Die Impfkampagne gerät ins Stocken, während die Infektionszahlen aufgrund der Delta-Variante wieder steigen. Benötigen wir eine Impfpflicht – zumindest in sensiblen Bereichen? Über diese kritische Frage diskutieren APOTHEKE ADHOC-Herausgeber Thomas Bellartz und Chefredakteur Alexander Müller in der neuen Folge ihres Podcasts NUR MAL SO ZUM WISSEN.
Während Frankreich eine Impfpflicht für Pflegeberufe einführt, ist Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) noch zurückhaltend. Bellartz und Müller stört, dass die Debatte darüber merkwürdig heruntergekocht wird. Sie wünschen sich eine breite gesellschaftliche Diskussion zu dem Thema. „Das gehört in den Bundestag, das gehört in die Parlamente, es nervt mich, dass das nicht schon vor Monaten diskutiert wurde“, so Bellartz. Man dürfe das Thema nicht der Bild-Zeitung und den Stammtischen überlassen.
Darin stimmt Müller zu, der sich vor allem eine Debatte ohne Fraktionszwang wünscht. Allerdings sieht er die Zeit für eine Impfpflicht noch nicht gekommen. „Wir haben jetzt ganz lange über Priorisierung gesprochen, über ‚Impfneid‘ und ‚Impfdrängler‘ und jetzt sind wir endlich mal in einer Phase, in der genug Impfstoff da ist. Und jetzt fangen wir sofort an, über eine Impfpflicht zu sprechen, das finde ich den falschen Weg.“ Politik und Gesellschaft müssten jetzt kreativ sein, um die Impfbereitschaft zu erhöhen.
Bellartz hält dagegen, dass die Impfkampagne seit Dezember läuft und fragt sich, wann diese Leute denn noch überzeugt werden können. „Irgendwann muss die Impfpflicht ein Thema werden, wenn wir es nicht schaffen, denn sonst können wir das lassen mit dem Impfen.“ Selbst wenn mit Kampagnen irgendwann eine Quote von 75 Prozent erreicht werde, seien immer noch Millionen in Deutschland ohne Impfschutz. Bei all den Einschränkungen für die Gesellschaft in den vergangenen Monaten und vor allem angesichts der mehr als 90.000 Todesopfer sei es „respektlos“, sich ohne guten Grund nicht impfen zu lassen, so Bellartz. „Wenn wir über eine Impfpflicht debattieren, dann doch nur deswegen, weil wir gelernt haben, wie schlimm diese Pandemie eigentlich ist.“
Müller verweist auf die generell hohe Impfbereitschaft und die positiven Beispiele, die mit niedrigschwelligen Angeboten gemacht werden – wie zum Beispiel der Impfmarathon von Apotheker Björn Schittenhelm. Dessen Landkreis hat die Herdenimmunität womöglich schon erreicht. Und manchmal reiche es schon aus, im privaten Umfeld einen Impftermin für einen Angehörigen zu buchen, so Müller.
Denn eine Impfpflicht müsse auch rechtlich gut begründet und verhältnismäßig sein, damit sie vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand hat, so Müller. Das ließe sich bei Pflegeberufen vermutlich noch argumentieren. Doch gerade in diesen Berufsgruppen seien die Impfquoten ohnehin recht hoch. Das gilt auch für die Apotheken: Laut einer aposcope-Umfrage im Auftrag von NUR MAL SO ZUM WISSEN liegt die Impfbereitschaft in der Offizin bei 90 Prozent. Rund 85 Prozent sind tatsächlich schon mindestens einmal geimpft. Die Apotheker:innen und PTA wollen sich nach eigenen Angaben auch dafür einsetzen, dass sich mehr Kunden impfen lassen.
Diese Art von persönlicher Überzeugungsarbeit ist für Müller der richtige Weg: „Ich will niemanden persönlich diffamieren, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass wer sich mit dem Thema eingehend beschäftigt, am Ende zu dem Schluss kommt, dass es nicht sinnvoll ist, sich impfen zu lassen. Und wenn wir auf verschiedenen Kanälen und mit verschiedenen Methoden die Leute davon überzeugt, dass sie sich impfen lassen wollen, ist das meiner Meinung nach der bessere Weg.“
Bellartz ist auch dafür, dass sich die Menschen möglichst frei entscheiden sollen. Doch mit Blick auf die Zahlen sieht er die Zeit davonrennen: „Wir alle befürchten und sehen ja gerade, was in den nächsten Wochen und Monaten passieren wird. Und ganz ehrlich: Wir haben alle Angst davor, dass es so wird wie im letzten Herbst.“ Deswegen sei es jetzt wichtig, auch über eine Impfpflicht zu debattieren. Es müsse geklärt werden, was passiert, wenn das mit der Motivation nicht gelingt.
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