Berlin hat ein Rezepturproblem. Das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) kritisiert die Qualität der Zubereitungen und immer wieder gibt es Beschwerden über Totalverweigerer. Die Berliner Apothekerkammer hat nun entschieden, Testkäufe durchzuführen. 30.000 Euro sollen dafür investiert werden. Dr. Kerstin Kemmritz, die zur Kammeropposition gehört, sieht das kritisch.
ADHOC: Warum sind Sie gegen die Kammer-Kontrollen?
KEMMRITZ: Ich denke nicht, dass Testkäufe das richtige Mittel sind. Ich befürchte, dass wir die schwarzen Schafe so nicht erwischen. Stattdessen könnten die in Erklärungsnot kommen, die sich redlich bemühen, bei der Herstellung aber nicht schnell genug sind.
ADHOC: Warum sehen Sie diese Gefahr?
KEMMRITZ: Die Arbeitsverdichtung in Apotheken wird immer intensiver. Die Apotheken stehen damit vor der Wahl, die Rezepturen entweder zwischen Tür und Angel zu machen oder die Kunden zu vertrösten und die Zubereitungen in Ruhe anzufertigen. Das Gefühl, dass es viele Verweigerer gibt, ist daher auch der Wahrnehmung geschuldet, dass man etwas nicht sofort bekommt.
ADHOC: Ein Berlin-spezifisches Problem?
KEMMRITZ: Eine gute Rezeptur benötigt Zeit. Das ist ubiquitäres Problem. In der Hauptstadt sind allerdings viele Kunden gewöhnt, alles schnell zu bekommen. Manchmal ist den Kunden gar nicht bewusst, dass ihre Salbe extra für sie angefertigt wird. Obwohl die Patienten in einer Apotheke einen durchaus angemessenen Zeitrahmen genannt bekommen, gehen sie dann weiter zu einer zweiten oder dritten, bis ihnen schließlich eine Apotheke die Rezeptur schnell genug anfertigt. Die Qualität ist dann schlimmstenfalls sogar schlechter.
ADHOC: Vielleicht ist die erste Apotheke aber auch gar nicht so böse darüber, dass der Patient weitergeht ...
KEMMRITZ: Viele Apotheken machen Rezepturen nicht mit Begeisterung, weil Aufwand und Nutzen in einem schlechten Verhältnis zueinander stehen. Aber es wäre die falsche Reaktion, die Zubereitung hinauszuzögern. Allerdings: Jede Rezeptur adhoc herzustellen geht auch nicht mehr. 30 Minuten sind sehr sportlich, eine Stunde muss man eigentlich einplanen. Die Apotheken müssen Prioritäten setzen: wichtige Arzneimittel abgeben oder eine einfache Hautsalbe für einen Patienten anfertigen, der bereits vier Wochen auf einen Arzttermin gewartet hat. Und dann kommt man schnell in einen Graubereich: Sind zwei Tage Wartezeit noch in Ordnung oder schon zu lang?
ADHOC: Fürchten Sie deshalb Testkäufe?
KEMMRITZ: Genau, denn diese Aspekte hätte man genauer beleuchten müssen. Allerdings gibt es noch nicht einmal ein klares Konzept, obwohl die Gelder schon bewilligt sind. Auch wer die Einkäufe durchführt und wie oft, ist noch offen. Das soll erst in der nächsten Delegiertenversammlung besprochen werden.
ADHOC: Würden Sie Testkäufe mit einer Art Kriterienkatalog akzeptieren?
KEMMRITZ: Nein. Die Kammer sollte nicht als Überwachungsbehörde tätig werden, sondern die Apotheken eher positiv unterstützen. Bei Hinweisen soll sie natürlich vorgehen, aber die Verfolgung sollen die Überwachungsbehörden übernehmen. Das Landesamt hat die nötigen Kompetenzen und Mittel. Ich halte es aber für schwierig, wenn die Kammer ohne Rechtstatbestand alle Kollegen unter Generalverdacht stellt.
ADHOC: Und wer schützt die fleißigen Apotheker vor den Verweigerern?
KEMMRITZ: Die Überwachungsbehörden sollten die schwarzen Schafe finden. Die sind ja nicht untätig und gehen in die Apotheken. Dass das funktioniert, zeigt doch das Verfahren gegen einen Rezepturverweigerer hier in Berlin. Wenn ein Apotheker den Eindruck hat, von Verweigerern umgeben zu sein, sollte er mit seinen Kunden sprechen, um so aus dem Gefühl eine Situationsbeschreibung zu machen. Denn es kann nicht Sinn der Sache sein, sich gegenseitig zu bespitzeln und zu überwachen. Entweder klärt sich die Situation oder er kann den Kollegen dem Landesamt melden.
ADHOC: Was hätten Sie sich anstelle der Testkäufe von der Kammerführung gewünscht?
KEMMRITZ: Ich hätte eine Umfrage sinnvoll gefunden, um zunächst zu klären, ob es tatsächlich ein Problem gibt. Denn bis jetzt gibt es nur ein Gefühl, dass viele Apotheken Rezepturen verweigern. Auch ich erlebe Kunden, die sagen, bei anderen Apotheken hätte es viel länger gedauert. Und obwohl man selbst das Gefühl hat, es wird immer mehr, zeigen unsere Dokumentationen, dass die Zahl der Rezepturen über Jahre gleich geblieben ist. Man muss also herausfinden, ob es wirklich ein massives Problem gibt oder ob nur der Aufwand nervt.
ADHOC: Wie kann das geschehen?
KEMMRITZ: Man sollte Apotheken fragen, ob sie mehr oder weniger Rezepturen anfertigen, und sie auffordern, auch ihre Kunden zu befragen: Wurde die Rezeptur tatsächlich abgelehnt oder wurde nur mitgeteilt, dass es eine Weile dauern könne? Auch ein Beschwerdeportal für Kunden könnte es geben. Man müsste zwar aufpassen, dass es keinen Shitstorm gibt, aber die Ärztekammer bietet einen ähnlichen Service an.
ADHOC: Seit der LaGeSo-Kritik an der Rezepturqualität im Jahr 2010 hat die Kammer Einiges auf die Beine gestellt, um die Apotheker zu unterstützen. Was hat sich getan?
KEMMRITZ: Das LaGeSo prüft die Qualität weiterhin, deutlich besser oder schlechter wird sie nicht – und das trotz aller Anstrengungen der Kammer. Man muss sich wohl noch mehr mit den Leuten auseinandersetzen. Außerdem müsste sich auch die Kammer für eine angemessene Honorierung einsetzen.
ADHOC: Wenn sich die Qualität nicht merklich verbessert, waren die Bemühungen der Kammer wohl vergebens ...
KEMMRITZ: Die Kammer hat viel Aufwand betrieben und kommt damit langsam an ihre Grenzen – was nicht heißen soll, dass man sich die Mühe sparen kann. In der breiten Masse gibt es zwar keine Veränderung, das liegt aber sicher auch an organisatorischen Gründen: Im Apothekenalltag müssen nur wenige, aber unterschiedliche Rezepturen angefertigt werden und meist sind dafür verschiedene Mitarbeiter zuständig. Der Einzelne kann also nur bedingt Erfahrungen sammeln.
ADHOC: Wären einige spezialisierte Apotheken besser?
KEMMRITZ: Ich finde, diese Diskussion sollte man führen. Ich meine, jede Apotheke sollte in der Lage sein, bestimmte Rezepturen anzufertigen – es sollte ihr aber auch offen stehen, Auftragsarbeiten zu vergeben. Ich sehe natürlich auch die Sorge, dass man dann leichtfertig ein Alleinstellungsmerkmal aufgibt. Ich könnte mir aber eine Lösung wie bei den Zytostatika vorstellen. Der Qualität würde das sicher gut tun.
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