Sekundärnutzung von Gesundheitsdaten

„BigBrotherAward“ für Lauterbach

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Berlin -

Der unrühmliche „BigBrotherAward“ in der Kategorie „Gesundheit“ geht in diesem Jahr an keinen Geringeren als Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Und zwar für den von ihm mitverantworteten Europäischen Gesundheitsdatenraum – kurz EHDS – sowie dessen nationale Umsetzung mit dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz. Denn beide Gesetze erlaubten die Verarbeitung hochsensibler Gesundheitsdaten, etwa von Hausarztbesuchen oder Krankenhausbehandlungen, in einem weitgehend unbestimmten Verfahren und ohne die notwendigen Schutzvorkehrungen, hieß es in der Laudatio.

Bisher sei vor allem die flächendeckende Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) mit Sorge diskutiert worden, hieß es in der Laudatio. Diese sei aber nur ein Baustein in einem größeren Plan mit dem Namen „Europäischer Gesundheitsdatenraum“, erläuterte Laudator Dr. Thilo Weichert vom Netzwerk Datenschutzexpertise. Das EHDS-Gesetz sei unter Gesundheitsminister Lauterbach zu Ende verhandelt worden und sehe die Digitalisierung des Gesundheitswesens in allen EU-Staaten vor.

Das sei gut, wenn sichergestellt sei, dass die Daten nur zur Verbesserung von Diagnose und Therapie – für sogenannte primäre Zwecke – genutzt würden. Das Hauptziel sei aber die Nutzung von Gesundheitsdaten für sogenannte Sekundärzwecke. Dazu gehörten Tätigkeiten im öffentlichen Interesse der Gesundheit, die Unterstützung öffentlicher Stellen und die wissenschaftliche Forschung, einschließlich der Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen sowie das Training künstlicher Intelligenz.

„Das mag sich für manche nicht dramatisch anhören. Aber wir müssen uns bewusst machen, dass mit den neuen Gesetzen ein zentraler Grundsatz der Medizin über Bord geworfen wird: Die ärztliche Schweigepflicht“, erklärt Weichert.

Die Politik habe während der Pandemie erkannt, dass Gesundheitsdaten für die medizinische Forschung, die Gesundheitsplanung und die Entwicklung neuer Therapien dringend benötigt würden. Der EHDS solle dafür den Weg ebnen und nun müsse der nationale Gesetzgeber alles dafür tun, dass bei dieser Datennutzung das Patientengeheimnis gewahrt bleibe, so Weichert. Hier habe Lauterbach versagt: Sein Gesundheitsdaten-Nutzungsgesetz zur Umsetzung des EHDS mache Gesundheitsdaten zur Beute kommerzieller und politischer Interessen.

Die Risiken, die sich hier auftun, seien erheblich. Es bestehe die Gefahr des Datenabflusses oder der Nutzung durch die Polizei für strafrechtliche Ermittlungen. Auch bei der Nutzung der Daten durch Krankenkassen und Verbände sei Missbrauch nicht auszuschließen. „Wer kann künftig ausschließen, dass Versicherungsunternehmen oder Arbeitgeber aus solchen Daten ablesen, wer zum Beispiel wegen einer Depression behandelt wurde oder einen spezifischen Gendefekt hat?“, fragt Weichert.

Schutzvorkehrungen nötig

„Wenn es Gesundheitsminister Lauterbach mit einer datenschutzgerechten Digitalisierung des Gesundheitswesens ernst meinen würde, müsste er umgehend die gebotenen Schutzvorkehrungen auf den Weg bringen. Das hat er – Stand heute – offenbar nicht vor. Er sollte – ja müsste – dies aber tun. Deshalb gebührt ihm der BigBrotherAward 2024 in der Kategorie Gesundheit“, so Weichert.

Seit 1998 wird der Award in verschiedenen Ländern und seit dem Jahr 2000 auch in Deutschland an Firmen, Organisationen und Personen verliehen, die in besonderer Weise und nachhaltig die Privatsphäre von Menschen beeinträchtigen oder persönliche Daten Dritten zugänglich machen. Der Award wurde in Anlehnung an die negative Utopie „1984“ benannt, in der der Schriftsteller George Orwell bereits 1949 seine Vision einer durch den „großen Bruder“ totalitär überwachten Gesellschaft entwarf.

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