Versorgungswerk und Rentenversicherung

Befreiung vergessen: Elf Jahre nachzahlen

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Berlin -

Wer in ein Versorgungswerk einzahlt, muss bei jedem Jobwechsel einen neuen Antrag auf Befreiung bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV) stellen. Ansonsten kann es teuer werden, wie der Fall einer Zahnärztin aus Hessen zeigt: Sie muss nach einem Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Pflichtbeiträge für elf Jahre nachzahlen – auf die Auskunft ihres Versorgungswerks berufen kann sie sich nicht.

Die Zahnärztin hatte von 2000 bis 2003 zunächst in einer Praxis in Baden-Württemberg gearbeitet und als Kammermitglied ins Versorgungswerk eingezahlt. Im Vorfeld war sie von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) als Vorgängerin der DRV von der Rentenversicherungspflicht befreit worden.

2003 wechselte sie zu Abbvie, wo sie als Associate Clinical Operations Manager in der Abteilung für klinische Forschung die Projektleitung von klinischen Prüfungen übernahm. Die Baden-Württembergische Versorgungsanstalt für Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte (BWVA) bestätigte ihr auf Anfrage, dass die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht wirksam bleibe und sie auch im neuen Kammerbezirk freiwilliges Mitglied bleiben könne.

Erst im August 2014 stellte die Zahnärztin auf Bitte ihres Arbeitgebers einen erneuten Befreiungsantrag. Dieser wurde abgelehnt, da es sich bei der ausgeübten Tätigkeit nicht um eine berufsspezifische Tätigkeit handele. Der Fall ging vor Gericht.

Nachdem sich in den vergangenen Jahren in der Rechtssprechung herauskristallisiert hat, dass auch wissenschaftliche Tätigkeiten in der Industrie als berufsspezifisch einzustufen sind, war dieses Thema schnell vom Tisch. Für die Zahnärztin wird es trotzdem teuer. Denn das LSG entschied – anders als zuvor das Sozialgericht Wiesbaden – dass die Befreiung nicht für die Zeit vor 2014 gilt. Elf Jahre muss die Zahnärztin also in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen, was einem sechsstelligen Betrag entsprechen dürfte.

Zur Begründung führt das Gericht aus, die Zahnärztin habe es versäumt, nach dem Wechsel des Arbeitgebers innerhalb von drei Monaten einen neuen Antrag auf Befreiung zu stellen. Der alte Bescheid sei auf die Tätigkeit in der Zahnarztpraxis beschränkt gewesen und mit Aufgabe der Tätigkeit unwirksam geworden. Die Richter verwiesen auf ein entsprechendes Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) aus dem Jahr 2012.

Im Bescheid über die Befreiung aus dem Jahr 2000 war zwar zu lesen: „Die Befreiung erstreckt sich, sofern die Pflichtmitgliedschaft in der Berufskammer weiterhin besteht, auch auf andere nicht berufsständische versicherungspflichtige Beschäftigungen oder Tätigkeiten, wenn diese infolge ihrer Eigenart oder vertraglich im voraus zeitlich begrenzt sind und Sie insoweit satzungsgemäß verpflichtet sind, einkommensbezogene Beiträge zur Versorgungseinrichtung zu zahlen.“

Diese Ausführungen waren laut LSG jedoch allgemein gefasst und damit „bloß erläuternde Hinweise“. Der Bescheid habe sich auf das konkrete Arbeitsverhältnis bezogen; auch in der Erläuterung sei übrigens noch einmal darauf hingewiesen worden: „Die Wirkung der Befreiung ist grundsätzlich auf die jeweilige berufsständische Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit beschränkt.“ „Jeweilig“ sei , wie das BSG vor einem Jahr noch einmal ausgeführt habe, im Sinne von „gegenwärtig, heute“ zu verstehen, also auf die im Bescheid genannte konkrete Beschäftigung.

Ein weiteres Indiz: Im Bescheid wurde darum gebeten, den vorherigen Arbeitgeber über die Befreiung zu informieren – nicht den nachfolgenden.

Auch die Auskunft der BWVA half der Zahnärztin nicht weiter. Zwar verstoße es nach Rechtssprechung des BSG gegen Treu und Glauben, wenn eine Versicherungspflicht feststellt werde, nachdem zuvor der Eindruck vermittelt wurde, eine zuvor erteilte Befreiung gelte fort. Nur wenn aber ganz konkret gegen behördliche Auskunfts-, Beratungs- und Betreuungspflichten verstoßen wurde, sei aber ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch denkbar. Keinesfalls dürften damit Pflichten umgangen werden, „die der Bürger durch ein tatsächliches Verhalten selbst zu erfüllen hat“. Heißt: Nur wenn der Betroffene falsch beraten wurde oder ihm eine falsche Auskunft erteilt wurde, müsste er so behandelt werden, als wäre ein Befreiungsantrag rechtmäßig beschieden worden.

Versorgungswerke sind laut LSG aber keine „Leistungsträger“ im Sinne des Sozialgesetzbuches (SGB I); die dort vorgeschriebenen Aufklärungs-, Beratungs- und Auskunftspflichten gelten damit für sie nicht. Aus diesem Grund seien etwaige Fehler auch nicht der BfA zuzurechnen; dies käme allenfalls dann in Frage, wenn beide Behörde arbeitsteilig zusammenarbeiteten. Dies sei aber nicht der Fall: „Die Mitwirkung des berufsständischen Versorgungswerkes erschöpft sich in der Bestätigung der Pflichtmitgliedschaft. An dem Entscheidungsprozess über die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht ist das berufsständische Versorgungswerk in keiner Form verantwortlich beteiligt.“

Zu guter Letzt habe die Zahnärztin auch nicht nachgefragt, ob die früher erteilte Befreiung weiterhin Bestand habe. In diesem Fall wäre die BWVA womöglich verpflichtet gewesen, sie an die BfA zu verweisen. So durfte das Versorgungswerk laut LSG aber davon ausgehen, dass die Zahnärztin wusste, dass die BfA die zuständige Stelle war. Dass die „Spontanauskunft“ zur Fortgeltung der früher erteilten Befreiung falsch war, ist laut Urteil „unerheblich“ – und der BfA beziehungsweise DRV nicht zurechenbar.

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