Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat am Mittwoch vor dem Landgericht München I eine amtliche Niederlage kassiert: Es ist nun richterlich bestätigt, dass es sich bei seinem umstrittenen Google-Deal um einen Kartellverstoß handelt. Neben der Überheblichkeit, anzunehmen, die eigene hoheitliche Tätigkeit sei der kartell- und lauterkeitsrechtlichen Prüfung entzogen, sticht vor allem ein interessantes Detail ins Auge: dass das Bundesgesundheitsministerium (BMG) ernsthaft behauptet hat, Google habe keine marktbeherrschende Stellung.
Spahns Google-Deal bewirkt eine Beschränkung des Wettbewerbs auf dem Markt für Gesundheitsportale, verkündete das Gericht am Mittwochvormittag. Verfügungsklägerin war die Burda-Tochter Netdoktor, die damit argumentierte, dass rund 90 Prozent der Nutzer über eine Google-Suche auf ihrer Seite landeten. Dort hatte sich das BMG nun mit der Google-Vereinbarung die Pole Position gesichert und damit den Markt für Gesundheitsportale ausgehebelt. Doch reicht ein Deal mit Google dazu überhaupt? Natürlich, sagte Netdoktor: Das Unternehmen habe einen Marktanteil von über 90 Prozent. Tatsächlich werden Google je nach Quelle und Erhebungsweise zwischen 85 und 97 Prozent Marktanteil hierzulande zugeschrieben, auf Platz zwei – und bereits unter „ferner liefen“ – folgt die Microsoft-Suchmaschine Bing mit einem Marktanteil im maximal mittleren einstelligen Bereich, in der immer bedeutender werdenden Mobilnutzung gar unterhalb eines Prozents. Den Marktanteil hat das BMG laut Gerichtsdokumenten auch gar nicht bestritten.
Mit Statistiken und unterschiedlichen Zählweisen hielt sich Netdoktor auch nicht auf, sondern verwies darauf, dass die EU-Kommission Google bereits zweimal wegen des Missbrauchs seiner marktbeherrschenden Stellung bestraft habe, nämlich 2017 für Manipulationen in seinem Preisvergleichsdienst und 2018 wegen Einschränkungen für Android-Betriebssysteme. Die Bußgelder waren die höchsten Kartellstrafen, die die Kommission jemals gegen ein Einzelunternehmen verhängt hat: 2,42 und 4,34 Milliarden Euro. „Google hat Android also dazu verwendet, die marktbeherrschende Stellung seiner Suchmaschine zu festigen“, so Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager damals.
Also eigentlich eine klare Sache, oder? Nein. Denn das BMG wies zwar nicht die Zahlen zum Marktanteil, dafür aber die Behauptung zurück, dass die Kartellstrafen samt Einschätzung der Kommission eine marktbeherrschende Stellung belegen würden. Die Begründung dazu gibt das Gericht wieder: „Seit den Entscheidungen der Kommission, aus denen die Verfügungsklägerin die Marktverhältnisse entnimmt […] seien zwei beziehungsweise drei Jahre vergangen. Die Entscheidungen hätten zudem keine Bindungswirkung oder Präzedenzcharakter.“ Ganz davon abgesehen, dass ein Blick auf die Seite der Kommission ausreicht, um zu sehen, dass das EU-Exekutivorgan auch 2019 noch einmal wegen seiner marktbeherrschenden Stellung gegen Google vorgegangen ist, stellt sich die Frage, welche Logik das BMG hier insinuiert.
Begründet es die Aussage, Google habe keine marktbeherrschende Stellung, damit, dass in den vergangenen beiden Jahren nicht noch einmal per Kartellstrafe belegt worden sein soll, dass die Suchmaschine ihre marktbeherrschende Stellung ausgenutzt hat? Oder etwas anders betrachtet: Es gibt zwar keine Anzeichen dafür, dass Google in den vergangenen beiden Jahren auf wundersame Weise und von der Öffentlichkeit unbemerkt (und entgegen aller Statistiken) den Großteil seines Marktanteils verloren haben könnte – aber eben auch keine höchstinstanzliche Bestätigung, dass das nicht passiert ist. Deshalb könne man sich auch nicht auf eine Aussage der EU-Kommission von vor zwei Jahren berufen.
Zwei Schlussfolgerungen sind hier möglich: Entweder glaubt man im BMG tatsächlich, dass ein Anbieter mit 90 Prozent Marktanteil nicht marktbeherrschend sei – schwer vorzustellen. Oder aber die BMG-Anwälte tun vor Gericht besseren Wissens so, als würden sie das glauben, und ziehen dazu halbseidene Begründungen heran, indem sie auf fehlende Bindungswirkung oder Präzedenzcharakter der Kommissionsentscheidungen verweisen. Dann gibt es für sie einen geläufigen, aber wenig schmeichelhaften Begriff: Winkeladvokaten.
Dass das in der Juristerei gar nicht so selten ist, ist kein Geheimnis. Allerdings: Wenn der Staat, in diesem Falle in Gestalt des Bundesgesundheitsministeriums, vor Gericht steht, dann dürfen Bürger*innen mehr erwarten als dass er versucht, sich mit Scheinargumenten herauszuwinden. So oder so: Das Gericht ist der Argumentation ohnehin nicht gefolgt. „Google ist mit einem Marktanteil von 90 Prozent marktbeherrschende Anbieterin auf dem vorgelagerten Markt für die Erbringung allgemeiner Suchdienste in Deutschland“, schreiben die beiden Richterinnen und der Richter in ihrer Urteilbegründung. „Diesen Marktanteil hat die Verfügungsbeklagte nicht substantiiert bestritten und auch nicht dargelegt, welche Änderungen des Suchmaschinenmarktes in den letzten zwei bis drei Jahren dazu geführt haben könnten, dass die Einschätzung der Kommission überholt wäre. Auf eine Bindungswirkung dieser Entscheidungen kommt es dabei nicht an.“
APOTHEKE ADHOC Debatte