Befristetes Rx-Versandverbot – neues Apothekenhonorar? Lothar Klein, 02.02.2018 10:03 Uhr
Die Arbeitsgruppe Gesundheit hat ihre GroKo-Gespräche zum Thema Gesundheit und Pflege abgeschlossen. Noch keine Entscheidungen sind zum Rx-Versandverbot und zum Thema „Zwei-Klassen-Medizin“ gefallen. Darüber muss jetzt die Spitzenrunde aus Partei- und Fraktionschefs beraten. Klar ist aber: Für den Einstieg in die Bürgerversicherung müsste die SPD einem Rx-Versandverbot zustimmen. Das könnte auf zwei Jahre befristet werden. In dieser Zeit soll dann das Apothekenhonorar grundlegend umgestellt werden.
Wie häufig in der Politik hängt alles mit allem zusammen. Der Schlüssel für die Einigung in den noch strittigen Punkten zur Gesundheitspolitik liegt in der „Systemfrage“ – der Annäherung der PKV an die GKV. Ist diese Grundsatzentscheidung getroffen, so lösen sich alle anderen offenen Punkte auf: „Zu einer flächendeckenden Gesundheitsversorgung gehören für uns neben einer gut erreichbaren ärztlichen Versorgung auch eine wohnortnahe Geburtshilfe, Hebammen und Apotheken vor Ort“, heißt es im Konsens teil des achtseitigen Abschlusspapiers der AG Gesundheit.
In eckige Klammern gesetzt sind dann die unterschiedlichen Positionen von Union und SPD. „[CDU/CSU: Um die Apotheken vor Ort zu stärken, setzen wir uns für ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ein.] [SPD: Um die Arzneimittelversorgung besonders in ländlichen Regionen sicherzustellen, bleibt der Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Medikamenten gestattet. Zur Sicherung der Präsenzapotheken vor Ort soll bei drohender Unterversorgung ein erhöhtes Beratungs- und Sicherstellungshonorar gezahlt werden.]“
Die Entscheidung über den Versandhandel fällt in den Chefgesprächen in den nächsten Tagen. Gestern Abend gab es eine erste Runde mit den Spitzen von Union und SPD. Daran haben Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) und für die SPD die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer teilgenommen. Denkbar wäre ein auf zwei Jahre befristetes Rx-Versandhandelsverbot. Auch im Bundesgesundheitsministerium (BMG) ist man der Auffassung, dass das Apothekenhonorar grundlegend reformiert und von der Packungszahl abgekoppelt werden muss. Stattdessen soll die Honorierung an der Beratung anknüpfen. Für eine solche radikale Umstellung benötige man aber Zeit, heißt es aus Verhandlungskreisen.
Als Einstieg in die Bürgerversicherung soll wieder die Parität bei den GKV-Beiträgen hergestellt werden. „Ab 1. Januar 2019 werden die Beiträge zur Krankenversicherung wieder in gleichem Maße von Arbeitgebern und Beschäftigten geleistet“, sind sich Union und SPD einig. Dann beginnt der Streit: Die Union will den bisherigen Zusatzbeitrag paritätisch finanzieren. Das heißt, der heutige kassenindividuelle Zusatzbeitrag wird zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern geteilt. Den Grundbeitrag legt wie bisher das BMG fest.
Die SPD will den heutigen Zusatzbeitrag ganz abschaffen. Die Kassen sollen wieder über den kompletten paritätischen Beitragssatz entscheiden. „Im Gesundheitsfonds wird der Beitragsanteil ausgewiesen, der dem morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich unterliegt. Dieser orientiert sich am bisherigen allgemeinen Beitragssatz“, heißt es hier weiter.
Schrittweise sollen kostendeckende Beiträgen zur GKV aus Steuermitteln für die Bezieher von ALG II erstattet werden. Hier geht es insgesamt um zehn Milliarden Euro. Gestritten wird zwischen SPD und Union über die Beträge auf betriebliche Altersvorsorge und betrieblich finanzierte Lebensversicherungen. Seit 2004 müssen die Bezieher darauf den vollen GKV-Beitragssatz abführen. Die SPD will die Beiträge für Betriebsrenten um die Hälfte auf den Arbeitnehmeranteil senken. Das ist der Union zu teuer.
Nicht enthalten im Abschlusspapier ist der eigentliche Knackpunkt: Die von der SPD geforderte Angleichung der Arzthonorare zwischen GKV- und PKV-Patienten und die Öffnung einer Wechseloption für Beamte aus der PKV in die GKV. Dazu wurden in der AG Gesundheit verschiedene Modelle diskutiert. Die Union lehnt diesen Schritt in der „Systemfrage“ aber ab. Er dient jetzt als Verhandlungsmasse in den Gesprächen der Parteiführungen von Union und SPD.
Beim Thema ambulante Versorgung gibt es darüber hinaus eine Reihe von übereinstimmenden Positionen: Die Bedarfsplanung zur Verteilung der Arztsitze soll „kleinräumiger, bedarfsgerechter und flexibler gestaltet“ werden. In ländlichen oder strukturschwachen Gebieten sollen Zulassungssperren für die Neuniederlassung von Ärzten entfallen, um Unterversorgung zu vermeiden.
In den Strukturfonds der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) fließt mehr Geld. Damit können die KVen dann in unterversorgten Gebieten eigenen Praxen gründen. Die Länder erhalten ein Mitberatungs- und Antragsrecht in den Zulassungsausschüssen der KVen. Der Innovationsfonds soll über das Jahr 2019 verlängert werden und dann jährlich 200 Millionen Euro statt 300 Millionen Euro erhalten. „Wir wollen gewährleisten, dass erfolgreiche Versorgungsansätze zügig in die Regelversorgung überführt werden. Eigene Modellprojekte des BMG wollen wir ermöglichen“, heißt es im Abschlusspapier.
Die Zusammenarbeit und Vernetzung im Gesundheitswesen soll ausgebaut und verstärkt werden. Dazu wird eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter Einbeziehung der Regierungsfraktionen im Deutschen Bundestag eingerichtet, die Vorschläge für die Weiterentwicklung zu einer sektorenübergreifenden Versorgung des stationären und ambulanten Systems im Hinblick auf Bedarfsplanung, Zulassung, Honorierung, Kodierung, Dokumentation, Kooperation der Gesundheitsberufe und Qualitätssicherung unter Berücksichtigung der telematischen Infrastruktur bis 2020 vorlegt soll. Dabei sollen Spielräume für regionale Ausgestaltungen ermöglicht werden.
Die Krankenhäuser sollen stärker unterstützt werden. Die Höhe der dafür bereitzustellenden Mittel ist aber noch umstritten. „Um eine gute stationäre Versorgung sicherzustellen, sind deutlich erhöhte Investitionen in Krankenhäuser für Umstrukturierungen, neue Technologien und Digitalisierung notwendig. Die Länderkompetenz in der Krankenhausplanung und die Verpflichtung zur Investitionsfinanzierung bleiben erhalten. Um den notwendigen Strukturwandel der Krankenhauslandschaft und die Qualität der stationären Versorgung zu befördern, setzen wir den Strukturfonds weitere vier Jahre fort“, heißt es im Konsensteil.
Die SPD will den von Bund und Ländern hälftig finanzierten Strukturfonds in Höhe von einer Milliarden Euro jährlich fortsetzen. Der Bundesanteil soll aus Steuer- und nicht aus Beitragsmitteln gespeist werden. Die Union will dafür stattdessen die „Liquiditätsreserve der GKV“ anzapfen und zusammen mit den Ländern jährlich nur 500 Millionen Euro bereitstellen.
Mit dem Geld soll die „Qualitätsoffensive“ für die Krankenhäuser fortgesetzt werden. Dazu gehören insbesondere eine qualitätsorientierte Arbeitsteilung und Vernetzung zwischen einer gut erreichbaren Grund- und Regelversorgung, Zentren für schwerwiegende, komplexe oder seltene Erkrankungen sowie damit verbundenen Anbietern des Gesundheits- und Pflegewesens.
Als zusätzliche Aufgabe der stationären Grundversorgung sollen die Krankenhäuser insbesondere im ländlichen Raum im Verbund mit den Schwerpunktkrankenhäusern und örtlichen Pflegeanbietern ergänzende niedrigschwellige Versorgungsangebote, beispielsweise in der Nachsorge, vorhalten. Zur Verbesserung der Notfallversorgung soll eine gemeinsame Sicherstellung der Notfallversorgung von Landeskrankenhausgesellschaften und KVen in gemeinsamer Finanzierungsverantwortung geschaffen werden. Dazu sind Notfallleitstellen und integrierte Notfallzentren aufzubauen.
Die Freiberuflichkeit der Heilberufe, freie Arzt- und Krankenhauswahl, die Therapiefreiheit und gut qualifizierte Gesundheitsberufe soll erhalten bleiben. Für den Nachwuchs sollen „attraktive Ausbildungsmöglichkeiten“ geschaffen werden. „Wir werden die Ausbildung der Gesundheitsfachberufe im Rahmen eines Gesamtkonzeptes neu ordnen und stärken. Wir wollen das Schulgeld für die Ausbildung in den Gesundheitsfachberufen abschaffen, so wie es in den Pflegeberufen bereits beschlossen wurde“, so Union und SPD. „Die Digitalisierung des Gesundheitswesens ist eine der größten Herausforderung des Gesundheitswesens in den nächsten Jahren“, heißt es weiter. Die Telematikinfrastruktur soll weiter ausgebaut und eine elektronische Patientenakte in den nächsten vier Jahren eingeführt werden: „Die einschränkenden Regelungen zur Fernbehandlung werden wir auf den Prüfstand stellen.“