Berlin

Kammer jagt Rezepturverweigerer Alexander Müller, 19.11.2015 13:18 Uhr

Berlin - 

Berlins Apotheker sind keine Musterschüler, wenn es um das Anfertigen von Rezepturen geht. Schon 2010 hatte das Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin (Lageso) den Pharmazeuten kein gutes Zeugnis ausgestellt; im August wurde ein Kollege vom Landgericht (LG) wegen Totalverweigerung verurteilt. Jetzt will sich die Kammer zu Testkäufen durchringen. Bei der Delegiertenversammlung (DV) am Dienstag wurden dafür 30.000 Euro in den Haushalt eingestellt. Im kommenden Frühjahr soll es losgehen. Laut Geschäftsführer Rainer Auerbach will sich die Kammer vor allem einen Eindruck verschaffen, wie groß das Problem tatsächlich ist.

Auch in Berlin berichten Apotheker immer mal wieder von Kunden, die mit ihrer Verordnung über eine Rezeptur zuvor in einer anderen Apotheke abgewiesen wurden. Solchen Rezepturverweigerern will die Kammer nun mit Nachdruck auf die Finger klopfen; die Qualität der Rezepturen soll nicht getestet werden. „Wir überprüfen die Bereitschaft, Rezepturen herzustellen“, so Auerbach.

Die Details des Tests sollen nun im nächsten Schritt ausgearbeitet werden; bei der nächsten DV im März steht das Thema wieder auf der Agenda. „Es ist wichtig, ein sauberes Szenario aufzustellen, damit es später keine Diskussionen über die Ergebnisse gibt“, so Auerbach.

So sollen im Test keine Spezialrezepturen abgefragt werden, sondern solche, die von jeder Apotheke in einer angemessenen Zeit hergestellt werden können. Deshalb will die Kammer bei ihrem Setting auch die Lieferfähigkeit der Ausgangsstoffe im Blick behalten. „Man braucht eine Rezeptur, bei der es keine Ausreden gibt“, so Auerbach.

Wie bei Beratungstests müssten die Pseudo Customer nach strengen Vorgaben vorgehen, so der Geschäftsführer. Ob die Kammer hierzu eigene Leute einsetzen oder einen Dienstleister beauftragen wird, steht noch nicht fest.

30.000 Euro sind im Haushalt für die Tests eingeplant. Ob dies ausreicht, hängt dem Geschäftsführer zufolge auch von dem Verhalten der Verweigerer ab. Wenn diese sich uneinsichtig zeigten und sich berufsrechtliche Verfahren anschlössen, steige auch der Aufwand bei der Kammer. Grundsätzlich ist diese berechtigt, bei berufsrechtlichen Verstößen eine Rüge auszusprechen und bis zu 5000 Euro Geldbuße zu verhängen. Ob es zunächst einen verbalen Warnschuss inklusiver zweiter Begehung geben soll, ist noch nicht entschieden.

Die DV sei sich jedenfalls einig gewesen, dass man das Thema Rezepturverweigerung angehen müsse. In der Versammlung gab es tatsächlich aber auch kritische Stimmen, die die Aktion für ein falsches politisches Signal hielten. Letztlich stimmte aber die Mehrheit für die Testkäufe.

Von den Ergebnissen kann sich Auerbach nur selbst überraschen lassen: „Wir wissen nicht, ob das nur ein gefühltes Problem ist oder wie oft es wirklich vorkommt. Kein Mensch kann sagen, wie viele Rezeptverweigerungen es am Tag gibt.“ Die Kammer will mit ihren Tests Licht ins Dunkel bringen.

Vor fünf Jahren war das Lageso nach Testkäufen zu dem Ergebnis gekommen, dass die Hälfte der Zubereitungen aus Berliner Apotheken mangelhaft ist. Die Behörde hatte sowohl Mängel bei der Qualität als auch bei der Kennzeichung festgestellt. Fast die Hälfte der Proben wies mindestens einen Qualitätsmangel auf, in den meisten Fällen einen zu geringen Wirkstoffgehalt. Bei drei von vier Anfertigungen war die Kennzeichnung nicht korrekt. So fehlten Warnhinweise oder Angaben von Mengeneinheiten, zum Teil waren Abkürzungen falsch oder nicht lesbar.

Insgesamt 38 Bußgeldverfahren hatte die Behörde eingeleitet: Bei galenischen Mängeln mussten die Apotheken ein Ordnungsgeld und die Kosten der Analysen in Höhe von 1200 Euro zahlen. Weil einfache Maßnahmen wie Merkblätter nicht zu einer Verbesserung führten, startete die Kammer im Juni 2011 ein „Forum zur Rezepturqualität“. 20 Experten identifizierten 59 Faktoren, die aus ihrer Sicht zu den schlechten Ergebnissen geführt hatten. Seitdem bietet die Kammer verstärkt Fortbildungen zum Thema an.

Im August hatte das LG Berlin mit einer einstweiligen Verfügung gegen einen Apotheker für Schlagzeilen gesorgt, der die Anfertigung einer Rezeptur verweigert hatte. Das Gericht erkannte an, das solche Verstöße auch wettbewerbsrechtlich zu ahnden seien. Demnach können Apotheker Kollegen abmahnen, die es sich allzu einfach machen.

Regelmäßig testet die Bayerische Landesapothekerkammer (BLAK), wie die Apotheken sich beim Thema Rezeptur schlagen. Bei einem groß angelegten Test im vergangenen Jahr hatten die Mitglieder insgesamt nicht besonders gut abgeschnitten: Von den 1065 getesteten Apotheken verweigerten 94 die Anfertigung der Rezeptur ganz, das waren immerhin knapp 9 Prozent. Von den restlichen 971 Apotheken bestanden 831 (85,6 Prozent) die Anforderungen an die Herstellung einer Rezeptur, 140 Apotheken (14,4 Prozent) dagegen nicht.

Die BLAK hatte sich bewusst entschieden, die Ergebnisse öffentlich zu machen. Gleichzeitig wurden verschiedene Maßnahmen ergriffen, um das Abscheiden der Apotheken künftig zu verbessern. Mit Erfolg: Die Zahl der Rezepturverweigerer ist immerhin von 9 auf etwa 5 Prozent gesunken. Kammerpräsident Thomas Benkert will Verweigerer nicht dulden: „Die Chefs haben eine heilberufliche Verantwortung“, sagte er im August. Notfalls müsse der Inhaber eben abends die Rezeptur herstellen. Die Rezeptur sei das Alleinstellungsmerkmal der Apotheke.

Auch Stiftung Warentest hatte im vergangenen Jahr die Anfertigung von Rezepturen abgefragt. Hier waren vor allem die Versandapotheken negativ aufgefallen. Dr. Andreas Kiefer, Präsident der Bundesapothekerkammer, hatte in der Folge berufsrechtliche Schritte angekündigt: „Die Apotheken werden Post bekommen.“ Zuständig sind die jeweiligen Landesapothekerkammern.