Arztpraxis im Einzelhandel zulässig Alexander Müller, 25.07.2016 09:19 Uhr
Apotheker streiten mit ihren Aufsichtsbehörden immer mal wieder, ob die Türen der Apotheke in einem Einkaufszentrum dauerhaft geöffnet sein dürfen. Denn die Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) sieht ein Abtrennungsgebot vor. Die Offizin muss zudem stets über „öffentliche Verkehrsflächen“ zu erreichen sein. Ein Arzt darf dagegen laut einer Entscheidung des Berliner Kammergerichts sogar bundesweit Praxen in Outdoor-Läden betreiben. Die ärztliche Integrität sei dadurch nicht grundsätzlich in Gefahr, so die Richter.
Der Mediziner Dr. Tomas Jelinek führt in der Jägerstraße in Berlin-Mitte das BCRT – Berliner Centrum für Reise- und Tropenmedizin. Dabei handelt es sich um eine private Einzelpraxis. Daneben führt er allerdings Zweitpraxen in Outdoor-Geschäften in Berlin, Dresden, Frankfurt am Main, Hamburg, Köln und München. In diesen „Reisepraxen“ können sich Kunden beraten und auch gleich impfen lassen.
Die Wettbewerbszentrale hatte dem BCRT vorgeworfen, die Reisepraxen nicht nur zu bewerben, sondern selbst zu betreiben. Dem Arzt wurden Verstöße gegen die Berufsordnung vorgeworfen. Doch sowohl das Landgericht Berlin als auch das Berliner Kammergericht im Berufungsverfahren wiesen die Klage überwiegend ab.
Das von der Wettbewerbszentrale geforderte generelle Verbot geht den Richtern zu weit. Es komme auf die konkrete Ausgestaltung an: Praxis und Shop müssten sauber voneinander getrennt werden. Dies war aus Sicht des Kammergerichts nur bei der Reisepraxis in Dresden nicht der Fall.
Ein sogenanntes „Schlechthinverbot“ sprach das Gericht nicht aus. Es sei nicht davon auszugehen, dass die räumliche Einbindung einer Praxis in ein Einzelhandelsgeschäft das Vertrauen der Patienten in die Integrität des Arztes untergrabe, heißt es im Urteil. Bedenklich könnte es demnach sein, wenn der Arzt seine fachliche Qualifikation und ärztliche Autorität einsetze, um den Einzelhändler zu bewerben. Mit seiner bloßen Präsenz bringe er aber nicht zum Ausdruck, dass er Geschäft, Betreiber oder Waren geprüft habe.
Der Vorteil im Wettbewerb für den Outdoorladen, dass sich Kunden gleich im Geschäft vor Antritt einer Fernreise impfen lassen können, reichte den Richtern für ein Verbot nicht aus. Das gleiche gilt aus Sicht der Richter für die erhöhte Aufmerksamkeit, die dem Arzt zu Teil wird. Verbraucher würden sowieso davon ausgehen, dass das Streben nach Einkommen auch ein Motiv ärztlicher Tätigkeit sei.
Die Befürchtung, der Arzt könnte wegen finanzieller Vorteile, die er vom Shopbetreiber erhalte, die Gesundheitsinteressen seiner Patienten vernachlässigen, ist aus Sicht des Kammergerichts fernliegend. Der Arzt setze keine Geräte und Mittel ein, die in einem typischen Outdoor-Laden zu kaufen seien.
Selbst wenn der Mediziner zu Verwendung von Insektenschutzmitteln oder Moskitonetzen rate, sei nur ein sehr kleiner Teil des Sortiments des Händlers betroffen, heißt es weiter. Abgesehen davon, lege schon der gesunde Menschenverstand den Einsatz solcher Mittel bei entsprechenden Reisen nahe.
Kritisch wäre laut Urteil nur, wenn der Eindruck erweckt werde, die Praxis gehöre zum Outdoorladen. Denn in diesem Fall müsse der Verbraucher eine Einflussnahme des Betreibers befürchten. Anders als von der Wettbewerbszentrale moniert reicht es dem Gericht aber aus, wenn auf die Unabhängigkeit des Arztes deutlich hingewiesen wird. Die Ärztekammer habe zudem die Möglichkeit, sich alle Verträge über die ärztliche Tätigkeit vorlegen zu lassen. Das sei ein weniger einschneidendes Mittel als ein generelles Verbot, so das Gericht.
Die Wettbewerbszentrale hatte auch Bedenken wegen der ärztlichen Schweigepflicht: Mit Hilfe von Überwachungskameras im Outdoor-Geschäft und dem Abgleich von Daten bei elektronischen Bezahlvorgängen könnte der Betreiber Informationen über Personen erhalten, die auch die Reispraxis aufgesucht hatten.
Das Gericht sah das weniger kritisch: Einerseits ließe sich der Zugang zur Praxis im Einzelfall organisieren, andererseits ließen sich EC-Daten nicht als Offenbarung eines Arzt-Patienten-Geheimnisses verstehen. Für die Einhaltung der ärztlichen Schweigepflicht wiederum müsse der Arzt bei der Gestaltung der Reisepraxis selbst sorgen – etwa indem diese durch Wände und Decken vom Geschäft vollständig abgeschlossen ist.
Dass ein Patient sich schaden könnte, weil er direkt nach der Impfung schwere Einkäufe trägt oder sich spontan und vorschnell für eine Impfung entscheidet, kann dem Gericht zufolge auch in jeder anderen Praxis passieren. „Es gibt keinen Anlass für die Annahme, dass die Lage der Praxis in einem Geschäft die Gefahr steigert, dass Patienten den ärztlichen Rat missachten“, so das Urteil.
Ein generelles Verbot lehnte das Gericht nach alldem ab, untersagte aber den Betrieb der Reisepraxis im Dresdener Globetrotter. Diese ist ein freistehender Quader, die weder an die Wände noch an das Dach des Marktes anstoße. Dies erweckte aus Sicht des Gerichts den Eindruck, als sei die Praxis Bestandteil des Angebots des Marktes. Zudem mache die Praxis nicht den Eindruck, als könne sie bei Bedarf in Umkleidekabinen umfunktioniert werden.
Das Kammergericht hat keine Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) zugelassen. Die Wettbewerbszentrale könnte noch Nichtzulassungsbeschwerde dagegen einlegen. Damit ist dem Vernehmen nach aber nicht zu rechnen. Ärzte dürfen also auch künftig Praxen bei Einzelhändlern betreiben, sofern sie selbstständig agieren und die Vorgaben – etwa für ein ordentliches Praxisschild – eingehalten werden.