Namensgleichheit ist kein Austauschkriterium: Für den Austausch von Original und Import ist die Arzneimittelbezeichnung unerheblich. Im Fall Clarium (Piribedil, Desitin) tragen die Präparate unterschiedliche Fertigarzneimittelnamen und sind nach Lesart der Krankenkassen dennoch gegeneinander auszutauschen, wenn der Rabattvertrag dies vorsieht. Die Barmer retaxiert in solchen Fällen.
Die betroffenen Verordnungen wurden über Clarium 50 mg zu 200 Retardtabletten ausgestellt, das Aut-idem war gesetzt. Rabattpartner der Barmer sind seit Oktober 2017 Trivastal ACA Müller und seit Dezember 2017 Pronoran Kohl. Auch andere Kassen haben Rabattverträge für die Importe geschlossen. Die Betriebskrankenkassen Bayerische Staatsbauverwaltung und Deutsche Linolium Werke AG haben ebenfalls Trivastal ACA Müller einen Zuschlag erteilt. Kohl Pharma hat für Trivastal einen Rabattvertrag mit der DAK und der Techniker Krankenkasse (TK) geschlossen. Pronoran Kohl ist nicht nur bei der Barmer, sondern auch bei diversen BKKen und IKKen, der DAK und TK rabattiert. Originator Desitin konnte sich einen Zuschlag von den AOKen Bremen und Hessen sowie der DAK und der TK sichern. So viel zu den vertraglichen Voraussetzungen.
In allen Fällen gilt es rabattvertragskonform zu liefern, auch wenn Aut-idem gesetzt ist. Rabattiertes Original oder rabattierter Import stechen bei der Rezeptprüfung Aut-idem. Original und Import werden demnach als ein und dasselbe angesehen, denn importierte Arzneimittel sind nach § 5 Rahmenvertrag Arzneimittel, „die mit dem Bezugsarzneimittel in Wirkstärke und Packungsgröße identisch sind, sowie in der Darreichungsform therapeutisch vergleichbar sind (Re- und Parallelimporte)“ sowie „unter Bezugnahme auf ein deutsches Referenzprodukt zugelassen sind oder als zugelassen gelten“.
Apotheker können Aut-idem außer Acht lassen, die Barmer bezieht sich auf den Arzneiversorgungsvertrag (AVV) der Ersatzkassen § 4: „Hat der Vertragsarzt ein Fertigarzneimittel unter seinem Produktnamen und/oder seiner Pharmazentralnummer unter Verwendung des Aut-idem-Kreuzes verordnet, ist dies im Verhältnis von importiertem und Bezugsarzneimittel mangels arzneimittelrechtlicher Substitution unbeachtlich. Dies gilt nicht, wenn der Arzt vermerkt hat, dass aus medizinisch-therapeutischen Gründen kein Austausch erfolgen darf“. Der Teufel liegt hier im Detail, denn viele Ärzte wissen gar nicht, dass sie das Austauschverbot in diesem Fall zusätzlich dokumentieren müssen. § 4 AVV der Ersatzkassen wurde im Januar 2015 nach dem Urteil des Sozialgerichtes Koblenz aus dem Januar 2014 entsprechend geändert.
Bei den Reimporteuren bewertet man die Lage teilweise anders. So äußerte Kohlpharma-Geschäftsführer Jörg Geller: „Tatsächlich schlägt ein Aut-idem-Kreuz immer einen Rabattvertrag. Das gilt ausdrücklich auch für Importe. Auch ein Vertrag zwischen Kassen- und Apothekerverbänden kann ein vom Arzt gesetztes Aut-idem-Kreuz nicht außer Kraft setzen. Inzwischen haben drei Sozialgerichte, nämlich Detmold, Bremen und Koblenz, in diesem Sinne entschieden.“ Aber auch Geller weiß, dass die Kassen das anders sehen: „Trotzdem empfehle ich nur streitbereiten Apothekern die Abgabe eines Imports bei gesetztem Aut-idem-Kreuz, wenn es einen Rabattvertrag gibt.“ Allerdings würde er keinesfalls eine Retaxierung akzeptieren, wenn eine Abgabe gemäß der ärztlichen Verordnung erfolgt ist, also Aut-idem-Kreuz berücksichtigt wurde.
Die ABDA ist in ihren Ratschlägen an die Apotheker zurückhaltender und rät zur Vorsicht: „Aufgrund abweichender Rechtsauffassungen ist die Rechtslage hier leider schwierig zu beurteilen und letztlich von der Ausgestaltung der Arzneiversorgungsverträge abhängig. Ein Retax-Risiko ist jedenfalls nicht von der Hand zu weisen“, so ein Sprecher gegenüber APOTHEKE AHDOC. Im Anwendungsbereich des AVV der Ersatzkassen sei das Aut-idem-Kreuz „unbeachtlich“, entsprechend sei „ein Austausch zugunsten des rabattierten Arzneimittels also grundsätzlich geboten“. Allerdings enthalte auch der vdek-AVV die Option eines Substitutions-Ausschlusses. „Sie greift, wenn der Arzt vermerkt hat, dass aus medizinisch-therapeutischen Gründen kein Austausch erfolgen darf“, so der ABDA-Sprecher.
Bislang gibt es in dieser Frage keine höchstinstanzliche Rechtsprechung. Ob der Deutsche Apothekerverband (DAV) hier im Sinne seiner Mitglieder einen Musterprozess anzustreben gedenkt, war auch auf mehrfache Nachfrage nicht zu erfahren. Auch eine Empfehlung, ob Apotheker selbst gegen entsprechende Retaxationen vor Gericht ziehen sollten, will der DAV nicht geben.
Ein jüngeres Urteil aus dem März 2017 sollte Apotheker nicht beflügeln, in jedem Fall am Aut-idem-Kreuz festzuhalten. Zwar hat das Sozialgericht Bremen einem Apotheker Recht gegeben, als er im Jahr 2013 einen Reimport anstelle des rabattierten Originals abgegeben hatte, aber auch dieser Fall ging nicht bis vor das Bundessozialgericht (BSG). In der Zwischenzeit sind jedoch klare Regelungen in den AVV der Kostenträger zum Austausch von Import und Original bei gesetzten Aut-idem getroffen worden. Die Apothekerverbände raten seitdem dringend davon ab, aufgrund des Urteils dem Aut-idem-Kreuz Vorrang zu bieten.
Die Primärkassen folgen dem AVV der Ersatzkassen. So heißt es bei der AOK plus: „Hat der Arzt ein Fertigarzneimittel unter seinem Produktnamen und/oder seiner Pharmazentralnummer unter Verwendung des Aut-idem-Kreuzes verordnet, ist dies im Verhältnis von importiertem und Bezugsarzneimittel (dasselbe Arzneimittel) unbeachtlich. Dies gilt nicht, wenn der Arzt kundtut, dass aus medizinisch-therapeutischen Gründen kein Austausch erfolgen darf. Dies bedarf der Dokumentation auf der Verordnung.“
Dem schließt sich auch der AVV der AOK Baden-Württemberg an: „Die Vertragsparteien sind sich einig, dass Importarzneimittel und das Bezugsoriginalarzneimittel als identische Arzneimittel im Sinne des AMG zu verstehen sind. Damit unterfallen Importarzneimittel und das Bezugsoriginalarzneimittel nicht den Maßgaben des §129 Abs. 1 Nr. 1 SGB V. Schließt eine Vertragsärztin/ein Vertragsarzt bei Verordnung eines Importarzneimittels durch Kennzeichnung des nec-aut-idem Feldes die Substitution nach § 129 Abs. 1 Nr. 1 SGB V aus oder wird ein Importarzneimittel unspezifisch verordnet (etwa Arzneimittelbezeichnung mit dem Suffix 'Reimport' oder 'Importarzneimittel'), so bleibt die Möglichkeit einer vorrangigen Abgabe einer vertraglich rabattierten Alternative (Bezugsoriginalarzneimittel oder dessen Importarzneimittel) unberührt.“
Apotheken müssen bei gesetztem Aut-idem auch Arzneimittel der Substitutionsausschlussliste austauschen. Beispielsweise bei Schilddrüsepräparaten mit Levothyroxin. Auch Biologicals müssen ausgetauscht werden, wenn ein Rabattvertrag vorliegt. Als Beispiel kann Filgastrim Hexal genannt werden. Das Original ist bei diversen AOKen, BKKen, IKKen, der Barmer, BIG und TK Rabattpartner. Aber auch zahlreiche Reimporte konnten sich einen Zuschlag sichern. Zarzio Emra hat mit AOK, Barmer und IKK einen Rabattvertrag. Adequapharm ist Vertragspartner von AOK, Barmer, DAK, BKKen, IKKen und der Knappschaft. ACA Müller hat den Zuschlag der AOK Bremen und der AOK Plus sowie von Barmer, IKKen und Knappschaft.
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