Nach 20 Jahren will Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) weiter vorantreiben, was SPD und Grüne 2003 unter seinem Mitwirken eingeleitet hatten – die Liberalisierung des Apothekenmarktes: Der Mehrbesitz soll ausgeweitet werden, Rezeptur, Notdienst und physische Anwesenheit von Approbierten sollen gestrichen werden. Aber wer gießt Lauterbachs Pläne für die sogenannten Light-Apotheken jetzt eigentlich in Form? Wer sind die Autoren des Ministers? Und welchen Einfluss haben sie?
„Diese Gesetze werden kommen“, sagte Lauterbach beim Deutschen Apothekertag (DAT), als der schwelende Streit mit der Apothekerschaft in aller Öffentlichkeit zu einem offenen Konflikt ausbrach. Mit seinen Eckpunkten zur „Entbürokratisierung der Apotheken“, so der euphemistische Titel, machte er klar, wohin die Reise gehen soll. Bis Anfang kommenden Jahres soll ein Referentenentwurf ausgearbeitet sein.
Umgesetzt werden müssen die Ideen jetzt durch die Fachabteilungen im BMG. Auch wenn die Beamten nur den Willen der Hausleitung in Form gießen, hat die konkrete Ausgestaltung natürlich einen entscheidenden Einfluss auf das Resultat. Das gilt umso mehr, wenn ein Minister sein Desinteresse an einer bestimmten Berufsgruppe so offensichtlich zur Schau trägt wie Lauterbach bei den Apotheken.
Auch den Einseiter von Ende September dürften bereits die Beamten erarbeitet haben. Zuständig ist die Abteilung 1 „Arzneimittel, Medizinprodukte, Biotechnologie“, in der traditionell auch Apothekerinnen und Apotheker arbeiten. Zwei studierten Pharmazeuten kommt dabei jetzt eine Schlüsselrolle zu. Einer der zuständigen Beamten hatte schon 2003 an Ulla Schmidts Reform mitgearbeitet.
Leiter der Abteilung ist Thomas Müller. Er ist von Hause aus Arzt und Apotheker, hat erst Pharmazie und dann Medizin an der FU Berlin und in London studiert. Nach Stationen an der Charité und der Universitätsklinik Erlangen wurde er 2003 Leiter der Krankenhausapotheke in Neubrandenburg und zwei Jahre später am Universitätsklinikum Rostock.
2007 kam er nach Berlin zurück und übernahm die Leitung der Abteilung Arzneimittel beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). In dieser Funktion war er in den folgenden Jahren wesentlich für die Umsetzung der damals neu eingeführten AMNOG-Regelungen verantwortlich. Im April 2018 holte der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ihn ins BMG.
Welche Positionen und Ideen Müller für die Apothekenreform mitbringt, ist nicht bekannt. Schon aufgrund seiner Tätigkeit beim G-BA wird ihm von Verbändevertretern ein sehr kurzer Draht zum GKV-Spitzenverband nachgesagt.
Sein Verhältnis zu den Apothekern hat sich dagegen zuletzt deutlich abgekühlt. Ende September warf Müller der Abda öffentlich ihre Blockadehaltung vor, mit der sie auf Dauer nicht erfolgreich sein werde: „Was ist das Argument der Apotheken, dass wir sie im Kampf um Ressourcen nach vorne priorisieren und fördern?“ Einfach nur mehr Geld zu fordern, führe zu nichts. Man brauche konkrete Angebote, wie man Apotheken auf dem Land unterstützen und die wirtschaftliche Ungleichheit unter den Apotheken abbauen könne. Die Abda müsse jetzt gute Konzepte vorlegen: „Das muss darüber hinausgehen, dass man nur fordert, die Honorartöpfe zu erhöhen. Was ich von den Abgeordneten höre, reicht das nicht.“ Immerhin gehe es um GKV-Mittel.
Seiner Meinung nach sind die Apotheken in einem Transformationsprozess: Es gebe Versandapotheken, es gebe eine Landflucht. All das müsse man berücksichtigen, statt mit der Gießkanne vorzugehen – zumal es auch eine Spreizung im Markt gebe: „Es gibt Apotheken, denen es gut geht, und andere, die nur in Selbstausbeutung funktionieren.“
Das Zaudern der Apothekerschaft sei schwierig, wenn man den Beruf weiterentwicklen und nicht nur noch „Ausgabeautomat“ sein wolle. „Es braucht ein Umdenken, was die Rolle der Apotheke vor Ort angeht. Aber das ist offensichtlich noch nicht so weit, dass ich politisch damit durchkomme.“
Die Unterabteilung 12 „Medizinprodukte, Apotheken, Betäubungsmittel“ wird kommissarisch von Dr. Lars-Christoph Nickel geleitet. Von Hause aus Jurist, gehört Nickel zu den profilierten Experten im Pharma- und Medizinrecht; so ist er Mitautor eines Kommentars zum Arzneimittelgesetz.
Schon 1994 kam er ins Ministerium, zunächst ins Referat für Transplantationsmedizin. Nach einem Ausflug zur EU kam er 1999 ins Referat 112 „Arzneimittel- und Heilmittelwerberecht“. 2006 übernahm er zunächst die Leitung des Referats 312 „Transplantationsrecht“, im Oktober 2011 die Leitung des Referats 112 „ Arzneimittel- und Heilmittelwerberecht, Tierarzneimittel“.
Seit Oktober 2018 leitet er eigentlich die Unterabteilung 11 „Arzneimittel“. In dieser Funktion kümmert er sich derzeit unter anderem um Lauterbachs vierzehntägigen Jour fixe zu Lieferengpässen („High level AG“). Mit Apothekenthemen hat er dagegen weniger zu tun.
Konkret für die inhaltliche Ausgestaltung zuständig ist das Referat 121 „Grundsatzfragen Apothekengesetz, Pharmaberufe, Apothekenbetrieb“ unter Leitung von Thiemo Steinrücken. Von Hause aus ebenfalls Apotheker, ist Steinrücken seit mehr als 20 Jahren in der Gesundheitspolitik: Nachdem er sieben Jahre lang als Referent im BMG gearbeitet hatte, wechselte er 2009 ins Kanzleramt. 2021 kehrte er ins Ministerium zurück und übernahm das Apothekenreferat von Professor Dr. Hans-Georg Will, der damals in Ruhestand ging.
Angefangen hatte er 2002 im BMG ausgerechnet als persönlicher Referent von Dr. Gert Schorn – jenem Beamten, der sich seit 2000 um das Apothekenreferat kümmerte und an dem sich die Abda zu jener Zeit die Zähne ausbiss. Zwar stammte Schorn selbst aus einer Apothekerfamilie; er selbst hatte ebenfalls in Freiburg Pharmazie studiert und danach in der Industrie gearbeitet, bevor er 1982 im Ministerium anfing. Doch für Verbändevertreter galt er als kompetenter, aber schwieriger Ansprechpartner, der zum Abschluss seines Berufslebens den Marktumbruch durchsetzen wollte.
So machte er nicht nur keinen Hehl daraus, dass er die Einführung des Versandhandels für unausweichlich hielt. Er soll sogar in vertraulichen Gesprächen mit Interessenvertretern durchblicken lassen haben, dass die Zulassung des beschränkten Mehrbesitzes nur ein erster Schritt zur kompletten Liberalisierung des Apothekenmarktes werden sollte. Tatsächlich gingen die ursprünglichen Pläne des Ministerium damals deutlich weiter und konnten nur in äußerst anstrengenden Verhandlungen und mit Hilfe der Union eingehegt werden. 2006 verabschiedete sich Schorn in den Ruhestand.
Steinrücken dürfte damals die Vorgänge unmittelbar mitbekommen haben – unabhängig davon, wie er selbst dazu stand und vor allem, wie er heute dazu steht. Und noch etwas verbindet ihn mit seinem ehemaligen Chef: Schorn hatte 1993 das „Medizinprodukte Journal“ (MPJ) gegründet, die inzwischen bei der Wissenschaftlichen Verlagsgesellschaft erscheint. Steinrücken wird heute noch auf der Website als Verantwortlicher genannt.
Auch bei seiner Arbeit im Kanzleramt war über Jahre hinweg eine ausgewiesene Liberalisierungsbefürworterin seine direkte Vorgesetzte. Das Referat Gesundheitspolitik, in dem Steinrücken lange tätig war, wurde von 2010 bis 2014 von Dr. Sonja Optendrenk geleitet. Sie hatte vor der Übernahme des Postens gerade erst promoviert – und zwar zum Thema Apothekenketten.
In ihrer 2009 für die Uni Trier verfassten Dissertation mit dem Titel „Reformen am Apothekenmarkt: Eine ordnungspolitische und polit-ökonomische Analyse“ empfahl sie eine weit reichende Deregulierung – mit Fremd- und Mehrbesitz, freien Rx-Preisen und auch einer Reduzierung der Anforderungen an den Apothekenbetrieb. Die Arbeit liest sich wie eine Blaupause für die heutigen Reformpläne.
Wie Steinrücken arbeitet Optendrenk heute wieder im BMG, allerdings in einem komplett anderen Bereich: Nachdem Jens Spahn (CDU) die Schwester des heutigen NRW-Finanzministers Dr. Marcus Optendrenk zur Abteilungsleiterin gemacht hatte, degradierte Lauterbach sie umgehend wieder. Heute kümmert sie sich als Unterabteilungsleiterin um Prävention. Hier gibt es zwar ebenfalls Berührungspunkte zur Apotheke – mit dem Reformprojekt dürfte sie aber weniger zu tun haben.
Auch wenn Steinrücken zuletzt viel mit Corona-Themen beschäftigt war und beispielsweise als Leiter der Projektgruppe zur Beschaffung der Covid-Impfstoffe den Kontakt zu Herstellern wie Biontech hielt: Für die anstehende Apothekenreform bringt er eine große Portion an Fachwissen mit. Verbändevertreter beschreiben ihn als souverän und in hohem Maße kompetent. Bis ins Detail beherrsche er die Feinheiten des Apothekenrechts. Außerdem gebe es keine Anzeichen für eine ideologische Agenda, wie sie andere im Ministerium hatten oder haben.
Eingebunden werden bei der Ausformulierung auch andere Fachabteilungen, etwa das Referat 115 „Grundsatzfragen der Arzneimittelversorgung in der GKV“ oder überhaupt die für die Kassen und ihre Ausgaben zuständige Abteilung 2 „Gesundheitsversorgung, Krankenversicherung“. Diese steht aktuell unter Leitung von Michael Weller, der frühere Stabschef Politik im GKV-Spitzenverband hatte Optendrenk von diesem Posten verdrängt.
Und Mitsprache hat auch die Leitungsabteilung unter der Führung von SPD-Mann Boris Velter. Er gilt als enger Vertrauter von Franz Knieps, der von 2003 bis 2009 Leiter der Abteilung „Gesundheitsversorgung, Krankenversicherung, Pflegeversicherung“ war und heute den BKK Dachverband führt. Velter selbst war ebenfalls von 2006 bis 2010 im BMG, und zwar als Leiter des Koordinierungsreferats „Verbindung zwischen Bund, Ländern und zu den Verbänden“ in der Leitungsabteilung. Später war er Staatssektretär in zwei Berliner Senatsverwaltungen.
Unklar ist, wie gut die Zusammenarbeit im BMG läuft. Denn unter der Art der Amtsführung von Lauterbach leiden dem Vernehmen nach auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Von sprunghaften Entscheidungen ist die Rede bis hin zu handfesten Zerwürfnissen. Gerüchten zufolge wird teilweise nur noch schriftlich kommuniziert, eine Legende erzählt von Zetteln, die unter der Tür hindurchgeschoben werden.
Fakt ist: Auch wenn der Minister und die Staatssekretäre politisch für die Gesetzgebung verantwortlich sind: Beamte können Ideen einbringen und Einfluss auf Gesetzgebungsverfahren nehmen. Im Extremfall können sie die Hausleitung sogar unter Druck setzen – wenn sie die richtigen Argumente auf ihrer Seite haben.
Aus den Abteilungen soll entsprechend schon die Aufforderung an die Apothekerschaft gekommen, eigene Ideen einzureichen, um die Reform in ihrem Interesse mitzugestalten. In der Vergangenheit gehörte es zur Strategie der Abda, das BMG mit eigenen Ideen und Reformvorhaben zu versorgen und auch ein Stückweit zu beschäftigen. Doch die Abda will jetzt den Entwurf abwarten und erst danach im parlamentarischen Verfahren Einfluss nehmen. Denn man merke, dass im BMG nichts zu machen sei, weil hier immer noch tragende Kräfte der festen Überzeugung seien, dass es den Apotheken wirtschaftlich gut gehe. Die Schließungen würden als Marktbereinigung gewertet und andere Botschaften nicht gehört, so unlängst Abda-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening.
„Wir stehen in regem Austausch mit Landtags- und Bundestagsabgeordneten, auch der Kontakt zum BMG besteht weiterhin“, so ein Sprecher. „Auf Fachebene stehen die Expertinnen und Experten der Abda, beispielsweise im Arzneimittelbereich – Impfstoffe, Gesundheit und Hitze, Prävention et cetera ohnehin ständig in Kontakt.“
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