Berlin: Kammerbeitrag nach Einkommen Patrick Hollstein, 23.05.2024 09:57 Uhr
Nur zwei Wochen nach dem Machtwechsel zeichnet sich bei der Apothekerkammer Berlin der erste Eklat ab. Die neue Koalition will den Kammerbeitrag reformieren – künftig soll das Einkommen die Bemessungsgrundlage darstellen. Das würde insbesondere die Angestellten treffen, die schon jetzt mit einem Aufstand drohen.
In Berlin zahlen Angestellte derzeit rund 200 Euro Kammerbeitrag. Inhaberinnen und Inhaber werden mit einem Sockelbeitrag von knapp 400 Euro zur Kasse gebeten, dazu kommt ein Anteil, der sich an Umsatz und Ertrag orientiert.
Mit dieser unterschiedlichen Berechnung soll bald Schluss sein, die von der neuen Kammerpräsidentin Dr. Ina Lucas angeführte Koalition aus drei Listen hat sich bereits in ihren Sondierungsgesprächen darauf verständigt, den Kammerbeitrag umzustellen. Grundlage soll künftig das individuelle Einkommen bilden, das jedes Kammermitglied anhand von Steuerunterlagen offen legen muss.
Ins Auge genommen haben Lucas und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter dabei vor allem die Einkommen der angestellten Kolleginnen und Kollegen, die in Industrie und Verwaltung arbeiten. In Berlin sind nicht nur wissenschaftliche Einrichtungen, Behörden und Ministerien ansässig, sondern auch Biotech-Unternehmen und Pharmakonzerne, die ihren Angestellten zum Teil großzügige Gehälter zahlen.
Auch wenn Lucas’ Liste 3 den Claim „Eine Liste für alle“ trägt, sind in ihr vor allem Inhaberinnen und Inhaber vertreten. Zu den führenden Köpfen gehören etwa die früheren Kammerpräsidenten Dr. Christian Belgardt und Norbert Bartetzko; auch die Vorsitzende Anke Rüdinger ist in der Liste, genauso wie ihr Vorgänger Dr. Rainer Bienfait sowie Geschäftsführerin Dr. Susanne Dahmer und ihr Vorgänger Friedrich Wilhelm Wagner. Verband übernimmt Kammer, spotteten einige Stimmen über die jüngste Wahl.
Satzungsmehrheit gesichert
Auch Liste 2 steht für die Interessen der Inhaberinnen und Inhaber. Alleine hätten die beiden Wunschkoalitionspartner die erforderliche Satzungsänderung aber nicht verabschieden können, trotz der stabilen Mehrheit mit 24 von 45 Sitzen.
Und so wurde überraschend Liste 4 mit in die Koalition aufgenommen – nachdem diese zuvor noch die bisherige Kammerpräsidentin Dr. Kerstin Kemmritz als Listenführerin kalt gestellt hatte. Gemeinsam verfügen die drei Listen nun über die Satzungsmehrheit – und können diese auch gegen die Liste der Apotheker aus Industrie und Verwaltung, die bei der Wahl immerhin zweitstärkste Kraft wurde, durchdrücken.
In den Wahlprogrammen der Listen war die Umstellung des Kammerbeitrags noch kein Thema, vermutlich hätte man sonst Wählerinnen und Wähler vergrault – oder überhaupt erst zur Abgabe ihrer Stimme gegen ein solches Vorhaben getrieben. Beim Livetalk von APOTHEKE ADHOC hatten Liste 2 und Liste 3 nicht teilgenommen, womöglich hatte man unangenehmen Fragen der anderen Listen aus dem Weg gehen wollen.
Die spannende Frage ist, wofür die Kammer die zusätzlich eingesammelten Beitragsgelder nutzen will:
- Entlastung der Inhaberinnen und Inhaber durch niedrigere Beiträge
- Aufstockung der Rücklagen, die von Kemmritz gezielt abgebaut worden waren
- Finanzierung von neuen Projekten – Lucas plant eine digitale Fortbildungsoffensive, für die im rund 3 Millionen Euro umfassenden Haushalt bislang keine Mittel vorgesehen sind
- Übernahme von Aufgaben des Verbands – dessen Geschäftsführerin Dr. Susanne Dahmer werden Ambitionen auf einen Posten bei der Abda nachgesagt
- Entlastung des Verbands bei den Abda-Beiträgen – aktuell übernimmt die Kammer 60 Prozent, der Verband 40 Prozent
Vorbild: Ärztekammer
Ein solches Modell gibt es derzeit bei keiner der 17 Landesapothekerkammern. Vorbild ist vielmehr das Beitragsmodell der Ärztekammer in Berlin. Hier werden die Einkünfte aus ärztlicher Tätigkeit zugrunde gelegt; je nach Einkommen werden die Mitglieder in eine von 200 Beitragsgruppen eingegliedert und zahlen zwischen 60 und 5700 Euro pro Jahr. Als Nachweis müssen entsprechend Einkommenssteuerbescheid beziehungsweise Lohnsteuerbescheinigung eingereicht werden; nicht beitragsrelevante Angaben dürfen unkenntlich gemacht werden.
Und noch etwas fällt auf beim Blick in die Beitragsordnung der Ärztekammer: Zur Beitragsberechnung werden nicht nur Einkünfte aus selbständiger und nichtselbstständiger Arbeit herangezogen, sondern auch außerordentliche Erträge wie Erlöse aus dem Verkauf der Praxis oder Abfindungen. Und selbst Einkünfte aus Gewerbebetrieb oder aus ehrenamtlichen Tätigkeiten werden berücksichtigt – bei der Apothekerkammer müssten im Falle einer entsprechenden Umstellung also auch Standesvertreter, die Aufwandsentschädigungen bis hin zum Approbiertengehalt bekommen, zur Kasse gebeten werden.
Ärger vorprogrammiert
Noch gibt es keine Details zur geplanten Reform, doch unter Kolleginnen und Kollegen, die von der Umstellung betroffen wären, regt sich bereits massiver Widerstand: Während Angestellte von größeren Einheiten überlegen, ob sie einfach ihren Dienstsitz verlagern, beschäftigen sich andere schon mit möglichen Klagen. So oder so drohen der Kammer hitzige Diskussionen. Das Versprechen eines Generationswechsels in der Standespolitik, mit dem Lucas & Co. angetreten waren, könnte schnell auf dem Boden der Tatsachen aufschlagen.