„Eine Fusion ist kein Selbstläufer“ dpa, 23.10.2015 16:49 Uhr
Der Preisdruck auf die Krankenkassen ist enorm – und heizt den Konzentrationsprozess an. Mit der Fusion der Barmer GEK und der Deutschen BKK könnte die größte Kasse entstehen. Doch garantiert Größe allein schon Erfolg?
Es ist eine beeindruckende Zahl. 9,6 Millionen Menschen sollen unter einem Dach gesetzlich krankenversichert sein, wenn die Barmer GEK und die Deutsche BKK zusammengehen. Hinter verschlossenen Türen machten die Verwaltungsräte beider Kassen in getrennten Sitzungen in Berlin und Düsseldorf den Weg frei für die konkreten Vorbereitungen. Welchen Sinn macht so eine Fusion – was bedeutet sie für die Versicherten?
Zunächst einmal würde die neue Versicherung die Techniker Krankenkasse (TK) mit ihren mehr als 9,4 Millionen Versicherten wieder überholen. Doch während die TK traditionell gut dasteht und mit einem Zusatzbeitrag von 0,8 Prozent des Einkommens unterm Durchschnitt liegt, ist die Lage bei der Barmer;und der Deutschen BKK weniger rosig. Der Zusatzbeitrag liegt bei beiden zwar im Durchschnitt von 0,9 Prozent. Aber sie kamen mit dem Geld laut Branchenkreisen zuletzt nicht aus – und mussten an die Rücklagen.
Der Zusatzbeitrag ist das entscheidende Preissignal an die Versicherten: Die Kassen können ihn selbst festlegen – und die Kassenmitglieder müssen ihn komplett bezahlen. Dazu kommt der allgemeine Beitragssatz von 14,6 Prozent, den sie sich mit den Arbeitgeber teilen. Im Durchschnitt dürfte der Zusatzbeitrag kommendes Jahr auf 1,1 Prozent steigen. Wer mehr nehmen muss, dem drohen Versicherte davonzulaufen.
Dass Größe bei den Kassen nicht alles ist, zeigte sich schon nachdem sich die Barmer und die Gmünder Ersatzkasse (GEK) vor fünf Jahren zur damals größten Versicherung zusammenschlossen. Vorstandschef Dr. Christoph Straub kündigte 2014 eine Neustrukturierung an. 3500 Stellen sollten gestrichen, die Zahl der Niederlassungen halbiert werden. Heute ist die Kasse aus dem Gröbsten raus, die noch nicht abgeschlossene Umstrukturierung trägt Früchte. Schmolzen die Rücklagen binnen eines Jahres um rund 400 auf rund 800 Millionen Euro in 2014, will man in diesem Jahr rund 250 Millionen Euro gutmachen.
Auch die Wolfsburger Deutsche BKK mit ihren derzeit 1,1 Millionen Versicherten ist das Resultat von Fusionen – hervorgegangen aus den Betriebskrankenkassen von Volkswagen und der Post, der BKK Chemie-Partner und der BKK Essanelle. Versicherte verschiedenster Betriebskrankenkassen kamen so über die Jahre unter das Dach, etwa der Stadt Trier, von Henkel oder MAN Augsburg. Es ist eine Kasse mit überdurchschnittlich hoher Krankheitslast, wie es in Branchenkreisen heißt, von der Grundsatzstruktur als breiter Versorgerkasse der Barmer nicht unähnlich. Was brächte da eine Fusion?
Zwei Kassen mit Problemen kämen da zusammen, sagen Skeptiker. Einspareffekte dürfte es zumindest zunächst nicht geben – IT-Systeme und Standorte müssten erst einmal integriert werden. „Eine Fusion diesen Ausmaßes ist kein Selbstläufer und dürfte zunächst eher Geld kosten als einsparen“, sagt der Gesundheitsökonom Professor Dr. Jürgen Wasem.
„Große Kassen können ihre Ausgaben zwar etwas leichter steuern“, meint Wasem. Das Management habe unter anderem mit Rabattverträgen mit Herstellern von Arzneimitteln einen Hebel zum Kostenmanagement in der Hand. Aber Größe alleine bedeute auf der anderen Seite nicht unbedingt, dass der Zusatzbeitrag unter die wichtige Marke des Durchschnitts gedrückt werden kann.
„Wenn die Barmer GEK und die Deutsche BKK fusionieren, dürfte das für die Versicherten zunächst kaum direkt spürbar sein“, sagt Wasem voraus. Für schlüssig hält der Experte aber das von der Barmer vorgebrachte Argument, man könne von der Deutschen BKK beim betrieblichen Gesundheitsmanagement lernen. „Wer hier gut ist, kann beim Krankengeld sparen.“
Gab es vor 20 Jahren noch 960 Kassen, sind es derzeit noch 123 – die größten 40 haben etwa 90 Prozent der Versicherten. Und die Konzentration dürfte laut Experten weitergehen. Wasem meint: „Kassen mit hohen Zusatzbeiträgen werden sich unter das Dach von kleineren flüchten.“ Und dass sich die Beitragsschraube insgesamt weiterdreht, ist absehbar – auch künftig dürften die Ausgaben auch künftig stärker wachsen als die vom Einkommen abhängigen Einnahmen.