Mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) hat die Bundesregierung Gesundheits-Apps in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufgenommen. Nun hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die ersten beiden „Apps auf Rezept“ in das neue Verzeichnis für digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) aufgenommen. Ärzte können ab sofort eine Tinitus-App und eine App zur Behandlung von Angststörungen verordnen.
Als erste Anwendungen hat das BfArM die App Kalmeda des Herstellers Mynoise und die Webanwendung Velibra von Gaia ins DiGA-Verzeichnis aufgenommen. Kalmeda bietet Patienten mit chronischer Tinnitusbelastung eine leitlinienbasierte, verhaltenstherapeutische Therapie. Velibra dient der Unterstützung von Patienten mit Symptomen von bestimmten Angststörungen.
Im DiGA-Verzeichnis werden digitale Gesundheitsanwendungen gelistet, also zum Beispiel Apps oder browserbasierte Anwendungen, die als Medizinprodukt mit niedrigem Risiko CE-zertifiziert sind, zusätzlich vom BfArM im Fast-Track-Verfahren geprüft wurden und damit vom Arzt verschrieben oder bei entsprechender Diagnose direkt von der gesetzlichen Krankenkasse erstattet werden können.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn: „Dieses Verzeichnis soll für Ärztinnen und Ärzte zum Digital-Lexikon werden. Hier finden sie, welche Apps und digitalen Anwendungen verordnet werden können. Die Wirkung dieser digitalen Hilfsmittel wird genau überprüft. Deswegen wächst diese Liste nur langsam auf. Trotzdem ist das DiGA-Verzeichnis eine Weltneuheit: Deutschland ist das erste Land, in dem es Apps auf Rezept gibt.“ BfArM-Präsident Professor Dr. Karl Broich: „Mit der erstmalig systematischen und zügigen Prüfung digitaler Gesundheitsanwendungen im neuen Fast-Track-Verfahren leistet das BfArM einen wichtigen Beitrag zur Digitalisierung der Gesundheitsversorgung. Das kommt den Patientinnen und Patienten sowie dem Innovationsstandort Deutschland gleichermaßen zugute – und macht das BfArM auch in diesem Bereich zum Vorreiter in Europa.“
Die Bewertungszeit für das BfArM beträgt im Fast-Track-Verfahren drei Monate nach Eingang des vollständigen Antrags. Dabei prüft das BfArM, ob eine DiGA die in der Digitale-Gesundheitsanwendungen-Verordnung (DiGAV) definierten Anforderungen an Sicherheit und Funktionstauglichkeit, Datenschutz und Informationssicherheit sowie Qualität und insbesondere Interoperabilität erfüllt – sowie den durch den Hersteller beizubringenden Nachweis für die mit der DiGA realisierbaren positiven Versorgungseffekte. Falls für die DiGA noch keine ausreichenden Nachweise für positive Versorgungseffekte vorliegen, es dazu aber bereits vielversprechende Daten gibt und die weiteren Anforderungen erfüllt sind, kann der Hersteller auch einen Antrag auf vorläufige Aufnahme in das Verzeichnis stellen und die notwendige vergleichende Studie innerhalb einer Erprobungsphase von bis zu einem Jahr, in Ausnahmefällen mit Option einer Verlängerung durchführen.
Digitale Anwendungen werden nach erfolgreicher Prüfung vom BfArM ins DiGA-Verzeichnis aufgenommen. Aktuell befinden sich 21 Anwendungen beim BfArM in der Prüfung. Für weitere rund 75 Anwendungen hat das Innovationsbüro des BfArM bereits Beratungsgespräche mit den Herstellern geführt, sodass kurzfristig weitere Anwendungen in die Prüfung und ins Verzeichnis kommen werden.
Damit ein Hersteller beim BfArM einen Antrag auf Aufnahme seiner digitalen Anwendung ins DiGA-Verzeichnis stellen kann, muss die Anwendung bereits zuvor als Medizinprodukt CE-zertifiziert worden sein und damit die Voraussetzungen für das Inverkehrbringen als Medizinprodukt erfüllt haben. In diese, dem Fast-Track-Verfahren beim BfArM vorgelagerte, Überprüfung der Marktzugangsvoraussetzungen hinsichtlich Sicherheit und Leistungsfähigkeit, klinischer Bewertung, Qualitätssicherung und Risikobewertung ist das BfArM jedoch nicht eingebunden.
Die AOK Rheinland/Hamburg wertet die Gesundheitsanwendungen als einen Beitrag zu einer stärkeren und längst überfälligen Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens. „Die aktuelle Corona-Pandemie macht eines deutlich: Das deutsche Gesundheitswesen hinkt der digitalen Entwicklung an vielen Stellen hinterher“, sagt Günter Wältermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Rheinland/Hamburg. „Daher begrüßen wir es, dass Deutschland digitale Gesundheitsanwendungen als weltweit erstes Land in die reguläre Versorgung aufnimmt.“ Diese eröffneten neue Möglichkeiten in der Gesundheitsversorgung, seien aber kein Selbstzweck, so Wältermann. „Für den Erfolg der digitalen Gesundheitsanwendungen ist es von zentraler Bedeutung, dass diese in die Behandlungsabläufe der Ärzte und Psychotherapeuten integriert werden. Nur dadurch kann der größtmögliche Nutzen für den Patienten gewährleistet werden.“
Qualitäts- und Sicherheitsaspekte müssten bei den digitalen Gesundheitsanwendungen den gleichen Stellenwert haben wie in anderen Versorgungsbereichen auch. Daher müsse der Gesetzgeber dringend beim Thema Haftpflicht der Hersteller nachjustieren. Das gelte auch für den Schutz von Nutzerdaten. Besonders wichtig sei hierbei zu verhindern, dass große App-Plattformen wie Google oder Apple Daten über das Herunterladen von Gesundheitsanwendungen erhalten und damit auf Diagnosen schließen könnten. Auch Änderungen bei der Preisgestaltung der Anwendungen seien künftig erforderlich. „Aktuell besteht bei den Gesundheitsanwendungen durch die Preisgestaltung ein Kostenrisiko für die gesetzliche Krankenversicherung“, erläutert Wältermann. „Hier brauchen wir als Krankenkasse klare Regeln, um mit den Beiträgen unserer Versicherten verantwortungsbewusst umgehen zu können.“
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