch mit dem staatlichen Handeln auseinandersetzen. Das Nationale Gesundheitsportal des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) erklärte das Landgericht Bonn jetzt für unzulässig. Denn unter anderem beim E-Rezept fehle die kritische Distanz.
Mit dem Nationalen Gesundheitsportal wollte der frühere Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ein Angebot schaffen, bei dem sich Bürgerinnen und Bürger zu Krankheiten und Therapien informieren können. Die Website, deren Betrieb in § 395 Sozialgesetzbuch (SGB V) sogar gesetzlich geregelt ist, kostet jährlich einen Millionenbetrag. Mit Redaktionsleistungen, IT-Support und Hosting wurde die Digitalagentur Valid beauftragt.
Der Wort & Bild Verlag hatte in dem Angebot eine unzulässige Konkurrenz gesehen und geklagt. Das Landgericht Bonn entschied in erster Instanz, dass das Portal unzulässig ist. Zwar sei dem Staat und seinen Einheiten die Teilhabe an öffentlicher Kommunikation durch Öffentlichkeitsarbeit und Informationstätigkeit nicht grundsätzlich verboten – im Einzelfall sei es sogar geboten, dass Regierungen und gesetzgebende Körperschaften ihre Politik in der Öffentlichkeit darstellen.
Ministerielles Gesundheitslexikon
Allerdings überschreite die große Mehrheit der eingestellten Artikel die Grenzen zulässigen staatlichen Informationshandelns. Einerseits gehe es nicht um die gefahrenbezogene Information der Bürger zur Abwehr konkreter akuter Gefahrensituationen, noch um die Erklärung und Darstellung von Regierungspolitik. Vielmehr handele es sich bei der Rubrik „Krankheiten A-Z“ um eine Art „Gesundheitslexikon, in welchem das BMG Informationen allgemeinster Natur internettypisch aufbereite und zur Verfügung stellt“. Und in der Rubrik „Gesund leben“ gebe es nur allgemeine Tipps und Ratschläge für „gesundes Leben“.
„Für beide Rubriken besteht schon keine Kompetenz der Beklagten, sich in derart weitgehendem Maße und Umfang ohne jeglichen konkreten Anlass informierend zu betätigen“, heißt es im Urteil. Es genüge nicht, dass ein gewisser Bezug zum Aufgabenspektrum des BMG bestehe, denn ein thematischer Aufgabenbezug ließe sich für alle Fachressorts auf Bundes- und Landesebene herstellen.
Weder sei das Portal mit Angeboten von Kommunen zu spezifischen lokalen Themen zu vergleichen, noch gehe es um eine „werbende informative Darstellung des Ministeriums, seiner Aufgabenbereiche und angestoßener politischer Projekte“.
Auch ein angebliches Informationsdefizit der Bevölkerung in Sachen Gesundheit rechtfertige das Angebot nicht; laut Bundesgerichtshof (BGH) sei es Aufgabe der privaten Presse, „eine solche angeblich vorhandene Informationslücke durch eine eigene, von amtlichen Bezügen losgelöste Informationstätigkeit zu schließen“.
„Frappierende Ähnlichkeit“
Die Richter stellten auch eine gewisse Ähnlichkeit zum Angebot von Wort & Bild fest: Die Artikel seien „nahezu identisch strukturiert und weisen auch im Hinblick auf ihre grafische Gestaltung und Illustrationen eine frappierende Ähnlichkeit auf – und verfolgen dieselbe Zielsetzung“.
Laut Urteil hat es das BMG sogar darauf angelegt, privaten Angeboten Konkurrenz zu machen und deren Leser abzuwerben: Die Aussage Spahns, wer Gesundheit googele, solle künftig auf dem Nationalen Gesundheitsportal landen, könne nur dahingehend verstanden werden, dass das BMG sein Angebot „an die Stelle der für unzureichend empfundenen Angebote konkurrierender privater Akteure setzen möchte“.
Nur Eigenlob für E-Rezept
Und ganz so unabhängig wie behauptet ist das Portal laut Urteil bei BMG-Themen dann auch wieder nicht. Während in der Rubrik „Pflege“ noch in zulässiger Weise über die Leistungen des Staates beziehungsweise der Pflegeversicherung informiert werde, verletze das BMG in der Rubrik „Gesundheit Digital“ die Pflicht des Staates zu neutralem und sachlichen Informationshandeln. „Die Beiträge zum E-Rezept und zum elektronischen Impfpass lassen eine differenzierte Darstellung vermissen. Kritisch zu beurteilende Aspekte werden nicht dargestellt, sondern ausschließlich die Vorteile und Chancen der digitalen Errungenschaften.“
Fazit: „In der Gesamtschau überwiegen qualitativ die Rubriken und Artikel, mit denen die Beklagte die Grenzen des staatlichen Informationshandelns überschreitet und das Gebot der Staatsferne der Presse verletzt. [...] Mit dem Gros der Artikel in den Hauptkategorien überschreitet die Beklagte – wie dargestellt – ihre Kompetenz zu staatlichem Informationshandeln. Dies führt im Wege der wertenden Gesamtbetrachtung zur Unzulässigkeit des Portals insgesamt.“
„Ausuferndes Informationshandeln“
Offensichtlich ist laut Gericht auch, dass mit dem Portal „die Möglichkeit zu einem immer weiter ausufernden Informationshandeln geschaffen wurde, von der kontinuierlich Gebrauch gemacht wird“. Dabei würden gerade die Rubriken ihrem Inhalt und Umfang nach stark ausgeweitet, die mit Blick auf die Gewährleistung der Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz unzulässig seien.
Anders als vom BMG gefordert, müsse der Wort & Bild Verlag auch keine konkrete Gefährdung oder Beeinträchtigung der eigenen Geschäftstätigkeit etwa durch einen Leserverlust nachweisen. Weder nach Grundgesetz noch Wettbewerbsrecht sei es erforderlich, dass eine konkrete Gefährdung dargelegt wird. „Vielmehr genügt eine abstrakte Gefährdung der Presse.“