Interessante Erkenntnisse brachte die gesundheitspolitische Diskussion bei der Tagesspiegel-Konferenz „Agenda 2018“: Eine klare Mehrheit der Gäste bestehend aus Politikern, Verbandschefs und Lobbyisten sprach sich für die Zusammenlegung von privater und gesetzlicher Krankenversicherung aus. Als wichtigstes Thema wurde der neuen Bundesregierung aber die Verbesserung der Personalsituation bei der Pflege ins Stammbuch geschrieben. Wenig Sympathien sammelte hingegen ABDA-Präsident Friedemann Schmidt mit seinem Plädoyer für Vorfahrt der nationalen Gesundheitspolitik in Europa. Beim anschließenden Voting schnitt Schmidt am schlechtesten ab.
Für den Berliner Politikbetrieb hat die „Agenda“-Konferenz des Tagesspiegels ein recht ungewöhnliches Format. Zu den verschiedenen Themenblöcken halten die eingeladenen „Stakeholder“ jeweils ein fünfminütiges Referat. Die Zeit wird gestoppt. Anschließend stimmen die Gäste über die These des Redners ab.
ABDA-Präsident Friedemann Schmidt hatte sich für ein europapolitisches Statement entschieden: „Mehr Berlin, weniger Brüssel“ – die Gesundheitspolitik müsse nationale Domäne bleiben. Die Weiterentwicklung des Gesundheitswesens sei nicht die Aufgabe des „internationalen Kapitals“, referierte der ABDA-Präsident. Das EuGH-Urteil und die ABDA-Forderung nach einem Rx-Versandverbot sprach Schmidt dabei nicht direkt an.
Zentrale Aufgabe der Gesundheitspolitik der neuen Bundesregierung sei angesichts der zunehmenden Verstädterung die Sicherung der Versorgung der ländlichen Regionen. Während in Dresden und Leipzig Wohnungsnot herrsche, veröde die Infrastruktur auf dem Land, junge Familien zögen weg. Es fehlten bereits heute Schulen, Kinos, Theater und Einkaufsmöglichkeiten.
Vordringliche Aufgabe der Politik sei die Sicherung der Gesundheitsinfrastruktur, so Schmidt. Sonst gebe es gar keine Anreize mehr für junge Leute, auf dem Land wohnen zu bleiben. „Arztpraxen und Apotheken müssen erhalten bleiben“, so der ABDA-Präsident. Apotheken seien auch soziale Treffpunkte für ältere Menschen. Schmidt: „Apotheken beheimaten Menschen.“
Der Digitalisierung stünden die Apotheker offen gegenüber, sagte Schmidt. Allerdings müsse die Digitalisierung stets „dienenden Charakter“ haben. Beim anwesenden Publikum konnte Schmidt mit seinen Thesen nicht punkten: Beim Voting schnitt der ABDA-Präsident von allen fünf „Stakeholdern“ am schlechtesten ab. Die Abstimmenden konnten auf einer Skala von 1 bis 5 ihre Zustimmung zu den Thesen der Referenten kundtun, Schmidt erhielt eine 3.
Kritik musste sich nicht nur Schmidt, sondern auch der KBV-Vorsitzende Dr. Andreas Gassen von Professor Dr. Erwin Böttinger vom Hasso-Platner-Institut für Digital Engineering anhören: „Nach diesen Ausführungen verstehe ich, warum Deutschland im internationalen Vergleich bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens hinterherhinkt.“ Wer der Digitalisierung nur „dienenden Charakter“ zubillige, übersehe deren „disruptiven“ Charakter. In den nächsten Jahren gehe es vielmehr darum, die Grenzen der Heilberufe zu überwinden.
In seinem Referat hatte sich Gassen ähnlich wie Schmidt für eine „sinnvolle Digitalisierung“ des Gesundheitswesens ausgesprochen. In Deutschland, einem der besten Gesundheitssysteme weltweit, seien kein Systemwechsel und keine politischen „Schnellschüsse“ erforderlich, so Gassen. Der KBV-Chef kritisierte das „ungezügelt hohe Anspruchsverhalten der Patienten“ – „alles für jeden und überall“. Vorrang bei der Weiterentwicklung müsse die ambulante vor der stationären Versorgung haben, forderte Gassen. „Wir brauchen weniger Kliniken, aber leistungsfähigere“.
Dem widersprach Georg Baum, Hauptgeschäftsfüher der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), vehement: „Kliniken sind die Sonne des Systems.“ Nur Krankenhäuser könnten gleiche Lebensverhältnisse auf dem Land garantieren. „Was die Arztpraxis kann, kann jede Klinik übernehmen“, so Baum. Krankenhäuser seien offen für die Ansiedlung von Praxen. „Wir brauchen die Krankenhausversorgung in der Fläche.“
Klare Voting-Siegerin wurde Irene Maier, Vizepräsidentin des Deutschen Pflegerats (DPR). Maier prangerte die schlechten Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte an. Es fehlten über 100.000 Pflegekräfte in Deutschland. „Die Rahmenbedingungen müssen attraktiver werden“, so Maier. Dabei gehe es um den Personalschlüssel, bessere Bezahlung und mehr Eigenverantwortung. Für ihre Thesen erhielt Maier beim Voting mit 4,3 Prozent des besten Wert. Auch bei der Abschlussfrage lag Maier klar vorn: „Welche Forderung hat die besten Aussichten, von der neuen Bundesregierung umgesetzt zu werden?“
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